CoronaLockdown in Halberstadt

Bund und Länder haben sich auf Verlängerung und Verschärfung der pandemiebedingten Beschränkungen geeinigt. Was sagen Halberstädter dazu?

Von Sabine Scholz 27.11.2020, 00:01

Halberstadt l Wird es, wenn auch in abgespeckter Variation, einen Halberstädter Weihnachtsmarkt geben? „Diese Frage kann ich noch nicht beantworten“, sagt Jens Ganso, der Organisator des Advents- trubels am gestrigen Donnerstag gegenüber der Volksstimme. Die finale Entscheidung falle erst am 27. November – in einer gemeinsamen Runde mit Akteuren der Stadtverwaltung. Man wolle abwarten, sagt Ganso, wie die Landesregierung die am 25. November vom Bund gefassten Regelungen zur Lockdown-Verlängerung umsetzen wolle.

Fest steht, dass, selbst wenn die Entscheidung zugunsten eines Marktes fällt, dieser nicht wie gewohnt aussehen wird. Schon vor Wochen kündigte Ganso an, dass der Umfang der Buden und Fahrgeschäfte erheblich reduziert werde. Auch auf Besuche vom Weihnachtsmann oder einer Märchenerzählerin werde angesichts der Pandemie verzichtet.

Rotkäppchen und Cinderella sollten es an anderer Stelle sein, die Vorfreude verbreiten. Die Kostüme sind lange fertig, es wurde geprobt, alles war bereit zur Premiere, dann kam das Veranstaltungsverbot für den November. Also hoffen auf den Dezember. Doch seit Mittwochabend ist klar: Weihnachtsmärchen und -ballett werden am Nordharzer Städtebundtheater nicht zu erleben sein. Bis zum 20. Dezember bleibt der Vorhang geschlossen.

„Natürlich verstehen wir, dass angesichts der Fallzahlen Kontakte minimiert werden müssen“, sagt Theatersprecher Daniel Theuring. „Und Theater ist ein großer Betrieb, wir produzieren ja quasi Kontakte. Aber es ist schon bitter, jetzt wieder nicht spielen zu dürfen.“

Immerhin, und das mache die Situation etwas erträglicher, dürfen die Theaterleute noch proben, sagt Theuring. „Aber so langsam müssen wir auch mal mit all dem rauskommen dürfen. Wir schieben gerade wie mit einem Schneeschieber einen großen Haufen an Inszenierungen vor uns her.“ Die Lagermöglichkeiten für Kostüme und Bühnenbilder sind begrenzt, auf Halde kann ein Theater nicht produzieren.

Dass nun die Vorweihnachtszeit im Theater ausfällt, sei doppelt bitter. Gerade die Weihnachtsinszenierungen seien oft mit Doppelvorstellungen an einem Tag ausgebucht. „Auch die Schulen sind traurig, dass sie nicht mit den Klassen kommen dürfen. Wir hatten mit den Hygienekohorten geplant, aber nun geht gar nichts.“ Ob über Weihnachten gespielt werden kann? „Wir wissen es nicht, aber die Bereitschaft ist zum Beispiel beim Schauspiel­ensemble da“, sagt Daniel Theuring.

Mehr Planungssicherheit haben da die Kirchengemeinden. „Das Selbstorganisationsrecht der Kirchen ist zum Glück bestehen geblieben und wird es hoffentlich auch in den kommenden Monaten“, sagt Dompfarrer Torsten Göhler. Die Gemeinden wüssten das sehr zu schätzen und agierten mit Augenmaß, wissend, dass andere komplett zum Nichtstun gezwungen sind.

Die Evangelische Gemeinde Halberstadt hat Hygienekonzepte für die Gottesdienste entwickelt, die auch eingehalten werden. „Wir merken aber, dass manche Gemeindeglieder wegbleiben, die zu den Risikogruppen gehören. Für die produzieren wir nach wie vor alle zwei Wochen einen Audiogottesdienst, der per CD oder im Internet verfolgt werden kann. Und wer diese Möglichkeit nicht hat, kann auch die Telefonandacht mit Vikarin Marie-Luise Gloger nutzen“, berichtet Göhler.

Zurzeit laufen in der Stadtgemeinde die Vorbereitungen für die Adventszeit und die Heiligabend-Gottesdienste, die werden zumeist unter freiem Himmel stattfinden, kündigt der Dompfarrer an.

