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Dialog gefordert Lautstarker stiller Protest

Die Landwirte, auch rund um Halberstadt, wehren sich gegen Stimmungsmache und Gesetze, die ihnen die Ausübung ihres Berufes erschweren.

Von Sabine Scholz 23.10.2019, 04:00

Halberstadt l „Wir sind noch viel zu leise“, sagt Rainer Knackstedt. „Eigentlich müssten wir die Autobahnen blockieren, dann würde man uns vielleicht ernst nehmen.“ Der Dedelebener Landwirt steht an diesem Dienstagmorgen zwischen 20 riesigen Treckern. Auf dem Gelände der AgroService Halberstadt im Industriegebiet Ost haben sich die Männer und Frauen aus landwirtschaftlichen Betrieben der Region getroffen, um nach der Sternfahrt in die Kreisstadt zu beraten, wo es als nächstes langgehen soll. Von zehn Höfen unterschiedlicher Unternehmensformen sind sie gekommen, aus Derenburg, Langeln, Wasserleben, Badersleben, Dingelstedt, Dedeleben, Osterwieck und Berßel mit den großen Schleppern über Bundes- und Landesstraßen. Fast alle haben an ihrem Fahrzeug Transparente befestigt.

Die Landwirte sind sauer. Nicht nur, weil Agrarpolitik mehr und mehr über ihre Köpfe hinweg gemacht wird, es extreme Eingriffe in ihr unternehmerisches und fachliches Handeln gibt, ohne dass sie selbst gefragt werden. Auch die gesellschaftliche Debatte, die das Ansehen landwirtschaftlichen Arbeitens mehr und mehr in Verruf bringe, stößt den Bauern sauer auf.

„Ich habe am Mittwoch von der Aktion erfahren, innerhalb von zwei Tagen haben wir uns verabredet, heute Teil der bundesweiten Proteste zu sein“, sagt Katja Mokosch von der Landboden Osterwieck GmbH. Initiator des Protestes ist kein Verband, sondern eine Bewegung aus der Bauernschaft heraus. Unter dem Motto „Land schafft Verbindung – wir rufen zu Tisch“ wollen Landwirte mit Politikern und Verbrauchern ins Gespräch darüber kommen, was man in Deutschland eigentlich will. „Es ist so, dass Landwirtschaft mehr und mehr reguliert und kontrolliert wird. Die neue Düngeverordnung führt dazu, dass wir den Pflanzen nicht mehr die Nährstoffe zuführen dürfen, die sie zum Wachstum brauchen. Also werden wir weniger ernten. Und dann? Dann wird Getreide aus Russland, der Ukraine oder Rumänien importiert. Ob da auch so kontrollierte Anbaubedingungen herrschen?“, fragt Katja Mokosch. „Und dass das billige Rindfleisch aus Südamerika nicht als Tiefkühlware verschifft wird, sondern lebende Rinder acht Wochen so dichtgedrängt in Containern stehen, das sie sich nicht mal hinlegen können, wissen vermutlich auch die wenigsten Verbraucher“, so Mokosch.

Sie ist, wie die anderen Teilnehmer der Protestfahrt, die bis Gröningen führte und dann zurück durch die Kreisstadt in die Herkunftsbetriebe, die Stimmungsmache gegen die Bauern leid. Nicht umsonst trägt ihr Schlepper das Schild mit der Aufschrift: „Lieber Verbraucher – soll mein Kind den Hof fortführen?“ Mokoschs Familie ist wie die zweite an ihrem landwirtschaftlichen Unternehmen beteiligte Familie, inzwischen unsicher, ob man dem Sohn überhaupt noch dazu raten soll, den Betrieb zu übernehmen. „Wir überlegen, ob man das seinem Kind antun will.“

Es sei an der Zeit, sagen Rainer Knackstedt und Katja Mokosch, dass auch Verbraucher fragen, woher das täglich Brot kommt und was es bedeutet, wenn irgendwann keine Bauern mehr auf deutschen Böden ackern. Deshalb gibt es im November eine zweite Protestaktion, bei der man dann direkt mit den Menschen der Region ins Gespräch kommen will.