1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Fachwerkzentrum saniert Halberstädter Häuser

Altstadt Fachwerkzentrum saniert Halberstädter Häuser

Zement und Chemie sucht man auf den Baustellen des Deutschen Fachwerkzentrums Quedlinburg in der Altstadt Halberstadts vergebens.

Von Jörg Endries 24.01.2019, 00:01

Halberstadt l Bierlasur und Lehmwickel – dabei handelt es sich nicht wie es im ersten Moment den Anschein erweckt – um eine alte Rezeptur mit der Fieber gesenkt werden kann. Vielmehr setzen die Mitarbeiter des Deutschen Fachwerkzentrums Quedlinburg auf die teils aus dem Mittelalter stammenden Handwerkstechniken, um Fachwerkhäuser in der Altstadt Halberstadts ressourcenschonend zu sanieren. Und das erfolgreich wie die Hühner­brücke 4 und derzeit die Arbeiten am benachbarten Grudenberg 8 und 7 zeigen. Die 1697 und um 1700 erbauten Gebäude sind nicht nur in etwa gleich alt, sie befanden und befinden sich außerdem in einem scheinbar hoffnungslos schlechten Bauzustand. Der ist bei der Hühnerbrücke 4 und dem Grudenberg 8 Geschichte. Und das Dank alten Handwerks, das so alt oder viel älter als die geretteten Häuser ist.

Zement und Co. sucht man auf den Baustellen des Fachwerkzentrums in der Halberstädter Altstadt vergebens. Stattdessen türmen sich derzeit im Grudenberg 8 Säcke mit Lehmputz, mit dem die Wände und Decken im Haus wie schon vor Jahrhunderten verputzt werden. Lehmwickel, die direkt vor Ort in Handarbeit hergestellt werden, kommen bei der Instandsetzung der zerstörten Decken zum Einsatz, erklärt Claudia Hennrich, Geschäftsführerin des Deutschen Fachwerkzentrums Quedlinburg. Die sogenannten Staken (Rundhölzer) umwickelt man mit in Lehmschlamm gebadetes langes Stroh.

Doch warum greift man auf diesen alten Baustoff zurück? Weil das Fachwerkzentrum die Gebäude authentisch saniert und die Eigenschaften des Natur-Baustoffs unschlagbar sind. Lehm speichert Wärme und reguliert Luftfeuchtigkeit. Das wussten Handwerker bereits vor tausenden von Jahren. Heute erinnert man sich wieder daran. Das Fachwerkzentrum arbeitet nicht nur selbst damit, sondern bietet Seminare an, in denen das Arbeiten mit alten Baumaterialien und -techniken vermittelt wird. Natürlich praxisbezogen vor Ort auf den Baustellen. Eine dieser alten Techniken ist der Dachshaarschlag. Ein Verfahren aus dem 17. Jahrhundert, mit dem preiswertes Holz eine Maserung erhält und damit der Anschein erweckt wird, dass teures Holz zum Einsatz gekommen.

„Ressoucenschonend bedeutet, dass wir bei der Sanierung auf das vorhandene alte Baumaterial in den Gebäuden zurückgreifen, die Umwelt nicht belasten und letztendlich Kosten sparen“, betont Claudia Hennrich. Daher legt das Fachwerkzentrum großen Wert darauf, die alten Fenster und Türen nicht durch neue Replikate zu ersetzen, sondern aufzuarbeiten und anschließend erneut einzusetzen. Schadhafte Hölzer schneiden die Mitarbeiter heraus und bessern die Stellen aus. Im Grudenberg 7 sind es Fenster aus dem 17. Jahrhundert, im Grudenberg 8 aus den 1930/1950er Jahren. Teils noch mit den Original-Scheiben. Beim Streichen der Holzrahmen kommt Bierlasur zum Einsatz, die aus Gerstensaft besteht und mit Farbpigmenten angereichert ist. Zur detailgetreuen Sanierung gehört, dass die alten Beschläge aufgearbeitet werden. „Egal wie alt Fenster und Türen sind, wir bewahren mit deren Instandsetzung ein Stück Halberstädter Geschichte, schonen Ressourcen und die Kosten“, so Claudia Hennrich.

Chemie spielt bei der Sanierung der über 300 Jahre alten Fachwerkhäuser überhaupt keine Rolle – nicht mal ansatzweise. Oliver Raupach, Restaurator des Deutschen Fachwerkzentrums Quedlinburg, setzt zu 100 Prozent auf Naturressourcen. Die Zutaten, aus denen die Farbe für den Fassadenanstrich der Gebäude gemixt wird, sind sehr speziell. Beim Bauern und im Super-Markt kauft der Fachmann die wichtigen Bestandteile für die Öko-Farbe – Kuhdung, Quark, Leinöl und Farbpigmente. In einem Eimer mischt der Handwerker alles. Anschließend gießt er das Gebräu durch ein Sieb, um die Pflanzenfasern des Dungs herauszu­filtern – fertig ist die Farbe. Sie sorgt dafür, dass die Fassade atmungsaktiv bleibt. Beim Farbton ver­sucht Raupach den historischen zu treffen. Also den, den das Haus vor 300 Jahren trug. Das trifft auch für die Wände im Innern des Fachwerkhauses zu. Dafür ist Detektivarbeit notwendig. Im Laufe der Jahrhunderte wurden 20 oder mehr Farbschichten aufgebracht. Daher versucht man, an die unterste, also die älteste Farbschicht, heranzukommen.

„Wir setzen mit unserer Arbeit auf Haltbarkeit. Das bedeutet, die Lebenszeit der Häuser beträgt nach ihrer Sanierung noch einmal 400 Jahre“, sagt Claudia Hennrich selbstbewusst. Übrigens: mit der Fertigstellung des Grudenbergs 8 rechnet sie bereits Ende 2019.