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Bombendrohung Evakuierung nach Bombendrohung

Ein Unbekannter hat gedroht, eine Bombe in den Halberstadt hochgehen zu lassen. So haben die Evakuierten die Zeit bis zur Entwarnung erlebt.

Von Sandra Reulecke 24.06.2019, 21:41

Halberstadt l Es ist eine leere Drohung, aber eine folgenreiche. Um 9.50 Uhr hat sich ein Unbekannter am Montag, 24. Juni, über den Notruf gemeldet: In einer Stunde, um 10. 50 Uhr, werde er eine Bombe in den Halberstädter Rathauspassagen hochgehen lassen. Passiert ist zum Glück nichts.

Dennoch darf der Anrufer nicht hoffen, straffrei davonzukommen. Wie Polizeisprecher Uwe Becker mitteilt, läuft die Suche nach dem Mann. Fest stehe, dass er eine Telefonsäule am Fischmarkt, nahe der Treppe zur Martinikirche, benutzt hat. „Kriminaltechniker haben Spuren genommen“, informiert Becker. Er ruft Zeugen, die gestern Morgen etwas bemerkt haben, auf, sich zu melden.

Mit seinem Anruf hat der Unbekannte eine mehrstündige Ausnahmesituation ausgelöst: Noch bevor die ersten Polizisten vor Ort sind, beginnen Mitarbeiter des Ordnungsamtes gemeinsam mit dem Wachpersonal der Passagen damit, das betroffene Gebäude sowie den Holz- und Fischmarkt zu evakuieren. Wurde schon jemals zuvor eine Drohung gegen die Rathauspassagen ausgesprochen? „Nicht, dass ich mich daran erinnern könnte“, sagt Amtsleiter Ralf Fleischhauer. Mittlerweile steht er hinter dem Absperrband der Polizei, sieht den Beamten bei der Arbeit zu, telefoniert. Angespannt wirkt er nicht. „Die Polizei kümmert sich um alles“, sagt er und schickt seine Mitarbeiter zurück ins Büro.

Ein Großaufgebot der Polizei sorgt derweil dafür, dass niemand die Absperrungen ignoriert und in das Gefahrengebiet läuft – der Bereich rund um die Rathauspassagen und einige Gehwege sind abgesperrt.

Hinter dem weiß-roten Flatterband stehen Menschentrauben – Kunden und Mitarbeiter der evakuierten Geschäfte. „Nach der Durchsage mussten wir alles stehen und liegen lassen und sofort das Gebäude verlassen“, berichtet eine Verkäuferin. Zeit, persönliche Dinge wie Handtasche und Autoschlüssel zu holen, habe sie nicht gehabt. „Zum Glück hatte eine Kollegin etwas Geld in der Hosentasche und konnte uns etwas zu trinken kaufen.“

Auch Schaulustige wollen sich das Großaufgebot nicht entgehen lassen. Die Cafés am Rande des Holzmarktes sind ungewohnt gut besucht. Eine Gruppe fällt besonders auf: ein Freundeskreis, der einen 30. Geburtstag feiert. Sie waren gerade mit dem obligatorischem Treppefegen beschäftigt, als die Polizei anrückte. „Ich habe gerade drei Viertel der Treppe geschafft. Jetzt warten wir ab, ob wir zurück können“, sagt das kostümierte Geburtstagskind. Die Drohung mache seinen Geburtstag unvergesslich – er gehe nicht davon aus, dass eine ernsthafte Gefahr bestehe. „Hier passiert doch eh nichts“, kommentiert einer der Gäste.

Auch in der Tourist-Information, nur wenige Meter vom Evakuierungsbereich entfernt, herrscht keine Aufregung oder gar Angst. „Wenn die Situation für uns gefährlich wäre, hätte die Polizei schon etwas gesagt“, sagt eine Mitarbeiterin. Bis dahin arbeite sie normal weiter.

Ähnlich sieht die Situation in den benachbarten Buchläden aus. „Ich war so in meine Arbeit vertieft, ich weiß von nichts“, sagt eine Mitarbeiterin. „Ich habe mich nur gewundert, warum keine Leute auf dem Fischmarkt sind.“

Keine Leute – das bedeutet auch keine Kunden und kein Umsatz. „Den Tag können wir wohl abhaken“, sagt der Mitarbeiter eines Handy-Geschäfts.

Nur einer scheint von der Sperrung zu profitieren: Würstchenverkäufer Lutz Reinecke. Er hat seinen Verkaufsstand in Richtung Breiter Weg geschoben, als er seinen Stammplatz vor den Treppen zur Passage räumen musste. „Ganz ungewohnt, hier zu stehen“, sagt er. Er hat gut zu tun. Viele der Wartenden bekommen langsam Hunger. „Ich kann weitermachen, aber die aus der Passage tun mir leid.“ Denn gerade in der Mittagszeit sei die Passage gut besucht.

Doch statt Besuchern, die ihre Pause für einen Snack oder einen Shoppingbummel nutzen, laufen nun drei Sprengstoffsuchhunde durch das Einkaufszentrum. „Zwei von ihnen wurden aus Dessau eingeflogen“, berichtet Polizeisprecher Uwe Becker.

Oberbürgermeister Andreas Henke (Linke) hofft, dass die Tiere bei ihrer Suche nichts finden. Er ist wütend auf den Bombendroher. „Es ist niederträchtig und abscheulich, so mit den Ängsten der Mitarbeiter und Kunden zu spielen“, betont er. Als er von der Drohung hörte, habe er zunächst befürchtet, dass sie politisch motiviert sei und sich gegen das Rathaus richte. Doch für die Mitarbeiter dort besteht keine Gefahr. Sie dürfen im Gebäude bleiben und arbeiten – jedoch nicht die Ausgänge Richtung Einkaufsmeile nutzen.

Damit die Angestellten der Passagen-Geschäfte nicht länger in der Hitze stehen müssen, hat Henke sie in den Ratssitzungssaal eingeladen. Dort werden sie mit Wasser versorgt.

Kurz vor 15 Uhr endlich die Entwarnung: Die Sprengstoffsuchhunde haben nichts gefunden. Während die Händler und Kunden zurück in die Passagen dürfen, stellt sich bei vielen die Frage nach dem Warum. Langeweile, Frust oder ein Dum­me-Jun­gen-Streich?

Auch steht im Raum, ob diese Drohung etwas mit dem Eigentümerwechsel zu tun haben könne. Das beantwortet Engelbert Maus mit einem klaren Nein. Im vergangenen Jahr hatte die Frankonia Vermögensverwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft die Passage von der Wertkonzept-Gruppe erworben. „Wir haben keine Mieten erhöht und so etwas auch nicht angekündigt, von daher sehe ich diese Bombendrohung nicht gegen uns gerichtet. Da wollte sich wohl eher jemand wichtig machen“, sagte Maus. Auch dass die Tatandrohung politisch motiviert sein könnte, kann er sich nicht vorstellen. Die Frankonia gehört zur GBI Holding AG, deren alleinige Gesellschafterin die Moses-Mendelssohn-Stiftung ist. Diese widmet sich unter anderem Wissenschaft und Forschung der europäisch-jüdischen Geschichte.

Zeugenhinweise erbittet die Polizei unter Telefon (03941) 67 42 93