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Beförderung Harzer Richter im juristischen Olymp

Große Ehre für den Halberstädter Amtsgerichtsdirektor: Enno Bommel ist zum Richter am Bundesgerichtshof (BGH) gewählt worden.

Von Dennis Lotzmann 05.07.2020, 01:01

Halberstadt/Karlsruhe l Von wegen mit 58 Jahren ist die Zeit der Prüfungen vorbei: Enno Bommel hatte mit dem Thema, das manch‘ Zeitgenossen Angstschweiß-Perlen auf die Stirn zaubert, am Donnerstag gleich in doppelter Hinsicht – und auch ganz persönlich – zu tun. Am Vormittag an der alt-ehrwürdigen Martin-Luther-Uni in Halle, wo er als juristischer Tausendsassa zusammen mit Kollegen Berufsanfängern die mündliche Examensprüfung abnahm.

Stunden später – gegen 15.30 Uhr auf der Rückfahrt in den Harz – präsentierte ihm dann keine Geringere als Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) indirekt ein Prüfungsergebnis, bei dem Bommel persönlich als Prüfling brilliert hatte: Per SMS und mit den zwei entscheidenden Worten „Herzlichen Glückwunsch!“

 

„Na klar – ich wusste natürlich sofort, worum es ging“, plaudert der 58-jährige Halberstädter Amtsgerichtsdirektor aus: Er hatte die Wahl zum Richter am Bundesgerichtshof (BGH) geschafft.

Was fraglos der Berufung in den juristischen Olymp gleichkommt, kam für Bommel nicht überraschend. Schon seit Herbst habe er gewusst, dass er im Wahlverfahren für die nächsten BGH-Richter eine Rolle spielt. „Damals klopfte die Ministerin an und fragte, ob ich grundsätzlich dazu bereit wäre, einen solchen Posten zu übernehmen.“

Er habe keine Sekunde überlegen müssen und sofort zugesagt, nickt der jetzige Chef im altehrwürdigen Gebäude des Halberstädter Amtsgerichts. Womöglich BGH-Richter werden zu können – um nichts anderes als die bloße Nominierung in einem aufwändigen Verfahren sei es damals gegangen – sei schließlich eine Chance, die sich wohl nur einmal im Leben ergebe. Und jetzt – Monate später – tatsächlich die Erfüllung.

Dazwischen lagen nicht nur Monate, sondern auch besagte Prüfung in ganz eigener Sache. Bommel musste – ebenso wie alle anderen nominierten Kandidaten – im Februar im Interview mit der BGH-Präsidentin und dem Präsidialrat des BGH bestehen.

„Da hat‘s Gott ganz gut mit mir gemeint“, berichtet er schmunzelnd. Weniger inhaltlich gesehen – da muss er überzeugt haben – sondern wegen höherer Gewalt, die damals den Alltag dominierte. „Meine Reise nach Karlsruhe war kurz nach Orkan Sabine und kurz vor den Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie.“ Und hatte er – ebenso wie seine Studenten – im Interviewtermin auf der Stirn? Eine Frage, die Bommel im Gespräch geschmeidig weglächelt.

Gut – nun also, noch mal knapp fünf Monate später, ist die Sache mit der Richterwahl in trockenen Tüchern. Bommel, der zusammen mit 25 weiteren Kandidaten am Start war, setzte sich in geheimer Wahl durch. Wie die Mitglieder des Richterwahlausschusses – die 16 Justizminister der Länder und 16 Bundestagsabgeordnete – letztlich votiert haben, bleibt geheim. Entscheidend nur: Bommel und neun weiteren Anwärtern gelang der Sprung in besagten Olymp.

Auch wenn heute noch völlig offen ist, wann der Behördenchef seine Koffer packen und nach Karlsruhe wechseln wird, ist klar, dass dies sehr wahrscheinlich seine letzte berufliche Station werden wird.

Enno Bommel ist ein Ruhrpott-Kind. Geboren und aufgewachsen in Duisburg, folgten dem Abitur bis 1988 das Jura-Studium und die Promotion in Bielefeld. Nach kurzen Stippvisiten am Oberlandesgericht Hamm und einer Testphase als Rechtsanwalt in Herford, stieg Bommel Ende 1991 als Richter am Landgericht Osnabrück in den Justizapparat ein. Weil damals vieles im Fluss war und Richter aus den westlichen Ländern oft in den östlichen aushalfen, verschlug es ihn wenig später in den Osten. Konkreter: Bommel landete – Station Nummer eins – am damaligen Kreisgericht Osterburg. Da wenig später das Landgericht Stendal, das Oberlandesgericht Naumburg und schließlich 1997 das Magdeburger Landgericht folgten, erlebte der Jurist die zuweilen auch chaotischen Nachwende- und Aufbruchjahre im noch jungen Sachsen-Anhalt hautnah und flächendeckend mit.

Die Anekdoten und Geschichten von damals bleiben auf Dauer präsent und garantieren auch Jahrzehnte später noch große Augen beim Gegenüber. Insbesondere, wenn dieser die stürmische Aufbruchzeit altersbedingt nur vom Hörensagen kennt.

„Wir hatten damals beim OLG in Naumburg nur eine Telefonleitung – der Apparat wurde kurzerhand herumgereicht und die Leitung glühte faktisch rund um die Uhr“, erinnert er sich. Oder die Dienstreisen – mangels Autobahn 14 wurden sie oft zu tagfüllenden Abenteuern. „Ich musste 1994 mal von Naumburg nach Magdeburg – als ich endlich dort ankam, war es längst dunkel“, erinnert sich Bommel und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Eben Sachsen-Anhalt in den abenteuerlichen 1990er Jahren.

