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Freizeit Premiere hinter dem Lenkrad

In Halberstadt und Wernigerode wurde zum Autokino eingeladen. Während das eine wieder abgebaut wird, wird das andere um eine Bühne ergänzt.

Von Sandra Reulecke 18.05.2020, 01:01

Halberstadt/Wernigerode l Es dauert noch weit mehr als eine Stunde, bis der Film beginnt. Doch schon rollen die ersten Autos auf den Anger in Halberstadt. Freundlich lächelnd und mit leuchtend gelben Westen bekleidet, weisen die Ordnungskräfte den Fahrern einen Parkplatz vor der drei mal fünf Meter großen Leinwand zu, nachdem sie die Tickets abgescannt haben. Nun bleibt noch genug Zeit für die Besucher, sich am Foodtruck mit Burgern oder Popcorn einzudecken, es sich im Auto mit Decken und Kissen gemütlich zu machen. Und schon heißt es „Film ab“.

Insgesamt sieben Filme flimmern am Wochenende über die Leinwand – oder besser gesagt Leinwände. Das Halberstädter Autokino ist kreisförmig aufgebaut – mit einer doppelten Leinwand in der Mitte. Bis 120 Autos finden davor Platz – mit teilweise bis zu fünf Insassen darin. Die Komödie „Das perfekte Geheimnis“ lockt die meisten Besucher, berichtet Daniel Szarata.

Der Christdemokrat, der im Halberstädter Stadtrat und im Landtag sitzt, hat das Autokino initiiert. Nicht zuletzt als Wahlkampf-Aktion für sich selbst und seinen Mitstreiter Thomas Balcerowski (CDU), Bürgermeister von Thale. Während Letzterer sich im Sommer als neuer Harzer Landrat zur Wahl stellen will, strebt Szarata eine Kandidatur um das Oberbürgermeisteramt in Halberstadt an.

„Aber es geht nicht darum, Wähler zu gewinnen“, betont der 37-Jährige. Das Autokino sei ein Ersatz für das Sommerkino, zu dem er seit sieben Jahren auf den Domplatz einlädt – und das in diesem Jahr coronabedingt ausfallen muss. Er und seine Mitstreiter wollen zudem zeigen, das in Halberstadt etwas auf die Beine gestellt werden kann – trotz schwieriger Umstände.

„Wir wollen den Leuten so zeigen, dass wir noch da und nicht untätig sind“, bestätigt Jens Ganso. Wie das Team vom Wehrstedter Hof unterstützt auch der Veranstalter aus Harsleben das Halberstädter Autokino. Gewinn verspreche er sich davon nicht, aber er sei froh, etwas zu tun zu haben. Und er nutzt die Wochenend-Veranstaltung für ein kleines Abenteuer: Gemeinsam mit seinem Sohn übernachtet er in dem silbernen Foodtruck. „Zur Sicherheit, das ist eine Menge teurer Technik, die hier steht“, so Ganso.

Vor und während der Filmvorführungen steht René Mittag in dem Truck. Der Koch aus Halberstadt bereitet Burger und Pommes für die Zuschauer zu. „Es macht Spaß und ist eine gute Abwechslung“, sagt er. Immerhin ist seine Branche stark von den Corona-Beschränkungen betroffen. Die dadurch verlorenen Einnahmen werden dank des Autokinos nicht im Ansatz kompensiert, doch auch für ihn stehe es im Vordergrund, Präsenz zu zeigen.

