Coronavirus Corona sorgt für Comeback der Dose
Dosenprodukte werden in Krisen gehamstert. Davon konnte auch die Halberstädter Wurst- und Fleischkonserven GmBH profitieren.
Halberstadt l Für Berufstätige ist sie mittags der Lichtblick im Home-Office. Und manch leidgeplagtes Elternteil hat im März und April wohl häufiger zugegriffen, wenn sie im Supermarktregal stand: Die Dose. Sie steht für eine solide Mahlzeit ohne viel Zeitaufwand, wohl aber mit dem Makel eines Fertigproduktes. Einige Zeitgenossen kauften sogar vorsorglich dutzende Konserven, um sich für die drohende Provat-Quarantäne in der Corona-Krise zu rüsten.
„Ja, wir haben die erhöhte Nachfrage definitiv zu spüren bekommen“, sagt Silke Erdmann-Nitsch. „Kantinen und Restaurants waren schließlich geschlossen.“ Silke Erdmann- Nitsch ist Geschäftsführerin der Halberstädter Würstchen- und Fleischkonserven GmbH, einem Unternehmen, das neben den namensgebenden Würstchen auch Fertiggerichte herstellt. Neben dem Lebensmittelbetrieb in Halberstadt gehören das Hotel „Villa Heine“ in Halberstadt, eine Wurst-Fabrik in Lehrte sowie ein Hotel im niedersächsischen Weserbergland zum Unternehmen der Familie Nitsch, für das rund 200 Beschäftigte arbeiten.
Besonders das Dosensuppen-Segment fand reißenden Absatz, wie Erdmann-Nitsch im Volksstimme-Gespräch berichtet. Welche Speise sich am besten verkauft habe? „Das kann ich gar nicht so genau sagen – ob die Linsensuppe, die Kartoffelsuppe? Eigentlich alle“, sagt sie. Sie sieht die große Nachfrage auch im Geschmack begründet. „Unsere Suppen werden im Kessel gekocht wie bei Oma, die schmecken wie selbstgekocht und das haben die Kunden zu schätzen gewusst.“
Suppen machen ihr zufolge 50 Prozent des Umsatzes aus. Die Fertiggerichte aus der Dose werden seit Anfang der 1990er in dem Traditionsunternehmen mit Sitz in Halberstadt produziert. „Damals ist aus der Not eine Tugend entstanden. Wir hatten die Würstchen und haben sie genutzt“, erinnert sie sich. „Mein Vater Ulrich hat immer gesagt, man muss sich auf Fertiggerichte spezialisieren, weil sich die Arbeitswelt verändern würde. Er hatte die richtige Intuition. Man braucht heute einfach ab und zu eine schnell verfügbare Mahlzeit.“
Seit April sei der Absatz der Dosenprodukte immer weiter gestiegen, bis er im Mai seinen Höhepunkt erreicht hatte. Mit den Lockerungen, wie der Öffnung der Gaststätten, sei die Nachfrage abgeflacht. „Jetzt sind wir langsam wieder in normalem Fahrwasser und können unser Lager auffüllen“, berichtet sie.
Ob die Leute ihre Dosen direkt verzehrt haben oder immer noch im Keller für einen möglichen zweiten Lockdown lagern, vermag Silke Erdmann- Nitsch nicht zu sagen. „Ich denke aber, dass unsere Produkte verbraucht worden sind.“ Sie habe es an ihrer eigenen Familie gesehen. „Wir mussten natürlich auch jeden Tag ein Essen auf den Tisch bringen. Lieferservice kann man nicht jeden Tag machen. Das geht ins Geld. Entweder kocht man vor oder man öffnet eine Dose“, sagt sie. „Ich habe seit Jahren selbst keine Suppe mehr gekocht. Selbst meine Mutter nimmt unsere Suppen, seitdem sie nur noch für unseren Vater und sich kocht.“
Selbstverständlich seien bestimmte Abläufe auch in dem Halberstädter Unternehmen während der Corona-Krise umgestellt worden. So entfielen beispielsweise die Betriebsbesichtigungen. „Kein Kunde darf einen Weg kreuzen, den ein Mitarbeiter nutzt“, erklärt Silke Erdmann-Nitsch. In der Folge werde niemand von außerhalb ins Unternehmen gelassen.
Aufgrund der hohen Nachfrage sei die Produktion ausgeweitet worden. „In der Regel haben wir nur festangestellte Mitarbeiter“, sagt die Geschäftsführerin. „Jetzt hatten wir so eine tolle Nachfrage, dass wir zusätzliches Personal brauchten.“ Da die Mitarbeiter im Hotel „Villa Heine“ wenig zu tun hatten – Restaurant und Brauhaus waren geschlossen, das Hotel nur für Geschäftsreisende geöffnet – könnte Silke Erdmann-Nitsch hier Personal für die Lebensmittelproduktion akquirieren.
„Wir konnten zum Glück vieles mit dem Hotelpersonal abdecken“, sagt sie. „Das hat uns enger zusammengeschweißt. Ich habe vor vier Wochen alle zurückgeholt. Ich habe im Hotelteam einen ganz tollen Zusammenhalt.“ Die Mitarbeiter seien froh gewesen, dass sie nicht in Kurzarbeit mussten.