Stichwort Sachsen-Anhalt: Obwohl Bommel hier zig Stationen durchlief, blieb er immer Niedersachse mit Wohnsitz unweit von Braunschweig. Dass er nie auch hier richtig tiefe Wurzeln geschlagen habe, sei keineswegs der Region oder den Menschen geschuldet. Im Gegenteil: „Was binnen drei Jahrzehnten im Osten passiert ist, ist absolut beeindruckend.“

Und es gebe hier fantastische Orte. Den Huy beispielsweise mit dem katholischen Kloster Huysburg. „Und den wahnsinnig schönen Buchenwäldern sowie dem Sargstedter Warteturm mit dessen einmaligem Ausblick auf den Harz. Wenn wir Gäste haben, ist der Huy immer ein Ziel. Niemals überlaufen und ein echter Geheimtipp“, schwärmt der 58-Jährige.

Dass seine Familie niemals nach Sachsen-Anhalt gezogen sei, sei einfach dem Umstand geschuldet gewesen, dass bei jedem beruflichen Wechsel, bei dem sich diese Frage durchaus gestellt habe, die Kinder nicht aus ihrer schulischen Laufbahn herausgerissen werden sollten.

Beruflich indes habe er Sachsen-Anhalt von Nord bis Süd vermessen. Erst das damalige Kreisgericht in Osterburg, wo wendebedingt wirklich abenteuerliche Zustände geherrscht hätten, später besagte Stationen in Stendal, Naumburg und dann am Landgericht Magdeburg.

Von dort, so Bommel, sei er von 1994 bis 1997 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den BGH gegangen. Gut möglich, erinnert er sich, dass das die Basis gewesen sei, nun Jahre später als Kandidat für den BGH-Richterposten ins Gespräch gekommen zu sein. Denn wirklich gute Chancen für den Sprung zum BGH hätten wohl nur Anwärter, die dort schon mal eine Duftmarke hinterlassen haben.

Wobei Enno Bommel keineswegs der erste Richter ist, der von Sachsen-Anhalt nach Karlsruhe wechselt. Schon vor Jahren seien welche zum BGH gegangen, zwischenzeitlich aber wohl allesamt altersbedingt ausgeschieden.

Entsprechend groß sei die Resonanz gewesen, die nun auf seine Wahl gefolgt sei. „Ich hatte zig Anrufe und auch Gratulationen von Kollegen und früheren Studienkollegen, von denen ich seit Jahren nichts mehr gehört hatte“, berichtet er. Und ja – die Wahl sei am Donnerstagabend natürlich auch gefeiert worden – in Familie und mit Freunden und besagten Kollegen.

Logisch, dass dabei auch auf die vergangenen Jahre zurückgeblickt wurde. Im Landgericht und im Amtsgericht Halberstadt. Dorthin war Bommel Ende 2016 als Direktor gewechselt. Dort hat er nicht nur über vier Jahre Erfahrungen als Behördenchef von gut und gern 50 Mitarbeitern gesammelt.

Dort habe er auch die sehr engagierte Arbeit an der juristischen Basis noch mal hautnah erleben dürfen. Was hat sich dabei als Erfahrung eingebrannt? „Die wirklich gute Arbeit in Zeiten der jüngsten Corona-Pandemie. Alles ist organisatorisch gut und reibungslos gelaufen.“

Und: Mit seinen besonders beschleunigten Prozessen habe Halberstadt Maßstäbe gesetzt. „Da haben unsere Strafrichter wirklich super Arbeit geleistet“, zollt ihnen Bommel Respekt. Das Prinzip: Wer beispielsweise als Ladendieb erwischt wird, landet in aller Regel spätestens am nächsten Tag vor dem Kadi und kassiert seine Strafe. Getreu dem Motto, dass eine schnelle Strafe eine gute Justiz auszeichne, werde hier wirklich großartig agiert, so Bommel. „Allerdings ist das nur möglich, wenn Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht Hand in Hand zusammenarbeiten.“

Und – gibt es auch Episoden mit dem berühmten Schmunzel-Effekt? An einen jüngeren Fall aus einem Strafverfahren erinnert sich Bommel noch bestens. Ein Ladendieb habe Stein und Bein geschworen, nie wieder hier zu landen. Andernfalls, so dessen klare Botschaft, dürfe man ihm eine Hand abhacken. „Das Problem war dann nur, dass unser Strafrichter dem Mann keine zwei Wochen später die Frage stellen musste, welche Hand es denn sein soll“, erinnert sich der scheidende Gerichtschef.

Dass er nun in absehbarer Zeit nach ganz oben wechselt, ist für Bommel eine schöne Perspektive, fraglos verbunden mit neuer Motivation. Wobei sich eine Frage stellt: Als Bommel 2016 vom Landgericht Magdeburg ans Amtsgericht wechselte, zitierte er auf die Frage, ob das nicht ein beruflicher Karriereknick sei, einen Kollegen, der es mal so auf den Punkt gebracht habe: „Lieber Bischof in der Stadt als Kardinal in Rom.“ Und nun – der Wechsel vom Amtsgericht an den BGH? „Ich glaube, das ist schon fast sowas wie der Papst in Rom“, schmunzelt Bommel.

Dass er auch diesmal nicht auf Dauer nach „Rom“ ziehen, sondern in Braunschweig bleiben werde, sei indes gebongt. Zwar seien seine drei Kinder jetzt schulisch soweit durch – persönlich hätten er und seine Frau in Niedersachsen aber ganz tief Wurzeln geschlagen.