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Corona-Impfung Hoffnungsschimmer aus Halberstadt

1,6 Millionen Corona-Infizierte, fast 30.000 Tote: Ein düsteres Jahr für Deutschland. Den ersten Piks der Hoffnung gab es in Halberstadt.

27.12.2020, 10:54

Halberstadt/Berlin (dpa) l Auch im stolzen Alter von 101 Jahren kann man noch berühmt werden. Im Fall von Edith Kwoizalla reichte ein kurzer Piks in den Oberarm, um in die deutsche Pandemie-Geschichte einzugehen. Die Bewohnerin eines Seniorenzentrums in Halberstadt im Harzer Vorland wurde geboren, als die Spanische Grippe Millionen Menschen in Europa dahinraffte – zu einer Zeit, als es noch wenige Schutzimpfungen gab. Am Samstag war sie, nach allem was man weiß, die Erste in Deutschland, die gegen das Coronavirus geimpft wurde. Ein Leben zwischen zwei der verheerendsten Pandemien, die die Welt in der jüngeren Geschichte erlebt hat. Nach ihrer Impfung macht sie den Eindruck, als sei sie ihr gut bekommen: "Mir geht's gut", sagt sie in die Kameras.

Eigentlich erfolgte die Impfung Kwoizallas, rund 40 weiterer Heimbewohner sowie zehn ihrer Pfleger viel zu früh. Die ganze Europäische Union hatte sich darauf verständigt, erst am 27. Dezember, also am Sonntag loszulegen. Erst scherte das stets sehr eigenwillige Ungarn aus, dann auch die Slowakei und schließlich der Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt. Den Verantwortlichen im dortigen Pandemiestab und dem Halberstädter Heimleiter Tobias Krüger leuchtete nicht ein, warum man angesichts der Dramatik der Lage noch Zeit verlieren sollte. "Jeder Tag, den wir warten, ist ein Tag zu viel", sagte Krüger.

Der zivile Ungehorsam zeigt, wie ungeduldig die Impfung von vielen in Deutschland erwartet wird. Wenn es am Ende dieses düsteren Jahres 2020 etwas gibt, das die Menschen im Land eint, ist es der Wunsch nach einer möglichst schnellen Rückkehr zur Normalität. Und der nun verabreichte Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech und des US-Konzerns Pfizer macht zumindest Hoffnung darauf.

Das sieht auch Gesundheitsminister Jens Spahn so. Als er am Samstag vor die Presse tritt, um für die Impfung zu werben, lautet seine zentrale Botschaft: "Dieser Impfstoff ist der entscheidende Schlüssel, diese Pandemie zu besiegen. Er ist der Schlüssel dafür, dass wir unser Leben zurückbekommen können."

Spahn gibt sich bei der Erläuterung des weiteren Vorgehens ziemlich optimistisch. 1,3 Millionen Dosen sollen noch vor Jahresende verabreicht werden, Ende März sollen es schon weit mehr als zehn Millionen sein. Und Mitte des Jahres will Spahn bereits allen Menschen in Deutschland ein Impfangebot machen können, die sich impfen lassen wollen. "Der Herbst und der Winter und auch das Weihnachten des kommenden Jahres, sollen nicht mehr im Zeichen dieser Pandemie stehen."

So viel Optimismus klingt kühn. Es gibt noch jede Menge Unwägbarkeiten. Gibt es Komplikationen mit den unterschiedlichen Impfstoffen? Wirken sie gegen alle Mutationen des Virus, die da noch kommen mögen? Lassen sich genug Menschen impfen, um die vielbeschworene Herdenimmunität zu erreichen?

Andererseits ist die Zuversicht wahrscheinlich auch notwendig, um die Menschen zur Impfung zu bewegen. Die Skepsis ist groß. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur haben 57 Prozent der Deutschen Angst vor Nebenwirkungen. Zwar wollen fast zwei Drittel sich impfen lassen. Aber nur die Hälfte davon ist sofort dazu bereit. Die anderen wollen erst einmal mögliche Folgen bei anderen abwarten.

Nach Schätzung von Experten müssen sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung impfen lassen, damit die Pandemie wirkungsvoll bekämpft werden kann. Ob das Virus so auch endgültig besiegt werden kann, ist allerdings fraglich. "Die Impfung wird eine große Wirkung haben, aber ich denke, dass niemand die Auslöschung des Virus versprechen kann, solange wir nicht viel mehr darüber verstehen", sagte der Nothilfekoordinator der Weltgesundheitsorganisation WHO, Mike Ryan, vor einigen Wochen.

Die Bundesregierung wirbt nun mit dem Slogan "Ärmel hoch" dafür, dass so viele wie möglich mitmachen. Am Samstag wurden die ersten etwa 150 000 tiefgefrorenen Impfdosen teils mit Polizeieskorte aus einer Impfstoff-Fabrik in Belgien in die Zwischenlager in den Bundesländern gebracht. Am Sonntag schwärmten mobile Impfteams vor allem in Pflegeheime aus. Zuerst sollen Menschen über 80 Jahre sowie Pflegekräfte und Gesundheitspersonal mit sehr hohem Infektionsrisiko - etwa in Intensivstationen, Notaufnahmen und Rettungsdiensten – geimpft werden.

In Stufe 2 sind über 70-Jährige und Menschen mit hohem Risiko für schwere Corona-Verläufe an der Reihe – etwa mit Trisomie 21, Demenz oder einer geistigen Behinderung. Zur Gruppe 3 mit "erhöhter" Priorität gehören über 60-Jährige und Menschen mit Krebs und weiteren Erkrankungen etwa am Herzen, mit Diabetes oder Asthma.

In dieser Gruppe sind auch Polizisten, Feuerwehrleute, Katastrophenschützer und Erzieher sowie Politiker aus Bundestag und Bundesregierung. Von letzteren will sich aber niemand vordrängeln. Während sich US-Vizepräsident Mike Pence, der künftige US-Präsident Joe Biden oder der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor laufenden Kameras impfen ließen, um den Bürgern ein Vorbild zu sein, ist man hierzulande zurückhaltend.

Spahn sagt, man könne es in dieser Frage nicht allen recht machen. "Wenn sich die Politik zuerst impfen lässt, werden einige sagen: typisch, die wieder zuerst, und wann sind wir dran?" Andererseits heiße jetzt schon hier und da: "Warum lassen die sich eigentlich nicht impfen, ist etwas nicht ok?" Bis der Gesundheitsminister und die Bundeskanzlerin ihren Piks bekommen, wird es also wohl noch eine Weile dauern. Allerdings betont Spahn, dass es an der Impfbereitschaft der Bundesregierung grundsätzlich nicht mangele: "Sollte es zu einem gegebenen Zeitpunkt auch Sinn machen, um Vertrauen zu stärken, ist jeder von uns als erstes bereit, sich auch impfen zu lassen."