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Grünes Band Austausch mit DDR-Zeitzeugen

Am Grünen Band, wo früher das Grenzregime wachte, bietet sich auch Stoff, um ins Gespräch zu kommen. So erfolgreich in Wahrenberg.

Von Karina Hoppe 14.07.2019, 14:31

Wahrenberg l Vor 24 Jahren hat Elvira Müller-Klug ein Grundstück in Wahrenberg erstanden, seit zwei Jahren lebt sie fest in dem schönen Elbeort. Und doch hakt es noch mit dem Austausch zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen. „Es kommt ja keiner auf deinen Hof“, sagte sie. Und zu Veranstaltungen gehen oft hier die einen, dort die anderen. Der unlängst initiierte dorfweite Hof-Flohmarkt hatte bereits an dieser unsichtbaren Barriere genagt, „das war richtig toll“. Es geht doch, wie nun auch die Veranstaltung am Sonnabend auf dem Wahrenberger Deich bewies. Die Heinrich-Böll-Stiftung und der Umweltbildungsverein Vitos vom Elbehof hatten in Kooperation mit dem Café Anne Elbe zu einem Austausch mit DDR-Zeitzeugen eingeladen.

Anlass ist das 30-jährige Bestehen des so genannten Grünen Bandes, der früheren innerdeutschen Grenzlinie, die von großem Wert für Flora und Fauna ist, aber noch mehr kann: nämlich Ort für den Austausch sein. Das, was die Anwohner des heutigen Grünen Bandes erlebten, bietet ja Stoff genug. So wurden die Wahrenberger Elke und Ulrich Magdeburg, Siegrun Pilz und Werner Mohr auch reichlich befragt.

Sein Haus und den Hof hätte Ulrich Magdburg noch im Juni 1989 darauf verwettet, dass die Mauer nicht fällt. Beim Besuch einer Hochzeit in Karlsruhe hatte die West-Verwandtschaft gesagt, dass das nicht mehr lange dauern würde. „Und tatsächlich, wir waren zurück zu Hause und hörten davon, dass die ersten Wahrenberger über Ungarn weggemacht sind. Ich dachte, das gibt‘s doch nicht.“ Warum? „Weil man sich einfach nicht vorstellen konnte, dass dieses System bricht, das war so fest, man war es so gewohnt.“

Und doch. Ulrich Magdeburg, der zu DDR-Zeiten Materialeinkäufer bei der LPG und es damit gewohnt war, „lebende Schweine durch die Gegend zu fahren, um an Ware zu kommen“, sei bald nicht mehr geworden, als er nach der Wende als Materialeinkäufer für ein Asphaltmischwerk arbeitete. „Da haben mich die Vertreter plötzlich gebeten, ihnen etwas abzunehmen.“ Verrückte Welt.

Wahrenberg gehörte damals nicht zum Sperrgebiet, aber gegen Ende der DDR seien auch dort die Kontrollen verschärft worden. Als die ersten „abhauten“ wurde auch Elke Magdeburg, die in Wahrenberg als Friseurin arbeitete, angehalten, „noch mehr auf Fremde zu achten“. Auch den Konsumangestellten haben sie das gesagt. Zuletzt gab es einen Wachposten, der von der Bevölkerung selbst besetzt war. Von Dorfbewohnern selbst? Die Gäste auf dem Wahrenberger Deich hörten gespannt zu, als dies – ohne Namen – erzählt wurde. Und sie schmunzelten, als Ulrich Magdeburg sagte: „Lüneburg war für uns Amerika.“ Und „dass die Leute im Sperrgebiet völlig fremde Menschen für uns waren“.

Siegrun Pilz habe als Lehrerin im Dorf nicht viel vom Grenzregime mitbekommen. Die Wendejahre empfand sie als turbulent und teils auch deprimierend. „Unsere Arbeit war ja nichts mehr Wert, es wurde nichts anerkannt.“

Auch Verbandsgemeindebürgermeister Rüdiger Kloth hatte nicht schlecht geschaut, als er – den ersten Job „im Westen“ angenommen – obwohl verheiratet und Vater vom dortigen Finanzamt mit Steuerklasse  1 und als „Ausländer“ eingestuft wurde. „Die DDR hat ja noch existiert, beim Finanzamt war nichts mit Brüdern und Schwestern“, so Kloth, der selbst im Sperrgebiet groß geworden ist.

Aber heute ist heute. Dorfkonsum, Schule und Kita gibt es nicht mehr, aber ein Vereinsleben, eine gehörige Portion Veranstaltungen. Und „Anne Elbe“. Da gehen nicht so sehr die Alteingesessenen hin, „die essen ihren Kuchen eher zu Hause“. Aber dennoch: Diese Annäherung am Sonnabend am Deiche fand am Café statt. Und dass das so war, hat abseits des Beruflichen auch einen persönlichen Grund. Rebecca Plassa, die Geschäftsführerin der Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, hielt im Januar in Stendal einen Vortrag zur Frage, wie angesichts strukturellen Wandels Leben aufs Land kommt oder dort bleibt. Rebecca Plassa „fand die Menschen hier so herzlich und die Landschaft so schön“, dass sie im April Familienurlaub in der Altmark machte und über den Reiseführer „In the middle of Nüscht“ von Sibylle Sperling auch zum Café „Anne Elbe“ fand. Sie habe schnell gemerkt, dieser Ort würde sich für unkonventionellen Austausch, dessen Form für sie neu war, eignen. Beim Verein Vitos rannte sie damit offene Türen ein.

Und auch bei Elvira Müller-Klug, die zu „den Berlinern“ gehört und sich so gerne noch mehr im Ort verzahnen möchte. Sie denkt auch an die vielen alleinstehenden Älteren. „Wenn wir uns hier nicht vernetzen, hilft uns keiner.“