Nach draußen ausweichen können Gastwirte derzeit nicht. Chris Schöne treibt die Unsicherheit um, die auch nach der Bund-Länder-Runde nicht weniger geworden ist. „Wir wissen nicht, ob wir Weihnachten aufmachen dürfen oder nicht. Viele Gäste rufen an und fragen, aber wir können keine Auskunft geben.“ Der Chef vom Restaurant und Hotel „Am Sommerbad“ weiß wie viele seiner Kollegen momentan nicht, wohin die Reise geht. „Normalerweise haben wir im Oktober/November die Weihnachtsplanung durch, da sind Tischpläne geschrieben, Dienste klar, der Einkauf geregelt.“

Doch in diesem Jahr könnten weder Gäste noch Gastronomen planen. „Wenn dann erst am 20. Dezember gesagt wird, ihr dürft aufmachen, ist das auch zu spät. Wir müssen ja Ware bestellen, weil sonst manches einfach nicht lieferbar ist. Und auch ob Außerhaus-Verkauf sich über die Feiertage lohnen würde, wissen wir nicht. Wenn wir aufmachen dürfen, würden wir das vermutlich gar nicht schaffen.“

Die zweite Zwangsschließung ist inzwischen für viele Wirte eine existenzielle Bedrohung, die finanziellen Puffer sind oft aufgebraucht, Stundungszahlungen, die fast alle beglichen waren, laufen häufen sich nun erneut an. Und die zugesagte Hilfe? „Wir können jetzt Anträge für die Novemberhilfe stellen. Keiner weiß, wann das Geld fließt. Sinnvoll wäre da eine Abschlagszahlung gewesen. Und es weiß auch keiner, welche Kennzahlen für den Dezember gelten sollen. Als Unternehmer steht man hier momentan ziemlich auf verlorenem Posten.“ Denn auch den Mitarbeitern könne man wenig sagen, ab wann und ob es vernünftig weitergeht. „Wir Gastronomen wollen ja arbeiten, viele haben neue Ideen entwickelt, investieren wie wir in neues Marketing. Der Oktober lief gut, da haben alle aufgeatmet. Und jetzt das.“ Wirklich hilfreich, betont Schöne, wäre eine langfristigere Aussage.

Diese Ansicht teilt Museumschefin Antje Gornig. Auch sie wisse nicht, was sie ihren Mitarbeitern sagen soll, wann und wie es weitergeht. „Es ist demotivierend“, sagt die Neu-Halberstädterin. Aber: „Ich bin optimistisch und plane schon für das kommende Jahr.“ Pläne hatte sie jedoch auch reichlich für den Dezember, Hygiene-Konzepte schon erarbeitet. Es seien Veranstaltungen, eine Dauerausstellung und Führungen vorgesehen gewesen, die nun gecancelt werden mussten. Ebenso liegt die Zusammenarbeit mit mehreren Schulen nun auf Eis. Ein Punkt, der sie bei allem Verständnis für die Regeln zur Eindämmung der Pandemie besonders ärgere. „Wir sind schließlich auch eine Bildungseinrichtung“, betont Antje Gornig.

Nicht nur in Hinsicht auf Museumsbesuche, Exkursionen und Klassenfahrten hat die Verlängerung des Lockdowns Auswirkungen auf Schulen. Die Weihnachtsferien werden um zwei Tage verlängert. „Das halte ich für vertretbar und sinnvoll, um ohne einen Anstieg der Fallzahlen – trotz Familientreffen an den Feiertagen – und mit besseren Voraussetzungen ins neue Jahr zu starten“, sagt Anja Werner. Die Zweifach-Mutter arbeitet als Lehrerin in Halberstadt.

Sie habe festgestellt, dass die Stimmung vieler Kinder und Jugendlicher in dieser Vorweihnachtszeit ungewohnt melancholisch sei. „Es machen sich Resignation und Lethargie breit, weil kein Ende absehbar ist“, schätzt die Pädagogin ein. Andererseits, so sei ihr Eindruck, wüssten die Mädchen und Jungen jeden persönlichen Kontakt, der aktuell erlaubt ist, seit dem ersten, strengeren Lockdown im Frühjahr besser zu schätzen.

„Dass die sozialen Kontakte so leiden müssen, ist mit Geld nicht aufzuwiegen“, sagt auch Thomas Rimpler. Er habe Verständnis, dass angesichts der anhaltend hohen Zahl an Neuansteckungen strengere Regeln notwendig seien, ergänzt der Wirtschaftsförderer der Stadt Halberstadt. „Aber das ist natürlich eine Katastrophe für die Branchen, die davon besonders betroffen sind.“ Die Hilfspakete, die Land und Bund für diese Bereiche in Aussicht stellen, seien wichtig. „Doch den tatsächlichen Schaden können sie nicht decken.“

Auch Vereine haben aufgrund der coronabedingten Einschränkungen eine schwere Last zu tragen. „Unser Vereinsleben ruht seit einem dreiviertel Jahr“, bestätigt Volker Bürger, Vorsitzender des Halberstädter Geschichtsvereins. Ohne Veranstaltungen und Zusammenkünfte sei es schwer, über so einen langen Zeitraum den Kontakt zu den Mitgliedern aufrechtzuerhalten. Davon, neue Ideen und Projekte umzusetzen, ganz zu schweigen. „Aber ich bin der Ansicht, dass es jetzt erforderlich ist, sich den Maßnahmen zu beugen, damit dann spätestens ab Frühjahr ein normaleres Vereinsleben stattfinden kann“, sagt Bürger optimistisch.