Brockenwetterwarte Stürmische Zeiten

Die Brocken-Wetterwarte soll bis 2020 auf vollautomatischen Betrieb umgestellt werden. Kritiker warnen davor.

15.09.2017, 23:01

Brocken l Die Ankündigung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) mit Sitz in Offenbach, die Wetterwarte auf dem Brocken bis zum Jahr 2020 in eine vollautomatische Messstation umzuwandeln, sorgt in der Region für Kritik. Sowohl aus fachlicher, als auch aus touristischer Sicht sei die Abkehr von der mit aktuell sieben Mitarbeitern und rund um die Uhr besetzten Einrichtung „dramatisch und eine Katastrophe“, findet Evelyn Edler (Die Linke). Ihr Bestreben, über den Harzer Kreistag sowie den sachsen-anhaltischen Landtag den DWD davon zu überzeugen, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken, fand bislang kein Gehör. „Ich habe dazu im Kreistag eine Anfrage gestellt und bin auf wenig Interesse gestoßen, was ich sehr bedauerlich finde. Ich finde es nicht nachvollziehbar, dass diese besondere Wetterwarte ab 2020 ohne Personal arbeiten soll“, erklärt sie.

Immerhin hat es die Harzer Kreistagsabgeordnete gemeinsam mit den Mitgliedern des Arbeitskreises „Wirtschaft, Wissenschaft und Landesentwicklung“ ihrer Landtagsfraktion geschafft, in einen direkten Dialog mit dem DWD zu treten.

So folgte Vorstandsmitglied Jochen Dibbern, zuständig für die technische Infrastruktur beim DWD, der Einladung der Politiker in den Harz. Im sogenannten Schieberhaus der Rappbodetalsperre erläuterte er die Beweggründe, alle 182 Wetterwarten in Deutschland auf vollautomatischen Messbetrieb umzustellen.

Noch in den 1950er und 1960er Jahren, so der Experte, seien die Messstationen das Rückgrat des DWD gewesen. Inzwischen habe sich die Datenerfassung grundlegend gewandelt. „Die Bedeutung der Bodenmessung hat stark abgenommen“, sagte Dibbern. So würden nur noch wenige Daten von Bodenstationen überhaupt in die Berechnung der Wettervorhersagen einfließen. Die Masse werde über Satelliten, Flugzeuge, Schiffe und weitere Datenquellen erfasst. Die Vorhersagequalität sei damit deutlich gestiegen: von einem Tag in den 1970-er Jahren bis aktuell zu einer verlässlichen Sieben-Tage-Voschau.

Im Übrigen, so Dibbern, sei die weltweite Klimaforschung gänzlich auf vollautomatische Messung abgestellt. Bei den international vereinheitlichten Parametern werde keine einzige Augenbeobachtung mehr gefordert. Allerdings schränkte er ein, dass es bei der Wolkenbeobachtung und der Schneehöhenmessung durchaus Probleme mit vollautomatischen Messsystemen gebe.

Ein weiterer Grund für die Umstellung der Messstationen sei aber nicht zuletzt, dass die Mitarbeiter dringend in anderen Bereichen benötigt würden. Allen Kollegen würden Umsetzungen angeboten. Dieser Prozess werde durch die Personalabteilung begleitet.

Zur Zukunft des Gebäudes auf Norddeutschlands höchstem Berg merkte Dibbern an, dass die dann notwendigen Pflege- und Wartungsarbeiten an der menschenleeren Anlage ausgeschrieben werden sollen. Es gebe Dienstleister, die sich darauf spezialisiert hätten.

Für Karsten Schwanke, einen der bekanntesten deutschen Meteorologen, sind die Gründe des DWD, auf vollautomatische Messanlagen umzustellen, durchaus nachvollziehbar. Nicht zuletzt die wirtschaftlichen Zwänge. Denn laut Gesetz müsse der DWD seine erfassten Daten jedem kostenlos zur Verfügung stellen. Dass die Automaten allerdings genau so gute und verlässliche Daten liefern, wie die menschlichen Wetterbeobachter, daran hat der Wettermann der ARD so seine Zweifel. Speziell bei Starkregen-Ereignissen und der Schneemessung würden Automaten noch keine verlässlichen Ergebnisse liefern.

