Interview mit dem Geschäftsstellenleiter der Agentur für Arbeit, Marcus Pfeiffer, zur aktuellen Lage auf dem Arbeitsmarkt "Die Politik muss die nötigen Rahmenbedingungen schaffen"
Vergleichsweise niedrige Arbeitslosenzahlen, aber auch viele Pendler, Langzeitarbeitslose und sogenannte Aufstocker: Über die derzeitige Lage am Arbeitsmarkt im Landkreis Börde sprach Volksstimme-Redakteur Ivar Lüthe mit Marcus Pfeiffer, Geschäftsstellenleiter der Agentur für Arbeit Haldensleben/Wolmirstedt und zugleich koordinierender Geschäftsstellenleiter Haldensleben/Wolmirstedt und Oschersleben/Wanzleben.
Volksstimme: Herr Pfeiffer, der Landkreis Börde hat bei der letzten Arbeitslosenstatistik mit 7,7 Prozent abgeschnitten. Ein Wert, der im Landesvergleich Spitze ist. Warum ist der Landkreis so gut?
Marcus Pfeiffer: Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Da ist zum einen die geografische Lage, in Grenzlage zu wirtschaftlich starken Regionen in Niedersachsen wie beispielsweise Wolfsburg und die Nähe zur Landeshauptstadt Magdeburg, und zum anderen die gute Infrastruktur mit Anbindung an Bundesautobahnen und schiffbare Wasserstraßen. Zudem hat es der Landkreis Börde besser als andere Regionen verstanden, durch kluge Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsförderung Großbetriebe für die Region zu gewinnen. Hier sind die drei starken Wirtschaftszentren mit den Gewerbegebieten Barleben, Osterweddingen und der Stadt Haldensleben hervorzuheben, die sich regional gut in der Fläche verteilen und somit einen großen Einzugsbereich abdecken. Zudem schlägt sich der gute Branchenmix, vom Einzelhandel mit angeschlossener Logistik über Automobilzulieferer, mehrere große Glaswerke bis hin zur Nahrungsmittelindustrie, um nur einige zu nennen, in den guten Zahlen nieder. Auch die Nähe zum Wissenschaftsstandort Magdeburg bietet großes Beschäftigungspotenzial, insbesondere für den akademischen Bereich.
Volksstimme: Schaut man sich die Arbeitslosenzahlen genauer an, sieht man, dass die Bereiche Oschersleben (11,2 Prozent) und Wanzleben (8,4 Prozent) noch recht hohe Arbeitslosenzahlen haben. Woran liegt das?
Marcus Pfeiffer: Die Analyse muss hier vertiefter erfolgen. Schaut man sich die Arbeits-losenquote nach Rechtskreis an, so hat auch Oschersleben bezogen auf die kurzzeitig Arbeitslosen, also die Alg-I-Empfänger, mit einer Arbeitslosenquote von 2,8Prozent - zum Vergleich: Haldensleben 1,9Prozent, Wolmirstedt 2,3Prozent undWanzleben 2,6Prozent - einen vergleichsweise guten Wert vorzuweisen. Die Dynamik am Arbeitsmarkt, also Zugänge und Abgänge, ist vergleichbar gut wie in den übrigen Regionen des Landkreises. Profitieren können davon aber überwiegend nur die Betroffenen mit kurzer Dauer der Arbeitslosigkeit. Das Problem in den Altkreisen Oschersleben und zum Teil auch Wanzleben bleibt der hohe Bestand an Langzeitarbeitslosen, der in Oschersleben anteilig 8,4Prozentund in Wanzleben 5,8Prozent ausmacht. Die Mobilität der von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen ist häufig eingeschränkt und es fehlt zum Beispiel in Oschersleben die direkte Anbindung an die Gewerbegebiete. Dort stehen in der Regel die arbeitsintensiven und weniger technologisierten Stellen zur Verfügung, von denen die übrigen Regionen profitieren. Wir setzen hier auf spezielle und zielgruppenorientierte Maßnahmen im Bereich der beruflichen Bildung und Aktivierung. Nicht ohne Grund wurde Oschersleben vom JobCenter für das Projekt Bürgerarbeit ausgewählt. Des Weiteren sind spezielle Förderprogramme des Landes kürzlich angelaufen, die sich gezielt an diese Personengruppe richten,wie zum Beispiel Praktikumsmaßnahmen über den Europäischen Sozialfond.
Volksstimme: Nicht nur von Unternehmerseite her hört man immer wieder, dass händeringend Fachkräfte gesucht werden. Wie ist das im Landkreis Börde?
Marcus Pfeiffer: Das ist im Landkreis Börde nicht anders. Auch hier werden Fachkräfte dringend gesucht. Wir sehen das zum Beispiel an der Zahl und der Qualität der angebotenen Stellen. Selbst Firmen, die ihren Arbeitskräftebedarf bislang völlig eigenständig durch eine hohe Zahl an Initiativbewerbungen decken konnten, nutzen heute den Service der Agentur für Arbeit, um an die benötigten Fachkräfte zu kommen. Unser Vorteil ist es hier, mit dem JobCenter zusammen in einem gemeinsamen Arbeitgeber-Service auf den gesamten Bewerberpool zugreifen zu können. Damit können wir für den Fall, dass der Wunschbewerber nicht ad hoc zur Verfügung steht, gemeinsam mit den Unternehmen passgenaue Einstellungshilfen oder berufliche Qualifizierungsmaßnahmen erarbeiten.