Auch der Veranstalter selbst rechnet trotz guter Resonanz nicht damit, schwarze Zahlen zu schreiben. Rund 10.000 Euro koste das Freilicht-Kino-Vergnügen, berichtet Daniel Szarata. Die Leinwände müssen gemietet, die Rundfunk-Lizenz beantragt, Abgaben an die Gema geleistet werden. Und da kein offizielles Kino Mit-Veranstalter ist, fallen die Film-Lizenzen höher aus, erläutert der Halberstädter. Finanziert werde das Autokino dank Sponsoren und der Wahlkampf-Kasse der CDU. „Was dann noch übrig bleibt, zahle ich aus eigener Tasche.“

Bleibt das Autokino in Halberstadt eine einmalige Sache? „Das wird sich nach dem Kassensturz zeigen“, so Szarata. Dass Bedarf da sei, habe er an den vielen Nachfragen der Halberstädter gemerkt. „In diesem Jahr wird es sicherlich trotzdem keine Wiederholung geben.“ Aber, so verspricht er, mit mehr Sponsoren und vielleicht einem Kino-Betreiber an seiner Seite könne er sich vorstellen, ein Autokino als jährliche Veranstaltung zu planen.

Während die Leinwände in Halberstadt abgebaut werden, wird in Wernigerode aufgerüstet: Das Autokino vor dem Marstall wird um eine Bühne ergänzt. Hier sollen lokale Künstler die Möglichkeit erhalten, sich vor Zuschauern – die in ihren Autos sitzen – zu präsentieren. Den Auftakt macht AniLorak am kommenden Freitag.

Eingefädelt hat das das Studio D4. „Den Plan hatten wir von Anfang an“, berichtet Christian Legler, der Chef des Veranstaltungsunternehmens. Kulturschaffende, so betont er, haben unter der Corona-Krise besonders zu leiden. Es freue ihn, ihnen so eine Plattform zu geben. „Wer Ideen, Wünsche und Impulse hat, kann sich gern bei uns oder beim Kino melden.“ Jazz-Musik sei ebenso denkbar wie ein Poetry-Slam, eine Lesung oder eine Comedy-Show.

Zwei Konzerttermine stehen bereits fest. „Weitere sind in Planung. Wir sind mit vielen Akteuren im Gespräch“, berichtet Legler. „Es kann sein, dass auch bald das Philharmonische Kammerorchester bei uns auf der Bühne steht.“ Ob komplett oder nur einzelne Musiker, mit Mund-Nasen-Schutz oder Sicherheitsabstand, hängt davon ab, wie sich die gesetzlichen Vorgaben in der kommenden Zeit entwickeln.

Dass es seit einigen Wochen immer mehr Lockerungen gibt und damit auch wieder mehr Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, birgt für die Veranstalter von Autokinos nicht nur Vorteile. „Ich beobachte, wie sich das in anderen Orten entwickelt, und die Nachfrage ist schon wieder deutlich zurückgegangen“, berichtet Andreas Adelsberger. „Die Hochzeit war im April.“ Ein Fakt, der ihn etwas ärgert. Denn wenn es nach dem Wernigeröder Kino-Pächter und seinen Mitstreitern gegangen wäre, hätte auch das Freilicht-Kino vor dem Marstall schon zu Ostern Premiere gefeiert. Dies war jedoch aufgrund der Landesverordnung zur Eindämmung des Coronavirus bis zum 2. Mai untersagt.

So war es erst am Donnerstag das erste Mal für Filmfans möglich, das Wernigeröder Autokino zu Füßen des Schlosses zu besuchen. Mit dem Start sei er vollauf zufrieden, berichtet Andreas Adelsberger. „Aber es ist auch sehr, sehr kraftanstrengend. Manchmal sehne ich mich schon nach dem kleinen Kino zurück“, räumt er lachend ein. Die Logistik für ein Autokino samt Kiosk für Popcorn, Eis und Co. sei um einiges aufwendiger. „Aber wir sind froh, dass wir jetzt wieder was zu tun haben.“

Adelsberger tüftelt aktuell an dem Kino-Programm der kommenden Wochen. Neben Kinderfilmen und Blockbustern der vergangenen Jahre werden Klassiker zu sehen sein. Auch an den Abläufen werde hier und da noch getüftelt. So habe sich gezeigt, dass nicht alle Filmfans mit dem Ticket-Buchen über das Internet zurecht kommen. „Für diejenigen bieten wir an, sich Tickets im Kino zu holen. Einfach vorher anrufen und einen Termin mit uns vereinbaren“, lädt Adelsberger ein. Kommentar