Der Brocken sei geradezu ein Paradebeispiel: „Eine korrekte Schneemessung auf dem Brocken ist doppelt schwer“, weiß Schwanke. Das Problem ist vor allem der Wind. Deshalb würden die Kollegen der Wetterwarte auch an verschiedenen Stellen auf dem Berg die Schneehöhen ermitteln. Wenn dort an einer Stelle ein Automat stehen würde, der 20 Zentimeter anzeige, obwohl etwas weiter weg zwei Meter Schnee liegen, sei dies „grober Unfug“, so Schwanke.

Doch auch bei bestehenden Systemen sieht der Meteorologe bereits Probleme: So würden die Ergebnisse der automatischen Stationen auf der Schmücke (Rennsteig) und in Zinnwald-Georgenfeld (Erzgebirge) nach seiner Erfahrung deutlich von den Handmessungen abweichen. Beim jüngsten Starkregen Ende Juni in Berlin habe die Handmessung in Berlin-Tegel eine deutlich höhere Wassermenge über 24 Stunden angezeigt, als der dort installierte Automat. Für eine verlässliche Wettervorhersage, so Schwanke, würden diese Daten allerdings kaum eine Rolle spielen. „Das Problem ist, dass die neuen Daten nicht mehr mit den alten verglichen werden können. Und das macht es für uns schwierig“, so der Wetterexperte.

Insbesondere wenn über Klimaveränderungen gesprochen wird, benötigen er und seine Kollegen vergleichbare Daten. „Deshalb richtet sich mein Appell auch dahin, dass zumindest die Schneehöhen und die 24-Stunden-Niederschlagsmengen weiterhin mit Hand gemessen werden. Das wäre wirklich wichtig“, so Karsten Schwanke. Er befürchte aber, dass es sehr schwer werden wird, den DWD noch davon zu überzeugen. „Ich bedauere diese Entwicklung sehr. Denn für uns Medien-Meteorologen bedeutet es, weniger gute Daten zu haben.“

Klaus Adler, Leiter der Messstation auf dem Brocken, bestätigte immerhin die Meinung der Politiker zur Bedeutung der Wetterwarte über die bloße Datenerfassung hinaus. „Wir sind mit rund 1000 Besuchern pro Jahr die Wetterwarte mit dem größten Publikumsverkehr in Deutschland“, machte er deutlich. Hinzu kämen unzählige Anfragen von Presse, Rundfunk und Fernsehsendern.

Für den Wernigeröder Ballonfahrer Winfried Borchert ist diese mediale Präsenz für den gesamten Harz enorm wichtig. „Die Wetterwarte hat eine Ankerfunktion für den Tourismus und die Wahrnehmung der Region“, sagt er. In erster Linie gehe es aber um den Sicherheitsaspekt verlässlicher Wetterdaten. Als Ballonfahrer sei er auf verlässliche Windrichtungs- und Windstärkedaten angewiesen.

Doch selbst die modernsten Instrumente würden zum Teil kuriose Messergebnisse liefern, habe er erfahren. Im Winter gebe es trotz extra installierter Heizsysteme Vereisungsprobleme. Und andere, bereits digitalisierte Bergwetterwarten, hätten mit großen technische Schwierigkeiten zu kämpfen. „Abgesehen von der medialen Wahrnehmung bedeutet die Umstellung keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt. Hier wird eine über Jahrzehnte bewährte Infrastruktur aufgegeben“, so Borchert. Umso mehr wundert es ihn, dass bislang kaum Kritik an der Entscheidung des DWD geübt werde: „Aber Brocken und Wetter gehören einfach zusammen.“