Domgeläut Die geschundene Domina

Sie wird den Advent nicht mit einläuten, die größte Domglocke. Wann die Domina wieder klingen wird, ist völlig offen.

Von Sabine Scholz 23.11.2018, 19:26

Halberstadt l Knut Schneider, Axel Just, Käthe Bauermeister, Ulrich Brückmann sind nur vier der Halberstädter, die sich am Lesertelefon der Volksstimme empörten. Dass die größte Domglocke kaputt ist, traf sie wie zahlreiche andere tief. Und dass man nun wieder um Spenden bitte, empfänden sie als Frechheit. Alle vier verorten die Ursache des jetzt entdeckten Schadens in einem Glockenkonzert, das anlässlich eines Klangwechsels beim Cage-Orgel-Projekt am 5. Juli 2008 stattfand. Denn damals hatten die Domina sichtliche Hammerspuren am untersten Rand davongetragen, das kleine Lämmchen gar einen Riss.
"Man weiß doch, dass man nicht mit Stahlhämmern auf eine Bronzeglocke schlagen darf", sagt Knut Schneider, der das im Sommer 2008 auch Harald Hausmann gesagt habe. "Ob er das weitergegeben hat, weiß ich nicht", sagt Schneider heute.
Das kann auch Rainer Neugebauer nicht sagen, der heute Vorsitzender des Kuratoriums der Cage-Stiftung Halberstadt ist. Schon damals war er nach Bekanntwerden des Schadens angefeindet worden. Er selbst war zwar damals auch nur einer von 1500 Zuhörern, aber nun macht sich an ihm der Volkszorn fest, wie Axel Just betont.
Doch ist tatsächlich das Konzert vor zehn Jahren Schuld am Dilemma der Domina? "Eher nicht", sagt Ralf Lindemann, Baudirektor der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt. Die ist Eigentümerin von Dom und Domschatz und somit auch der Glocken. "Der Schaden befindet sich an einer Stelle, an der man ihn nicht erwarten würde." Bei Wartungsarbeiten, die regelmäßig am Geläut stattfinden, sei ein Haarriss entdeckt worden - ein eher waagerecht verlaufender, feiner Riss, der sich allerdings von außen nach innen durchzieht und an der Glockenschulter, also unterhalb der oberen Wölbung, entdeckt wurde. "So ein Riss ist nicht mit einem Hammer hinzubekommen", sagt Lindemann.
Aber, gibt Lindemann zu, kurz im Gespräch gewesen seien die Ereignisse im Jahr 2008 schon. Doch Verlauf und Platzierung des Risses schließen einen Zusammenhang mit dem staatsanwaltliche Ermittlungen nach sich ziehenden Konzert aus.
Zur Erinnerung: Am 5. Juli 2008 fand ein Glockenkonzert statt, für das Ewald Liska eine Partitur geschrieben hatte. Glocken dreier Kirchen sollten von Hand mit den Klöppeln innen angeschlagen werden. "Doch dann wurden die Glocken doch nicht nur gebeiert, wie das im Glockenkontext heißt. Liska wollte schnelle Tonfolgen, deshalb ließ er Hämmer besorgen, mit denen die Musikstudenten an einigen Stellen der Aufführung von außen auf die Glocken schlagen sollten", erinnert sich Rainer Neugebauer. Die Veranstalter hatten für das Konzert die Genehmigung der Kirchengemeinden. "Und Liska ist Musiker, aber auch habilitierter Physiker, von daher schien alles in Ordnung zu sein", sagt Neugebauer. Ein Irrtum, wie sich zeigte. Die Cage-Stiftung und der Förderverein informierten die Kulturstiftung sofort über den Schaden am Lämmchen und übernahmen sowohl deren Reparatur als auch die der wegen eines Risses schon jahrelang verstummten Glocke Langhals. Die Staatsanwaltschaft, die mehrere Gutachter in die Ermittlungen einbezog, stellte schließlich im Frühjhar 2009 das Verfahren ein. "Sachbeschädigung bedarf des Vorsatzes, der ist nicht zu erkennen", sagte damals Oberstaatsanwalt Helmut Windweh.
Um den aktuellen Schaden genauer bewerten zu können, habe man nach der Entdeckung des Risses einen Sachverständigen hinzugezogen. Nach dessen Urteil war klar, die Glocke muss außer Dienst gestellt werden. Das alles ist Wochen her, und inzwischen steht fest: Eine Reparatur wäre in etwa genauso teuer wie ein Neuguss, weshalb wohl alles darauf hinausläuft.
Der Guss 1999 war nicht optimal. Die Glockspeise, also die Bronze, war noch zu heiß, als sie in die Form floss. Dadurch verringerte sich der Zinnanteil in der Bronze und außerdem nahm der Glockenmantel Schaden, sodass Bronze aus der Form lief. Deshalb war unter anderem die Krone nicht komplett gegossen worden. Da man aber die Glocke zur Jahrtausendwende läuten wollte, wurde ihre Haube zweimal durchbohrt, um eine zusätzliche Aufhängung zu befestigen. Erst dann konnte sie in den Glockenstuhl.