"Arbeitgeber erkennen zunehmend das Potenzial der älteren Arbeitnehmer"
Volksstimme: Was wird getan, um den Fachkräftebedarf auch künftig zu decken?
Marcus Pfeiffer: Schauen Sie sich die arbeitslosen Kunden nach Altersstruktur an. Im Landkreis Börde sind von 7707 arbeitslos gemeldeten Bürgerinnen und Bürgern 2865 älter als 50 Jahre. Das sind 37 Prozent und somit mehr als jeder Dritte. Im Rechtskreis der kurzzeitig Arbeitslosen liegt diese Quote sogar bei knapp 54 Prozent! Und genau hier müssen wir ansetzen. Gerade die lebensälteren Arbeitslosen bieten ein großes Potenzial an Fachwissen und gleichen altersbedingte Leistungseinschränkungen in den meisten Fällen durch Erfahrung und mehr Gründlichkeit und Genauigkeit aus. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Arbeitgeber-Services bewerben diesen Personenkreis und seine Vorzüge daher auch aktiv in den Unternehmen.
Seit Juni dieses Jahres haben wir einen "Aktionsplan Ü50" erarbeitetet, mit dem wir dem hohen Anteil an älteren Arbeitslosen begegnen wollen. Hier ist unter anderem auch eine Aktionswoche geplant, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Arbeitgeber-Services gemeinsam mit Arbeitslosen dieser Zielgruppe in die Betriebe gehen werden, um Arbeitgeber von dem jeweiligen Bewerber zu überzeugen. Man muss aber auch konstatieren, dass in den letzten Monaten hier ein Umdenken in den Unternehmen stattgefunden hat. Eine Entwicklung, die erfreulich ist und sich fortsetzen sollte. Die Arbeitgeber erkennen zunehmend das Potenzial der älteren Arbeitnehmer als wichtigen Beitrag zur eigenen Fachkräftesicherung. Sofern noch Defizite in der Qualifikation der Bewerber vorhanden sind, gleichen wir diese durch gezielte berufliche Weiterbildung aus. Die Förderung der beruflichen Weiterbildung wird vor dem Hintergrund eines steigenden Fachkräftebedarfs auch in den kommenden Jahren einen hohen Stellenwert einnehmen.
Volksstimme: Was ist mit den jungen Einwohnern? Wie sieht es im Landkreis beim Thema Ausbildungsplätze aus?
Marcus Pfeiffer: Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist erfreulich. Aktuell stehen im Landkreis Börde für den Ausbildungsbeginn 1. August 377 unversorgten Jugendlichen noch 311 offene Ausbildungsstellen aus nahezu dem gesamten Berufsausbildungsspektrum gegenüber. Leider muss man im Detail betrachtet feststellen, dass die Besetzung offener Ausbildungsstellen zunehmend schwieriger wird, da die Qualität der verbliebenen Bewerber in Bezug auf die schulischen Leistungen und sozialen Qualifikationen nicht immer den Anforderungen auf Arbeitgeberseite entsprechen. Auch hier sind die örtlichen Arbeitsagenturen im engen Kontakt mit beiden Parteien. Es erfordert viel Beratungsarbeit, auch leistungsschwächere Bewerber in Ausbildung zu bringen. Dieser Aufwand lohnt sich aber allemal und sichert nach erfolgreicher Ausbildung Fachkräfte für die Region. Die Senkung der Jugendarbeitslosigkeit ist seit 2009 einer der geschäftspolitischen Schwerpunkte in den Arbeitsagenturen und die Ergebnisse im Landkreis können sich hier sehen lassen.
Dies ist zugleich auch die Aufforderung an diejenigen, die zum 1. August noch eine Ausbildungsstelle suchen und sich noch nicht zur Beratung bei der Agentur für Arbeit gemeldet haben. Eine Terminvereinbarung ist persönlich in den Agenturen für Arbeit Haldensleben, Wolmirstedt, Wanzleben und Oschersleben oder telefonisch unter 01801555111möglich. (*Festnetzpreis 3,9 ct/min; Mobilfunkpreise höchstens 42 ct/min - Anm. der Redaktion)
"Gut qualifizierte Arbeitskräfte können aus mehreren Angeboten aussuchen"
Volksstimme: In einer Studie wurde dem Landkreis vor einiger Zeit negativ angekreidet, dass es sehr viele Auspendler gibt. Aktuell ist es ja so, dass es 20000 mehr Aus- als Einpendler gibt. Wie schätzen Sie die Lage ein und was kann getan werden, damit die Einwohner auch im Landkreis eine Stelle finden?
