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Coronavirus Keine Perspektive für die Theaterbühne

Die Halberstädter Theaterleute sind schwierige Situationen gewohnt. Doch die Ungewissheit wegen der Corona-Krise zerrt extrem an den Nerven.

Von Sabine Scholz 10.05.2020, 04:00

Halberstadt l Kostüm und Bühnenbild sind fertig, aber wird es Ronja Räubertochter in den Harz schaffen? Ins Bergtheater, auf Klosterhöfe? „Wir könnten demnächst mit den Proben beginnen, aber ist das sinnvoll? Werden wir auftreten können? Jede Woche gibt es eine andere Aussage, aber wie es mit den Theatern weitergehen soll, ist völlig offen“, sagt Johannes Rieger. Wartet man zu lange, könnte es sein, dass die Probenzeit nicht mehr ausreicht, erklärt der Intendant des Nordharzer Städtebundtheaters, warum diese Ungewissheit so nervenzehrend ist.

Theoretisch gilt bis zum 27. Mai Spielverbot. Danach gäbe es noch sechs oder sieben Vorstellungen im Haus. Aber wird man das Haus öffnen? Unter welchen Bedingungen? In Thüringen hat man einen harten Schnitt gemacht, die Spielzeit für beendet erklärt, die Häuser bereiten die nächste Saison vor. „Die wissen zumindest, woran sie sind“, sagt Rieger.

Wie so oft stecke der Teufel im Detail. „Wenn wir Abstände einhalten sollen, müssen wir auch Ehepaare getrennt platzieren? Was ist mit Paaren ohne Trauschein? Und wer soll das bitte kontrollieren?“ Auch Fragen wie eine Maskenpflicht bewegen die Theatermacher im Land. Drei Stunden Oper genießen – mit Schutzmaske?

Noch unklarer wird es beim Schutz der Mitarbeiter. Die Berufsgenossenschaft habe Empfehlungen herausgegeben, „aber leider, ohne vorher die Praktiker einzubeziehen“, so Rieger, eine Tatsache, die den Theaterleuten nicht fremd sei. Deutscher Bühnenverein und Deutsche Theatertechnische Gesellschaft blieben außen vor. So sollen Abstände bei Blasmusikern in Blasrichtung zwölf Meter betragen. Wie soll man da noch ein Orchester auf eine Bühne, geschweige denn in einen Orchestergraben bekommen? Und Sänger und Schauspieler sollen sechs Meter von einander entfernt stehen. Auf kleinen Bühnen nicht zu leisten. Singen mit Visier? Eine Möglichkeit, aber leider habe das noch niemand mal ausprobiert.

Es wäre höchste Zeit für eine Task Force des Kulturministeriums, die sich mit verbindlichen Standards befasst und dabei bedenkt, das Sprechtheater andere Anforderungen haben als Musiktheater. „Wir können unsere Häuser ja nicht komplett umbauen.“ Es brauche dringend ein Branchengespräch in Bund und Ländern zu den Theatern.

Es gibt viele offene Fragen. Manchmal, sagt Johannes Rieger, habe er das Gefühl, nicht nur in eine Glaskugel zu blicken sondern einen ganzen Glaskugelwald vor sich zu haben. Aber resignieren? Nicht vorstellbar.

Also überlegt das Team, ob Freilichtaufführungen auf Plätzen und Höfen möglich sind, wo man die Stühle der Zuschauer weit genug voneinander entfernt aufstellen kann. Operetten lassen sich auch in kleinen Besetzungen spielen. Die große Frage allerdings, ob und ab wann solche Angebote möglich wären und wie viele Zuschauer daran teilhaben dürften? Bis Ende August sind alle Großveranstaltungen untersagt. Sind 200 Zuschauer eine Großveranstaltung?

Während solche Fragen offen sind, ist zumindest die Absicherung der Mitarbeiter geklärt. Beide Arbeitgeberverbände und alle vier Gewerkschaften, die als Tarifpartner für das Nordharzer Städtebundtheater agieren, haben einer Kurzarbeiterregelung zugestimmt, die auch für den öffentlichen Dienst möglich ist. Allerdings nur in den „exotischen Randbereichen“, wie Rieger sagt, also Einrichtungen, die Einnahmen generieren wie Museen, Theater und Co. Bedingung der gewerkschaftlichen Zustimmung war, das kleine Einkommen weiter in voller Höhe gezahlt werden.

Einen Teil der Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken, senkt ein wenig die Kosten, die Monat für Monat auflaufen, ohne dass das Haus Einnahmen erzielen kann. Denn auch wenn Land und Träger – Landkreis Harz sowie die Städte Quedlinburg und Halberstadt – die Theaterarbeit finanzieren, die Wirtschaftlichkeit sollte man nicht ganz aus den Augen verlieren. Auch nicht als Kulturbetrieb.

Eigentlich treibe alle im Städtebundtheater etwas anderes an. „Wir wollen Kunst machen“, sagt Intendant Rieger. Um so härter hätte es alle Beteiligten getroffen, das eine aufwändige und Aufmerksamkeit erregende Inszenierung wie „Schwanensee“ nur zwei Vorstellungen erlebt hat. „Die lustigen Weiber von Windsor“ mussten drei Tage vor der Premiere ins Aus geschickt werden.

Eine schöne Erfahrung in diesen Krisenzeiten sei das ungebrochene Engagement der Theaterfördervereine und die Reaktion vieler Zuschauer, die auf eine Rückerstattung bereits erworbener Karten verzichteten oder die angebotene Gutscheinlösung akzeptierten. Sichtbares Zeichen dafür, dass die Menschen auf ihr Harztheater nicht verzichten wollen.