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Geburtstag Das Glücksgefühl im Leben

Bernhard Schnitzer aus Halberstadt erzählt, was ihn 100 Jahre alt werden ließ.

Von Sabine Scholz 19.11.2019, 14:07

Halberstadt l Er möge keine Überraschungen, sagt Helga Simon. Aber an diesem Tag macht Bernhard Schnitzer wohl eine Ausnahme. Denn einen 100. Geburtstag zu feiern, geht nicht ohne Überraschungen.

Und so begrüßt der Jubilar nicht nur Freunde, Wegbegleiter und Familie, sondern auch Oberbürgermeister Andreas Henke (Die Linke). Man kennt sich, Schnitzer macht keinen Hehl daraus, wo er politisch steht, er nimmt rege Anteil am Geschehen in der Stadt und der Welt. Die Volksstimme begleitet seinen Lebensweg bereits seit 1948, so lange ist er schon Abonnent, berichtet der rüstige Mann, der ein bisschen erschrocken ist, dass die Zeitung über ihn berichten will. „Aber nur etwas ganz Kleines“, sagt er. Na ja, aber wenn man 100 Jahre alt wird, darf es auch mal ein größerer Beitrag sein.

Jeden Tag ist er noch unterwegs, „mindestens einen Kilometer gehe ich, dass muss sein“, sagt er. Wobei er nicht nur einmal am Tag die Schuhe schnürt, sondern einmal morgens und einmal nachmittags. Dass ihn in jetzt, im hohen Alter, Schwindel begleitet, findet Bernhard Schnitzer lästig, aber davon unterkriegen lässt er sich nicht. „Zum Glück brauche ich noch keinen Rollator. Aber einen Stock. Der ist mein bester Freund“, sagt er lachend.

Gehen musste der am 18. November 1919 in dem Dorf Peicherwitz im Schlesischen geborene viel in seinem Leben. Nicht nur als Kind, sondern auch als junger Mann. „Ich bin als Infanterist eingezogen worden“, berichtet der zweifach verwitwete Familienvater. In Frankreich war er, in Polen und Russland. Bis hinter die Wolga ist er zu Fuß marschiert in diesem verhassten Krieg, aus dem seine zwei Brüder nicht heimkehrten und er nur mit viel Glück. Er überlebte einen Volltreffer in den Geschützbunker, wurde dabei schwer verwundet. Anderthalb Jahre lag er im Lazarett. Kurz darauf kam er in russische Kriegsgefangenschaft, aus er aber schon 1945 heimkehrte.

Sein Weg führte ihn nach Stendal, wo er seine Ehefrau Elfriede glücklich in die Arme schließen konnte. „Ihre Familie war, wie meine Eltern, ausgesiedelt worden“, sagt Schnitzer, der seine Frau 1939 kennengelernt und 1943 in Breslau geheiratet hatte.

Er hatte zwar vor dem Krieg eine Verwaltungslehre absolviert, drückte aber nach 1945 nochmal die Schulbank. Sogar mehrfach, denn neben seiner Ausbildung an der Akademie für Staat und Recht absolvierte er als Berufstätiger später noch ein Fernstudium, dass er 1961 als Agraringenieur abschloss.

Landwirtschaft war ihm vertraut, „ich bin in einem Bauerndorf aufgewachsen“ sagt er. Noch immer spricht er mit großem Respekt von seinen Eltern. „Die waren mir immer ein besonders Vorbild.“

Beruflich führte ihn sein Weg 1953 von Stendal nach Halberstadt, wo er beim damaligen Rat des Kreises tätig war, die Maschinen-Traktoren-Stationen mit aufbaute und auch die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. „Ich wollte helfen, dass die Menschen neue Wege gehen können“, sagt er heute. Noch immer schwärmt er von seiner letzten beruflichen Station, zwölf Jahre war er beim Kreisbetrieb für Landtechnik in Halberstadt tätig. Die Arbeiter dort bewundert er bis heute, was auch in seiner Begrüßungsgrede deutlich wird, mit der er sich an die zahlreichen Gratulanten wandte.

Zu denen zählten auch Vertreter der deutschen Lebensrettungsgesellschaft DLRG, den Ortsverband unterstützt Schnitzer seit Jahren. Einsatz für andere Menschen, das sei wichtig, betont der Jubilar. Überhaupt, freundlicher, liebevoller Umgang miteinander sei etwas ganz Wesentliches, sagt Bernhard Schnitzer. „Mein Glücksgefühl lasse ich mir nicht nehmen!“

Er habe in seinem Leben viel Freude erfahren dürfen, vor allem die 49 Jahre mit seiner Elfriede seien wundervoll gewesen. „Ich habe ein wunderschönes Familienleben geführt mit meiner Frau und meiner Tochter, mit viel Vertrauen, Herzlichkeit, Liebe. Wir sind viel gereist, haben viele Menschen kennengelernt, Freunde gefunden. Das hat mich beseelt und vorwärtsgebracht.“

Zu den Freunden, die gestern im „Lindenhof“ zum Empfang kamen, gehörten einige, die er von seinen 20 Jahren als aktiver Tänzer kennt, 30 Jahre hat er Fußball gespielt und 14 Jahre ist er im MSV Eintracht mit Wanderfreunden unterwegs gewesen. Die hatten dem Jubilar eine Urkunde als Geschenk mitgebracht. Schnitzer war erst 1998 Mitglied der Wandertruppe geworden, bis Ende 2011 ist er gemeinsam mit seinen Wanderfreunden 4537 Kilometer gegangen. „Das entspricht der Fahrtstrecke von Halberstadt nach Istanbul und zurück“, sagte Volker Warnecke, von 1993 bis 2018 Abteilungsleiter Wandern beim MSV Eintracht.

Bernhard Schnitzer unterstützt die Vereinsarbeit noch immer. Nichts zu tun, liegt ihm nicht. Und so entstanden im Ruhestand, den er 26 Jahre lang mit seiner zweiten Lebenspartnerin Elsbeth teilte, Chroniken der Betriebe, in denen er gearbeitet hatte. Und er hatte seine ganz persönlichen Kriegserlebnisse aufgeschrieben, die er 2016 dem Historischen Stadtarchiv Halberstadts schenkte.