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Bürgergärten Lückenfüller mit Vorbildcharakter

Eigentlich sind die Grünflächen in der Halberstädter Judenstraße so etwas wie eine Notlösung. Dennoch sind sie eine Erfolgsgeschichte.

Von Sandra Reulecke 16.08.2017, 09:04

Halberstadt l Ein Stück Natur, mitten in der Stadt. Selbst an grauen Regentagen leuchten die Farben der Früchte und Blüten, Insekten und Schnecken fühlen sich hier zu Hause: die Bürgergärten in Halberstadt.

Das Projekt gefällt nicht nur Einwohnern und Besuchern der Stadt, wie ein neues Schild belegt. Das Kleinod unterhalb der Peterstreppe wurde mit der Plakette „Natur im Garten“ der Gartenakademie Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Mit dieser Plakette werde das Ziel der Gartenbesitzer gewürdigt, umweltbewusst zu gestalten und zu pflegen, wie die Stadtverwaltung mitteilt. Frei nach dem Motto „Gesund halten, was uns gesund hält“.

„Normalerweise muss man sich dafür bewerben. Auf uns ist die Gartenakademie von sich aus zugekommen“, berichtet Roswitha Hutfilz stolz. Sie ist die Chefin der Abteilung Stadtgrün in Halberstadt, und auch privat haben es ihr Pflanzen angetan. So hat sie ihren privaten Garten mit der Plakette auszeichnen lassen und kennt sich mit den Bedingungen für die Ehrung aus. „Zu den Kernkriterien zählt, dass auf Pestizide, auf chemisch-synthetische Dünger und auf Torf verzichtet wird“, erläutert Roswitha Hutfilz.

Doch nicht nur die Naturbelassenheit der Grünanlage ist ehrenwert. Wie Stadtplanerin Siegrun Ruprecht ankündigt, sind die Bürgergarten zudem ein Anlaufpunkt beim 25. Kongress „Städtebaulicher Denkmalschutz“, der am 29. und 30. August in Quedlinburg stattfindet. Die Teilnehmer – Vertreter verschiedener Städte und Kommunen, die sich mit dem Denkmalschutz auseinandersetzen – kommen für eine Themenwerkstatt nach Halberstadt, die unter dem Thema „Kommunikativ“ steht.

Dass diese Beschreibung auf die Bürgergärten zutrifft, kann Siegrun Ruprecht bestätigen. Sie pflegt selbst eine der Parzellen. Einen Großteil ihrer Freizeit verbringt die Stadtplanerin in ihrem Garten – zum Ernten, Unkraut zupfen, naschen und zum Erholen. „Ich habe dank der Gärten Kontakte zu Menschen geknüpft, die ich sonst vermutlich nie kennengelernt hätte“, berichtet sie. Einmal im Jahr feiern die Pächter der Bürgergärten gemeinsam ein Fest.

Klingt nach einer Erfolgsgeschichte. Dabei sind die Bürgergärten aus einer Notlage heraus entstanden. Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs sowie Vernachlässigung und Abriss in der Nachkriegszeit haben in der Judenstraße unübersehbare Spuren hinterlassen. Brachen und Ruinen prägten so diesen Teil der Stadt.

Da sich keine Investoren für die Flächen interessierten, habe die Stadt nach einer anderen Lösung gesucht, berichten Siegrun Ruprecht und Roswitha Hutfilz. Bei der Ideenfindung half Veronika Maier, eine Studentin der Landschaftsarchitektur.

„Uns war es wichtig, die Bürger von Anfang an mit ins Boot zu holen und ihre Vorschläge zu hören“, betont Siegrun Ruprecht. Gemeinsam mit den Anwohnern wurde ein Konzept für die Bürgergärten erarbeitet. Acht Pächter haben sich letztlich bereit erklärt, jeweils eine der Parzellen zu pflegen und ihr einen individuellen Charakter zu verleihen.

Bis sie das in die Tat umsetzten konnten, gab es viel zu tun: Es wurden 1400 Tonnen Bauschutt entfernt und 550 Kubikmeter Muttererde aufgebracht, ein Brunnen für die Wasserversorgung gebohrt sowie Hecken und Zäune gesetzt. Die Kosten, rund 75 000 Euro, übernahm die Stadt.

Im Juni 2014 war das. Seitdem erinnert nichts mehr an die einstige Trostlosigkeit. Wie Siegrun Ruprecht betont, kümmern sich die Hobby-Gärtner nicht nur um ihre Anlagen, sondern auch darum, dass das Umfeld sauber bleibt. Vandalismus, wie zu Beginn des Projekts von Kritikern befürchtet, blieb aus.

Ein Wermutstropfen jedoch bleibt. Die Bürgergärten sind ein Provisorium, betonen die beiden Mitarbeiterinnen der Verwaltung. Sollte sich ein Bauherr für die Flächen interessieren, werden die Pachtverträge mit den Gärtnern aufgehoben. Die haben ohnehin einen eher symbolischen Charakter: Die Pächter zahlen für die Nutzung nichts.