Brockenbahn Zweite Jungfernfahrt

Heute vor 25 Jahren ist Geschichte geschrieben worden: Nach drei Jahrzehnten Zwangspause rollten wieder Dampfzüge auf den Brocken.

Von Dennis Lotzmann 15.09.2016, 12:48

Wernigerode/Schierke l Volksfest- und Aufbruchstimmung am 15. September 1991 in Wernigerode und im Bahnhof Schierke. Die Kulisse konnte an diesem Sonntag besser kaum sein: Sonnig-warmes Herbstwetter erfreute zahlreiche Harzer, Gäste sowie Politiker und vor allem natürlich Eisenbahnfans, die mit Fototechnik ins Oberharzer Dorf gekommen waren, um einmalige Bilder festzuhalten. Beste Rahmenbedingungen also, um die Jungfernfahrt von zwei Dampfzügen gebührend zu feiern. Nach exakt 30 Jahren, einem Monat und zwei Tagen notgedrungenem Stillstand sollte es endlich wieder hinauf zum Brockenbahnhof gehen.

Um jenen geschichtsträchtigen Tag optimal ins Bild zu rücken, hatten die Verantwortlichen der 1991 gegründeten kommunalen Gesellschaft, die sich dem Erhalt des Harzer Schmalspurbahn-Netzes verschrieben hatten, alle Register gezogen. Einer Mallet-Lok – und damit einem der ältesten Dampfrösser der Schmalspurbahn – war die Auftaktfahrt hinauf zum 1125 Meter hohen Brockenbahnhof vorbehalten. Die Gäste in Schierke waren ebenso euphorisch wie knapp zwei Jahre zuvor, als am 3. Dezember 1989 zu Fuß und friedlich der hermetisch abgeriegelte Brockengipfel zurückerobert wurde. Nun also der nächste Schritt nach vorn, der zugleich einen historischen Schritt zurück symbolisierte.

Schließlich rollten bis zum 14. August 1961 planmäßig Züge hinauf. Dann wurde die beliebte Bahn um Spielball in der deutsch-deutschen Geschichte. Mit dem Bau der Berliner Mauer war endgültig Schluss mit den Touren auf den höchsten Harzgipfel. Hatten sich schon zuvor Geheimdienste auf dem topografisch und strategisch günstigen Plateau eingerichtet und für diverse Beschränkungen gesorgt, wurde der Gipfel nun zum Hochsicherheitstrakt ausgebaut.

Als im Sommer 1896 mit dem Bau der Harzquer- und Brockenbahn begonnen wurde, konnte niemand ahnen, welch wechselhaftes Schicksal dieser Bergstrecke bevorstehen sollte. Im Gegenteil: Ende des 19. Jahrhunderts nahm der Tourismus Fahrt auf, auch die Harzer wollten vom wirtschaftlichen Aufschwung, den die Eisenbahnen brachten, profitieren.

1896 begann der Bau der Harzquer- und Brockenbahn. Zwei Jahre später rollten zwischen Wernigerode und Schierke die ersten Züge. Schwierigkeiten aufgrund der Bodenbeschaffenheit sowie widrige klimatische Bedingungen behinderten den Ausbau des Restabschnitts. Erst am 27. März 1899 rollte der erste Zug hinauf zum Brocken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der politischen Teilung Deutschlands lag die Strecke plötzlich inmitten des Grenzgebietes und im Zentrum des politischen Spannungsfeldes, das Europa spaltete. Die Züge fuhren dennoch weiter zum nun auf dem Staatsgebiet der DDR liegenden Gipfel. Und es gab neue Herausforderungen: Eigens für die ersten Deutschen Wintersportmeisterschaften in Schierke, die 1950 stattfanden, wurde am Eckerloch ein neuer Haltepunkt gebaut.

Obwohl sich die Brockenbahn wachsender Beliebtheit erfreute und sieben Zugpaare täglich den Andrang nicht decken konnten, kam am 14. August per Ministerratsdekret das endgültige Aus. Fortan rollten nur noch Güterzüge. Zuletzt, in den 1980er Jahren, mit einer Fracht, die die innerdeutsche Teilung und Abschottung zu zementieren schien: Die tonnenschweren Betonsegmente, mit denen der Gipfel verschlossen wurde, wurden per Bahn transportiert.

Es war quasi die letzte Aufgabe der „ersten“ Brockenbahn. „Danach war das Netz so verschlissen, dass das zulässige Tempo im Jahr 1987 auf null Kilometer pro Stunde reduziert wurde“, berichtet Heide Baumgärtner, Sprecherin der heutigen Harzer Schmalspurbahnen (HSB).

Was einer Stilllegung der Brockenstrecke gleichkam, wurde nach der Wende zur Chance: Die Laxheit der DDR-Verantwortlichen, die Strecke nicht gänzlich aufzugeben, bot Gelegenheit, sie unkompliziert wieder in Betrieb zu nehmen.

Schließlich verbanden die Harzer mit dem Mauerfall am 9. November 1989 den Traum von der Wiederbelebung der Strecke. Nach dem Fall des Sperrgebiets auf dem Brocken am 3. Dezember wurden noch 1989 die ersten Forderungen nach der Wiederinbetriebnahme der beliebten Brockenbahn laut.

Das stieß nicht überall auf Zustimmung. Schnell entbrannte eine Debatte zwischen den Befürwortern einer Wiedereröffnung und den Gegnern. Eine erste Erkundungsfahrt im Juni 1990 sorgte für Ernüchterung. Die Strecke war in miserablem Zustand.

Gleichwohl packten es die Harzer an. Während eine Diskussion um die Zukunft der Harzer Schmalspurbahnen einschließlich der Selketalbahn insgesamt entbrannte, holte der damalige Wernigeröder Oberkreisdirektor und spätere Landrat Michael Ermrich (CDU) alle beteiligten Landkreise und Kommunen an einen Tisch. Am 13. März 1991 hoben sie eine Gründungsgesellschaft aus der Taufe mit dem Ziel, das Gesamtnetz zu erhalten und den Betrieb von der Deutschen Reichsbahn zu übernehmen. Wenn man so will, die Geburtsstunde für das heute rund 140 Kilometer lange Schmalspur-Netz im Harz.

Dabei wurden nicht nur die Wiederbelebung der Brockenbahn und die Sanierung des verschlissenen Gesamtnetzes Meilensteine, sondern auch die Streckenverlängerung der Selketalbahn von Gernrode nach Quedlinburg im März 2006.

Der Streit zwischen den Gegnern und Befürwortern der Brockenbahn eskalierte in den Nächten vor der Eröffnung: Unbekannte sägten ein rund 40 Zentimeter langes Schienenstück heraus und errichteten Hindernisse aus Granitsteinen auf den Gleisen. Jene Anschläge konnte freilich nicht verhindern, dass der Traum fast aller Harzer Wirklichkeit wurde: Am 15. September 1991 wurde die „zweite“ Brockenbahn mit dem historischen Traditionszug und den Dampfloks 99 5903 und 99 6001 sowie einem weiteren Sonderzug aus Wernigerode eröffnet. Hoffentlich für immer, wünschen sich viele Harzer.

Der fahrplanmäßige Zugverkehr zum Brocken startete mit dem Sommerfahrplan am 1. Juli 1992. Heute nutzen jährlich mehr als eine Million Fahrgäste aus aller Welt die Dampfzüge der „Größten unter den Kleinen“. Mit dem 140 Kilometer langen Streckennetz durch den Harz verfügt die HSB über das längste zusammenhängende Schmalspur-Streckennetz mit täglichem Dampfbetrieb in Europa.