Auf ein Fläschchen Geschichte 165 Jahre alte Flaschenpost aus Schauen wird Teil des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle
Bei Umbauarbeiten ist ein Paar aus Schauen auf einen historischen Schatz im eigenen Zuhause gestoßen. Das Landesamt für Denkmalpflege hat ihn wissenschaftlich untersucht.

Schauen - Die kleine, grüne Flasche ruht in seinen Händen, während seine Blicke aufgeregt jede Stelle des Flaschenkörpers erkunden. Er schwärmt für seinen Fund. Der Flaschenhals. Die Einschlüsse im Glas. Die mundgeblasene Form. „Echt schön“, findet Christian Schirbel. Ein Wiedersehen von kurzer Dauer.
Der Schauener hat vor einem Jahr einen Schatz in seinem Haus entdeckt: zwei Flaschen, die mit sechs Münzen und einer beidseitig versiegelten Papierbanderole gefüllt waren. Wie sich später herausstellte, stammen sie aus dem Jahr 1856. Ein von ihm engagierter Maurer legte sie frei, als er das Giebelfenster erneuerte. Eine Flasche war zerbrochen, die andere heile. Sie lagen gut geschützt im Inneren eines Schweinetrogs, der zu einer Tafel umfunktioniert worden war. Die wiederum gab Auskunft über den Besitzer des Guts: Julius Grothe, Reichsfreiherr zu Schauen.
Julius Grote, 1808 in Hannover geboren, übernahm im Jahr 1837 von seinem Vater Schauen und ließ sich dort mit seiner Familie nieder. Das Dorf war mit etwa 200 Einwohnern das kleinste selbstständige Staatsgebilde im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Neben einem herrschaftlichen Gebäude ließen Julius Grote und seine Frau Thekla 1856 einen Pferdestall aus Kalksteinen errichten. Das Haus von Christian Schirbel und Katja Mengert.
Versteckte Hinweise auf Grundsteinlegung
Jochen Fahr arbeitet im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale, das gleichzeitig auch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie ist. Heute hat er die beiden Flaschen nochmal mitgebracht, die seit dem vergangenen Sommer in seiner Obhut sind. Christian Schirbel übergab sie der Werkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, damit die Flaschen von einem Restaurator geöffnet werden konnten. „Mir war klar, dass der Fund wertvoll ist. Ich wollte unter keinen Umständen etwas kaputt machen“, erinnert er sich.
Der Restaurator öffnete auch den versiegelten Text, der im Inneren der Flaschen lag. Auf der Banderole war das Datum der Grundsteinlegung notiert. Man kann außerdem darauf lesen, wann der Rohbau fertiggestellt war, wie die Handwerker hießen und wer bei der Grundsteinlegung dabei war. Laut Jochen Fahr war es früher eine Tradition, solche Botschaften bei der Grundsteinlegung einzumauern. „Dieser Akt diente der Dokumentation, so wie es auch heute noch bei Grundsteinlegungen passiert, wenn eine sogenannte Zeitkapsel mit einer Tageszeitung vom Tag der Grundsteinlegung, persönliche Gegenstände und auch Münzen im hohlen Grundstein aufbewahrt werden“. Dass die Banderole samt Münzen in einer Flasche platziert wurden, könnte dem Zeitgeist des 19. Jahrhunderts geschuldet sein, vermutet Fahr.
Christian Schirbel und seine Freundin Katja Mengert haben das Gebäude in der Berßeler Straße von ihrer Familie übernommen. Einen kleinen Teil des Gebäudes hatte ihr Großvater, damals Pferdewirt, zum Wohnhaus umgebaut, die andere Seite blieb ein Pferdestall. Seit 2005 allerdings ohne Pferde. Vor zwei Jahren hat das Paar damit begonnen, den Stallteil zum Wohnraum auszubauen. Es beantragte einen Denkmalschutz für den knapp 400 Quadratmeter großen Stall.
Mit dem Status „denkmalgeschützt“ konnte die Familie Fördergelder aus dem Dorferneuerungsprogramm für die Sanierung beantragen. Seitdem arbeitet Christian Schirbel jede freie Minute an dem Haus. Das Dach ist schon fertig. Gerade sind die Holzfenster und Türen dran. Es macht ihm Spaß, das Gebäude wieder so herzustellen, wie es einmal aussah. „Es ist ja auch im Interesse aller, dass alte Bestände erhalten bleiben und nicht nur neue Einfamilienhäuser an den Ortsrändern gebaut werden“, ergänzt Jochen Fahr.
Ideeller Wert des einzigartigen Funds
Der Referent in der Abteilung Bodenpflege freut sich sehr über den Fund, der aus seiner Sicht in der Region Osterwieck einzigartig ist. „Auch wenn es früher üblich war, dass Münzen und Notizen eingemauert wurden, so landen sie doch selten bei uns.“ Viele würden die Münzen unterm Bett aufbewahren, vertrödeln oder meistbietend veräußern, anstatt sie dem Denkmalamt zu melden. Das Fatale für Jochen Fahr daran: „Wenn die Verpackung entsorgt wird, stiehlt man den Münzen ihren Kontext.“ So sage es kulturhistorisch etwas aus, ob die Münzen beispielsweise in Porzellandosen oder Flaschen aufbewahrt wurden. Der Fachmann schätzt, dass die Münzen etwa 200 Euro wert seien. „Sie haben vielmehr einen ideellen, einen kulturgeschichtlichen Wert“, sagt er.
Fahr ärgert sich über Schatzsucher, die illegal mit Piepsern die Äcker absuchen, die Münzen aus ihrer Aufbewahrung klauben und diese dann achtlos wegschmeißen. Illegal deshalb, weil solche Funde immer automatisch dem Land Sachsen-Anhalt gehören.
Es fällt Christian Schirbel schwer, den Fund wieder in den kleinen Pappkarton zu legen, damit Jochen Fahr ihn mit nach Halle nehmen kann. Dort möchte das Museum sie im Depot lagern und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen. Ausgestellt werden sie aber (noch) nicht. Die Dauerausstellung im Landesmuseum reicht aktuell nur bis in die frühe römische Kaiserzeit.