Mieterkritik Enttäuschung auf beiden Seiten
Ein schicker Neubau entsteht im Auftrag der Halberstädter Wohnungsgesellschaft im Stadtzentrum. Doch dessen Bewohner sind sauer.
Halberstadt l „Und ich hatte mich so sehr auf die neue Wohnung gefreut.“ Ilse Fiedler ist enttäuscht. Sie konnte es kaum abwarten, im Spätsommer in die Kühlinger Straße 25 zu ziehen. Eine Adresse, mit der sie besondere Erinnerungen verbindet. War die in Quedlinburg geborene Halberstädterin doch genau hier als Trümmerfrau aktiv, hat geholfen, aus den riesigen Schuttbergen, die vom Stadtzentrum nach der Bombardierung Halberstadts 1945 übrig geblieben waren, noch verwendbares Baumaterial zu klauben. Mühsam wurden alle Backsteine von Mörtelresten befreit – harte Arbeit, aber dafür gab es Lebensmittelkarten, die das eigene Überleben sicherten.
Die 89-Jährige ist im September voller Freude in Haus zwei der Lindenhofterrassen gezogen. Das Wachsen des Neubaus konnte sie von ihrem Balkon aus verfolgen, wohnte sie bis zum Umzug doch schräg gegenüber. Doch nun bereut sie ihre Eile, kann sie doch die neue Wohnung nicht verlassen. Die schöne Südterrassse kann sie nicht nutzen, noch sind die Fassadenbauer mit ihren Gerüsten am Haus tätig. Und sie kann nicht hinunter auf die Straße und ins Stadtzentrum – der Fahrstuhl funktioniert nicht. Seit Einzug im September. Und der Treppen sind es Ilse Fiedler dann doch zu viele, um sie oft zu nutzen.
Dass ausgerechnet in der Kühlinger Straße 25 solche Probleme auftreten, geht Beate Grebe erkennbar nah. „Das Thema hat für uns einen besonders bitteren Beigeschmack. Nicht nur, weil wir wissen, dass in dem Haus viele Mieter auf den Fahrstuhl angewiesen sind. Sondern auch, weil hier Familien leben, die eine ganz besondere Beziehung zu dieser Adresse haben“, sagt die Chefin der Halberstädter Wohnungsgesellschaft. Die HaWoGe ist Bauherrin des großen Neubaus, der mit seinen markanten Rundungen ein Hingucker ist, wie der in dieser Woche abgerüstete erste Gebäudeteil zeigt. Hier sind 33 Wohnungen zu finden, viele davon gehören zum betreuten Wohnprojekt „neues wohnen“, das HaWoGe und Diakonisches Werk gemeinsam tragen.
Die Zeit, in der die Mieter in der Kühlinger Straße 25 ihre Terrassen und Balkons nicht nutzen können, ist absehbar. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Wann der Fahrstuhl in dem Haus mit den 24 Wohnungen endlich funktioniert, steht in den Sternen.
Die Gerüste stehen noch, weil zum einen der Fassadenanstrich aufgebracht werden muss und zum anderen die Metallarbeiten zu erledigen sind, wie Sebastian Ohm erklärt. Der Leiter Bestandsbewirtschaftung erklärt, was mit Metallarbeiten gemeint ist. „Zum einen erhalten die Terrassenbrüstungen Geländer und Lochblenden aus Metall, zum anderen müssen an einigen Bauteilen Metallabdeckungen aufgebracht werden. Die großen, sperrigen Elemente können und wollen wir nicht durch die Wohnungen der Mieter nach draußen bringen, sondern sie werden von außen montiert, deshalb brauchen wir die Rüstung noch eine Weile.“
Dass diese Arbeiten entgehen der Urspungsplanung noch nicht erledigt sind, hängt mit dem heißen Sommer zusammen. Viele Materialien können nur innerhalb einer bestimmten Temperaturspanne verarbeitet werden. Wenn es zu heiß ist, halten Farben nicht oder werfen Blasen. Also mussten die Firmen auf besseres, also kühleres Wetter warten. Das war auch auf anderen Baustellen der Stadt der Fall, zum Beispiel bei der Fassadensanierung der Anne-Frank-Grundschule.
„Der Fahrstuhl entwickelt sich leider zu einem Dauerthema“, sagt Grebe. Eingebaut wurde der Aufzug in der Kühlinger Straße zeitgleich mit dem im Nachbarhaus – am 5. Juli. Doch während in Nummer 24 alles in Ordnung ist, ist der in Nummer 25 nicht zu benutzen. „Dass die Inbetriebnahme hier solche Probleme bereiten würde, hätten wir alle nicht für möglich gehalten“, sagt die HaWoGe-Chefin. Dabei gab es für den 12. September einen lange vorher vereinbarten Termin mit dem TÜV. Der Technische Überwachungsverein muss per Gesetz der Personenaufzüge in Deutschland abnehmen, bevor sie genutzt werden dürfen. Doch dieser Termin wurde von der Aufzugsfirma zwei Tage vorher abgesagt, weil man feststellte, dass ein fehlerhaftes Teil geliefert worden war. Inzwischen gibt es das Ersatzteil, aber eben leider nicht in dem Aufzug, sondern noch bei dem Unternehmen in Süddeutschland. Das reagiere nicht mehr auf Anfragen, sagt Ohm. Man habe sowohl schriftlich als auch telefonisch mehrfach den Kontakt gesucht – ohne Ergebnis.
„Sie glauben nicht, was wir alles unternommen haben“, sagt Beate Grebe. „Wirklich alles mögliche“, bestätigt Sebastian Ohm. Es gab sogar die Überlegung, eine andere Firma mit dem Einbau des Teils zu beauftragen. Was nicht klug gewesen wäre, weil unter anderem jeder Garantieanspruch verloren gehen würde. „Die Situation ist so, als hätten Sie das Auto vor der Tür stehen, aber niemand gibt Ihnen den Schlüssel“, versucht Ohm die Lage der Wohnungsgesellschaft zu erläutern.
„Mittlerweile haben wir die Angelegenheit einer renommierten Baurechtskanzlei übergeben, mit der wir schon lange zusammenarbeiten“, so die Geschäftsführerin. „Leider ist davon der Aufzug auch nicht repariert.“