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Koalitionsvertrag Abenteuer-Reise mit einigen Kröten

Ab Freitag entscheiden Mitglieder von CDU, SPD und den Bündnisgrünen, ob die bundesweit erste Kenia-Koalition zustande kommt.

Von Dennis Lotzmann 22.04.2016, 01:01

Halberstadt l 145 Seiten dick und – nicht nur wegen der Papiermenge – ein „ziemlicher Brocken“, wie Ulrich Thomas sagt. Der CDU-Kreisvorsitzende macht auch kein Hehl daraus, wie schwer das Ringen bis zu diesem „schwergewichtigen Kompromiss“, dem Koalitionsvertrag, war: „Wir haben Koalitionsverhandlungen noch nie so intensiv begleitet.“ Wohl auch deshalb sei das Resultat insgesamt nun akzeptabel.

„Wir sind als Harzer CDU mit zehn Forderungen ins Rennen gegangen – sie finden sich jetzt im Vertrag.“ Deshalb, so Ulrich Thomas mit Blick auf den heutigen Delegiertenparteitag in Magdeburg, halte er persönlich das Vertragspapier für zustimmungsfähig.

Ob das die CDU-Basis mehrheitlich ebenso sieht, bleibt abzuwarten. Schließlich mussten die Christdemokraten – wie auch die SPD – einige Kröten schlucken. Kröten, die in den Verhandlungen vor allem die Bündnisgrünen als Juniorpartner aufgetischt haben. Aber: Um eine schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition zu bilden, waren überall Zugeständnisse nötig.

Das verhehlt auch SPD-Kreis-chef Ronald Brachmann nicht. „Ein solcher Vertrag ist immer ein Kompromiss – auch hier ist nicht alles so, wie wir uns das wünschen“, sagt der bisherige Landtagsabgeordnete. Letztlich aber spricht auch er aus Harzer Sicht von „einem gelungenen Kompromiss“. Weil es der SPD ebenso gelungen ist, zentrale Forderungen wie eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen festzuschreiben.

„Unsere sechs Forderungen finden sich im Papier“, bilanziert Brachmann. Er begrüßt insbesondere den finanziellen Aufwuchs um rund 180 Millionen Euro jährlich für die Kommunen im Land. Das hebt auch Ulrich Thomas hervor: „Hier sehe ich eine gewisse Erleichterung an der Basis.“

Ronald Brachmann wird mit Blick auf den scheidenden Finanzminister und Parteifreund noch deutlicher: „Das ist ein Quantensprung gegenüber dem, was wir den Kommunen unter Federführung von Jens Bullerjahn zugemutet haben.“

Bullerjahn hat als Finanzminister einen Sparkurs durchgedrückt, unter dem vor allem die Kommunen litten. Viele in der SPD sehen darin eine Ursache für die erdrutschartigen Verluste von elf Prozent bei der Wahl. „Wir haben mit den Finanzen in den vergangenen Jahren keinen Blumentopf gewinnen können“, so Brachmann. Konsequenz für ihn: Während Bullerjahn nun aus der Regierung ausscheiden will, muss er den Landtag verlassen.

Ronald Brachmann wie Ulrich Thomas sehen einige Kröten, die sie – um der Regierungsbildung willen – schlucken müssen: „Wir wollten die Kommunalfinanzen zurück ins Innenministerium bringen. Der Wechsel ins Finanzministerium war ein Fehler“, sagt Brachmann. „Am Verlust von Wirtschafts- und Umweltministerium haben wir zu knabbern“, räumt Thomas ein. Für Wirtschaft zeichnet künftig Jörg Felgner (SPD) verantwortlich. Das Umweltressort geht die Grüne Claudia Dalbert.

Gerade letztere Personalentscheidung sorgt nicht nur in Parteikreisen für Kritik. Als klar war, dass die Grünen hier zum Zuge kommen, gingen nicht nur Landwirte, sondern pikanterweise auch CDU-Mitglieder schon mal auf die Straße. Sie sehen im bisherigen Ressortchef Hermann Onko Aeikens (CDU) einen Garanten für Stabilität.

Apropos Stabilität: Auf die setzten Thomas wie Brachmann mit Blick auf begonnene Projekte gleichermaßen. „Solche Sachen wie Schierke stellen wir nicht zur Disposition“, so Thomas in Anspielung auf die dortigen touristischen Vorhaben. Bei der geplanten Seilbahn gehe es letztlich um Vertrauensschutz für die Investoren. Auf diese „klaren Zusagen“ pocht auch Brachmann. Und das wiederum könnte – gerade beim Schierker Projekt – zu einer fetten Kröte werden, die die Grünen schlucken müssen.

Dass die Grünen, die seit Jahren zurück in die Regierungsverantwortung wollen und das Umweltministerium anstreben, am Wochenende dem Koalitionsvertrag zustimmen, darf erwartet werden. Wie die Harzer Grünen das Papier bewerten, ist offen. Eine Anfrage bei Kreis-chefin Jennifer Breuste blieb am Donnerstag unbeantwortet.

Die Harzer CDU kam am gestrigen Abend zu einem „kleinen Parteitag“ zusammen. Kreischef Thomas wollte dort vor Bürgermeistern, Kreistagsabgeordneten und den 25 Harzer Delegierten zur heutigen Abstimmung in Magdeburg für Zustimmung werben.

Ronald Brachmann sieht nach den Regionalkonferenzen der Sozialdemokraten, dass der Koalitionsvertrag „überwiegend auf Zustimmung stößt“. Wie es letztlich ausgeht – abwarten. Eines aber weiß Brachmann: „Die Kenia-Reise wird eine Abenteuer-Reise.“