„Wir haben trotzdem noch Zeitarbeiter hinzugenommen. Wir haben vom Band runter und direkt in den Lkw geliefert. Es war ein Druck von der Handelsseite zu spüren. Jeder wollte als erstes bedient werden“, blickt sie zurück. Nun sei das Lager leer. Nach und nach werde wieder aufgefüllt. In erster Linie gehen die Produkte in den Einzelhandel. „Wir liefern auch ins Ausland. Wir haben viele Jahre Spanien beliefert. Unseren Hauptumsatz machen wir in Deutschland“, sagt sie.
Ein Bier, das im Brauhaus der Villa Heine kurz vor dem Shutdown gebraut worden war, habe sich in der Krise zum Selbstläufer entwickelt. „Ich hatte die Tanks noch voll mit 3000 Litern. Was sollten wir damit machen? Wir haben das Bier schließlich in Halbliterflaschen abgefüllt und abverkauft. Das ist jetzt ausverkauft. Jetzt wird wieder gebraut, aber das dauert ja seine Zeit.“
Den Skandal rund um einige Schlachtbetriebe, die ihre Mitarbeiter unter verheerenden Umständen untergebracht hatten, sodass sich das Virus ausbreiten konnte, habe sie mit Betroffenheit verfolgt. „Als ich das gehört habe, habe ich gedacht, die müsste man strafrechtlich belangen“, sagt sie. „Wie kann man Leute in der jetzigen Zeit so unterbringen? Wenn man nicht verantwortlich mit Mitarbeitern umgeht, dann geht man erst recht nicht verantwortungsbewusst mit Lebensmitteln um.“ Schwarze Schafe schadeten der gesamten Branche, rückten alle, die sauber und ordentlich arbeiten, in ein schlechtes Licht.
Zwar seien Besucher derzeit nicht willkommen in der Fabrik aus Hygienegründen, doch ein Treffen fand trotz der Einschränkungen regelmäßig statt: Jeden Dienstag trifft sich die Geschäftsführung im Betrieb zu einem besonderen Meeting. „Dienstagmittag um 12 Uhr sitzt die Geschäftsleitung mit den Führungsmitarbeitern zusammen. Wir kosten alle Chargen durch. Dadurch sieht man sofort, was gut gelaufen ist, was nicht gut gelaufen ist“, sagt sie. „Auch in Corona-Zeiten lief das weiter, allerdings haben wir das Verkostungsteam verkleinert.“
Nicht fehlen durften ihr Bruder Stefan und ihr Vater. Stefan Nitsch leitet die Produktion, während Silke Erdmann Nitsch für den Hotel- und Gastrobereich verantwortlich ist. „Mein Vater kommt jede Woche nach Halberstadt und nimmt an der Verkostung teil. Es ist toll, dass er sich noch einbringt. So haben wir jemanden, dem man auch mal Sorgen anvertrauen kann“, berichtet sie.
Dass ihr Bruder und sie die Fäden im Unternehmen zusammenhalten, schreibt sie der Begeisterung ihres Vaters für seinen Beruf zu. „Meinem Vater hat sein Job immer viel Spaß gemacht. Der war immer da für die Familie und hat stets positiv über seinen Job gesprochen“, erinnert sie sich. „Mein Bruder hat Fleischer gelernt und Lebensmitteltechnolgie studiert. Ich habe Steuerfachangestellte gelernt und anschließend meinen Volljuristen gemacht.“
Obwohl die Dosensuppen förmlich vom Band weg verkauft wurden, hafte der Dose ein durchwachsenes Image an. „Fertiggerichte und Dosen haben nicht so einen guten Ruf.“, sagt Silke Erdmann-Nitsch. Dabei sei die Dose besser als ihr Image. „Die Produkte sind zwar in Dosen verpackt, aber das sind 100 Prozent recyclebare Verpackungen“, sagt sie.
In der Dosen landeten zudem frische Zutaten. „Es sind keine Geschmacksverstärker drin. Wir nehmen gefrostetes Gemüse, das direkt zu uns geliefert wird. Die Fleischbrühe wird in großen Kesseln abgekocht.“ Ihre Mitbewerber kochten derweil direkt in der Dose. Die Zutaten kommen abgezählt in die Dose, dann kommt das Wasser, dann wird die Dose verschlossen und dann wird gekocht. Bei uns wird im Kessel gekocht. Wir können deshalb auch nicht sagen, dass da exakt 20 Möhren drin sind. Bei uns ist nicht alles gleich.“
Die Krise habe vor allem die beiden Hotels mit ihren Gaststätten hart getroffen. Viel habe an Ware vernichtet werden müssen. Corona habe damit auch ihren Blick auf die Aufstellung des Familienkonzerns beeinflusst, gesteht sie. „Früher dachten wir immer, wie gut es ist, im Freizeitbereich zu investieren. Die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, breit aufgestellt zu sein. Es ist schön, die Würstchenproduktion zu haben“, so Silke Erdmann-Nitsch. „Und ich hoffe, dass unsere Verbraucher unser Produkt wieder kennen- und lieben gelernt haben. Es ist eigentlich ein tolles Produkt.“