Marcus Pfeiffer: Es stimmt, es gibt noch immer einen Pendlersaldo von etwa 20000 mehr Aus- als Einpendler im Landkreis. Für den Landkreis bedeutet dies aber zweierlei. Auf der einen Seite schlägt es sich positiv in den Arbeitslosenzahlen nieder, auch die Kaufkraft für die Region durch die zum Teil deutlich höheren Löhne, steigt. Andererseits bedeutet dies auch ein Verlust an Fachkräften für die Region. Der Landkreis Börde als wirtschaftsstarke Region wird zukünftig noch stärker mit anderen Wirtschaftsregionen um Fachkräfte buhlen müssen, will man die eigene wirtschaftliche Entwicklung nicht gefährden. Dies gelingt in erster Linie durch attraktive und gut bezahlte Arbeitsplätze. Die Firmen haben dies bereits erkannt, und die wirtschaftliche Entwicklung spielt den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hierbei zunehmend in die Karten.
Gut qualifizierte Arbeitskräfte können in bestimmten Branchen bereits aus mehreren Angeboten das für sie beste auswählen. Dies könnte den ein oder anderen Auspendler dazu bewegen, sich doch wieder in der Region nach einer Beschäftigung umzusehen. Die Agenturen für Arbeit im Landkreis Börde haben hierfür ein spezielles Programm für wechselwillige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erarbeitet. Jeder, nicht nur beschränkt auf Auspendler, der sich beruflich verändern möchte, kann sich hierzu in den örtlichen Arbeitsagenturen beraten lassen. Dies ist insbesondere ratsam, da nicht alle Stellen, die am Markt vorhanden sind, auch über die Online-Stellenbörse der Arbeitsagentur abrufbar sind. Hier kann man insbesondere vom Know-how der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Arbeitgeber-Services profitieren. Sie kennen den Arbeitsmarkt seit vielen Jahren, halten intensive Kontakte zu den Arbeitgebern der Region und können dadurch Tipps zu beruflichen Alternativen geben. Die Beratung wechselwilliger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfolgt wegen der durch die Arbeit eingeschränkten Verfügbarkeit auch in alternativen Kontaktformenwie Telefon, E-Mail oder SMS.
Entscheidend für den Erfolg sogenannter "Rückholaktionen" ist aber, dass das Gesamtpaket stimmt. Das heißt neben der Attraktivität des Arbeitsplatzes spielen weitere Faktoren eine entscheidende Rolle, wie der Entfall von Pendelzeiten, der Mehrgewinn an Freizeit, die Nähe zu Familie und Freunden etc. Es ist nicht immer der Euro mehr oder weniger pro Stunde, der die Entscheidung letztlich beeinflusst.
Volksstimme:Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat gerade festgestellt, dass zwar die Wirtschaft wächst und die Gewinne steigen, der Aufschwung beim Arbeitnehmer gar nicht ankommt. Bemängelt wird, dass der Niedriglohnsektor wächst, es viele Arbeitnehmer gibt, die nur eine befristete oder geringfügige Beschäftigung haben, Teilzeitbeschäftigte oder in der Zeitarbeit tätig sind. Wie sieht es hier im Landkreis Börde aus? Gibt es viele Arbeitnehmer, die hiervon betroffen sind? Wieviele Arbeitnehmer gibt es im Landkreis, die von ihrem Lohn allein nicht leben können und sich Unterstützung vom Amt holen müssen?
Marcus Pfeiffer: Auch hier muss man ehrlich sein. Beschäftigung in Zeitarbeit und in befristeten Beschäftigungsverhältnissen gibt es selbstverständlich auch im Landkreis Börde. Wir sollten aber nicht den Fehler machen, diese Beschäftigungsformen von vornherein negativ zu belegen. Gerade in der Region Haldensleben war die Zeitarbeit ein Sprungbrett für mehrere hundert Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bei einem großen regionalen Arbeitgeber einen festen Arbeitsplatz zu bekommen. Befristet eingesetzte Leiharbeit zur flexiblen Reaktion auf Belastungsspitzen ist daher durchaus sinnvoll. Zudem steigt die Übernahmequote aus Leiharbeit heraus spürbar, wenn sich auch der Arbeitsmarkt positiv entwickelt. Ebenso bieten Beschäftigungen in geringfügiger Beschäftigung, im Nebenverdienst oder in Teilzeit immer die Möglichkeit, später in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse beziehungsweise Vollzeitstellen umgewandelt zu werden. Ungeachtet der erfreulichen Entwicklung am Arbeitsmarkt müssen im Landkreis Börde aber immer noch 2987 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergänzende Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen, da das Einkommen unter Berücksichtigung der jeweiligen familiären Verhältnisse nicht zum Lebensunterhalt reicht. Hier ist in erster Linie die Politik in der Pflicht. Sie muss die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit Arbeit existenzsichernd wird. Gesetzlich eingezogene Untergrenzen würden letztlich auch die immer wieder aufkommende Diskussion um sittenwidrige Löhne beenden.