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Abschied Erwin Marchlewsky hat Osterwiecker Ortsteil über drei Jahrzehnte geprägt

Nach der Wende ein Mann der ersten Stunde, hat sich der Schauener jetzt aus der Politik zurückgezogen.

Von Mario Heinicke 06.09.2024, 10:00
Auch Details machen ein Dorf schön, wie die Eisenbahnachse in der Poststraße  zur Erinnerung an die alte Bahnlinie nahe Schauen. Zur  1050-Jahr-Feier  ist sie auf Initiative des Bürgervereins, dessen  Vorsitzender Erwin Marchlewsky auch ist, aufgestellt worden.
Auch Details machen ein Dorf schön, wie die Eisenbahnachse in der Poststraße zur Erinnerung an die alte Bahnlinie nahe Schauen. Zur 1050-Jahr-Feier ist sie auf Initiative des Bürgervereins, dessen Vorsitzender Erwin Marchlewsky auch ist, aufgestellt worden. Foto: Mario Heinicke

Schauen. - Ortschaftsrat und Feuerwehr hatten den 75-Jährigen vergangene Woche noch einmal zu einer offiziellen Verabschiedung eingeladen. Stand Erwin Marchlewsky doch in den entscheidenden Jahren, in den Schauen quasi ein neues Gesicht bekam, als Bürgermeister an der Spitze des Dorfes. Von 1990 bis 2001, später als Rentner noch mal als Ortsbürgermeister von 2015 bis 2024.

Die Jahre dazwischen durfte er als Wirtschaftsförderer im Osterwiecker Rathaus und damit in Leitungsfunktion tätig nicht parallel noch Bürgermeister sein. Aber er unterstützte als eine Art Ortsbeauftragter der Verwaltungsgemeinschaft die Schauener Bürgermeisterin Petra Steinert.

Er war so alt wie die DDR, als der gelernte Klempnerhandwerker wenige Monate vor der deutschen Einheit ins Bürgermeister-Amt kam. Hauptamtlich – gewählt aus der Mitte des neuen Gemeinderats. Ein Neustart, selbst wenn er ab 1986 schon im Gemeinderat saß. „Ich hatte mich schon immer für die Dinge der Gemeinde interessiert“, sagt er.

1990 trat er in die CDU ein, eine größere Ortsgruppe wurde gegründet und ein kleines Wahlprogramm aufgestellt. Obenan das Ziel, sauberes Trinkwasser für Schauen zu bekommen. Mehrere tausend Rinder und Schafe standen bis zur Wende in den Ställen am Dorfrand, die Gülle wurde gefühlt rund um die Uhr ausgefahren, belastete das Trinkwasser. Als im Sommer 1991 Umweltminister Wolfgang Rauls den ersten Baggerstich vollzog, war nach Erinnerung von Marchlewsky das halbe Dorf auf den Beinen. „Es herrschte große Euphorie, die Arbeit hat richtig Spaß gemacht.“

Fördergeld gab es in den 1990ern viel und im Vergleich zu heute unbürokratisch. Von 1993 bis 1997 in der Dorferneuerung, bekamen die Schauener Straßen ein neues Gesicht. Damit war der Matsch von früher Geschichte. 1999 und 2002 wurde Schauen sogar schönstes Dorf im Landkreis.

Was sich so leicht liest, war keineswegs nur von Eintracht geprägt. Auch der Umbau der alten Kaufhalle zum Dorfgemeinschaftshaus und Kindergarten sei kontrovers diskutiert worden. Erwin Marchlewsky ist jemand, der keinem Konflikt aus dem Weg ging, der versucht hat, seine Ideen durchzusetzen. „Ich habe dabei auch Schlappen hinnehmen müssen.“

Keine Freunde hatte sich Marchlewsky Mitte der 1990er in Osterwieck gemacht, als das Backhaus Siemer aus der Stadt nach Schauen zog. Doch sei die Initiative von Siemer ausgegangen, betont er. Die Stadt habe Siemer damals kein Gewerbegrundstück anbieten können. Dass das Backhaus, zeitweise zweitgrößter Arbeitgeber im Raum Osterwieck, nach der Coronazeit schließen musste, bedauere er sehr.

Schauen ist mit seiner früheren Geschichte als Freie Reichsherrschaft auch ein selbstbewusstes Dorf. So trat es nicht freiwillig in die Verwaltungsgemeinschaft Osterwieck ein, sondern ließ sich erst 1994 per Zwang gesetzlich zuordnen. „Da spielte auch der Stolz eine Rolle“, räumt Marchlewsky ein. Tatsächlich könne ein einzeln agierender Bürgermeister nicht Experte in allen Fachgebieten sein.

Auch nach 2001, nun kein Bürgermeister mehr, zog er im Hintergrund noch die Fäden für das Dorf, nutzte seine Kontakte und hatte manchmal auch Glück. Wie beim Radweg zwischen Osterwieck und Schauen, wo er sozusagen zur richtigen Zeit den richtigen Mann getroffen hatte. Finanziert wurde der Radweg dann vom Land.

Dass Erwin Marchlewsky 2015 als Rentner noch mal seinen Hut in den Ring warf, sei eine spontane Entscheidung gewesen. Mit dem Ziel, das ihn auch heute noch umtreibt, dass die in der Nachwendezeit geschaffenen Werte erhalten werden. Denn in der Einheitsgemeinde, so seine zynische Feststellung, habe ein Ortschaftsrat keine Möglichkeit mehr, etwa eine neue Tür zu bekommen, er könne nur noch die Farbe auswählen.

„Man muss auch loslassen können“, sagt Erwin Marchlewsky über seinen Rückzug nun mit 75 Jahren. Schauen ist heute auch dank eines Neubaugebietes ein Dorf mit vielen jungen, engagierten Leuten, ebenfalls im neuen Ortschaftsrat sichtbar. Naja, so ganz loslassen wird er wohl doch nicht. Denn der Alt-Bürgermeister engagiert sich weiterhin als Vorsitzender der Forstbetriebsgemeinschaft mit über 100 Mitgliedern.

Erwin Marchlewsky (2.v.l.) Anfang 1995 mit Ministerpräsident Reinhard Höppner (l.) auf einer Streuobstwiese, die von ABM-Kräften hergerichtet worden war. Eines der vielen Förderinstrumente, die die Schauener nutzten konnten, später sogar für größere Vorhaben wie Straßenbau und Dorfgemeinschaftshaus.
Erwin Marchlewsky (2.v.l.) Anfang 1995 mit Ministerpräsident Reinhard Höppner (l.) auf einer Streuobstwiese, die von ABM-Kräften hergerichtet worden war. Eines der vielen Förderinstrumente, die die Schauener nutzten konnten, später sogar für größere Vorhaben wie Straßenbau und Dorfgemeinschaftshaus.
Foto: Heinicke