Coronavirus Glück erkennen - dank Corona
André Niedostadek ist Professor an der Hochschule Harz und hat ein Buch über Glücksorte im Harz geschrieben.
Halberstadt/Wernigerode l Glück und Corona – wie passt das zusammen? André Niedostadek ist Professor an der Hochschule Harz und hat ein Buch über Glücksorte im Harz geschrieben. Im Gespräch mit Volksstimme-Mitarbeiterin Julia Bruns berichtet er von Glücksmomenten, die erst später zu solchen werden.
Volksstimme: Prof. Niedostadek, wie glücklich sind Sie denn heute? Also jetzt gerade?
André Niedostadek: Ich bin in der Regel sehr happy. Das trifft auch auf jetzt gerade zu.
Woran liegt das?
An mehreren Sachen: Trotz der ganzen Unbeständigkeiten habe ich mich gut organisiert. Und: Mein soziales Miteinander ist nicht untergangen. Allerdings bin ich mir auch bewusst, dass ich da vielleicht etwas glücklichere Rahmenbedingungen habe, als andere.
Für viele Menschen bedeutet Glück Geselligkeit oder auch shoppen zu gehen. Ist das Glückslevel infolge der ganzen Einschränkungen gesunken?
Ich glaube nicht, dass es gesunken ist. Vielleicht ist vielmehr die Frage wieder stärker ins Bewusstsein gerückt: Was fehlt mir eigentlich, um happy zu sein? Häufig ist es ja so, dass wir erst durch einen Mangel merken, dass man etwas Bestimmtes braucht, um glücklich zu sein. Wir haben in Düsseldorf gewohnt. Dort sind die Leute vor Kurzem nach den ersten Lockerungen massenhaft zu Ikea geströmt, haben mehrere Stunden angestanden. Ich käme im Leben nicht darauf, Shopping als Glücksbringer zu begreifen. Ich habe meine Zweifel, ob das wirklich nachhaltig glücklich macht.
Sie haben ein Buch geschrieben, in dem Sie 80 Glücksorte im Harz vorstellen. Welche haben es denn nicht ins Buch geschafft?
Manchmal war es eine Gratwanderung. Ein Klassiker sind die Höhlenwohnungen in Langenstein. Ich bin vier oder fünfmal da gewesen. Ich habe mich immer wieder darauf eingelassen – und mich dann dagegen entschieden. Ich war schon wieder auf dem Weg zurück zum Motorrad – ich habe alle Orte mit dem Motorrad erkundet – als mir eine Dame entgegenkam, die die Höhlenwohnungen betreut. Die habe ich gefragt: Macht das eigentlich glücklich? Und dann sprudelte es nur so aus ihr raus. Sie zeigte mir noch einmal alles, nahm mich mit. Und dabei bin ich auf ein Zitat gestoßen von jemandem, der dort gewohnt hat: Der schrieb, dass er erst später festgestellt hat, was für eine glückliche Zeit er in dieser Höhlenwohnung verbracht hat.
Glück kann also erst im Nachhinein als Glück wahrgenommen werden?
Auf jeden Fall, man erlebt später Glücksmomente. Glück ist nicht immer nur in dem Moment spürbar, wo ich glücklich bin, sondern es gibt einem in einer anderen Zeit einen Aufhänger, sich daran zu erinnern, wie glücklich man war und daraus Kraft zu saugen für das, was kommt. Es ist ein verbindendes Moment – verbindet Vergangenes mit dem Heute. Ja, und manchmal – da verpassen wir es halt doch.
Das Wort „Krise“ ist an sich negativ behaftet. Gerade leben wir in solchen Krisenzeiten. Können wir uns später an das Frühjahr 2020 erinnern und dabei so etwas wie Glück empfinden?
Wir merken es häufig gar nicht, dass wir so eine glückliche Zeit hatten. Und natürlich kann man sich das auch im Zusammenhang mit der Corona-Krise vorstellen. Vielleicht denken wir daran zurück und sagen uns: Der eine oder andere Tag, der war vielleicht doch Glück. Etwa, weil es etwas ruhiger zuging.
Haben es denn die Höhlenwohnungen ins Buch geschafft?
Stimmt, es fehlt ja noch die Auflösung: Nachdem die Dame mir einen Einblick gegeben und mir das Zitat gezeigt hat, habe ich die Höhlenwohnungen doch noch mit aufgenommen.
Was charakterisiert denn einen Glücksort?
Ich habe mich immer wieder bemüht und tatsächlich überlegt: Was macht denn diesen oder jenen Ort glücklich? Nehmen wir den Aufstieg zum Agnesberg. Wenn man da oben steht und den Blick schweifen lässt, dann ist das die schönste Freude überhaupt: nämlich die Vorfreude – Beispielsweise die Vorfreude darauf, den Brocken zu entdecken oder Wernigerode zu entdecken. Dort zu sitzen und runterzuschauen macht dann glücklich.
Apropos Vorfreude: Aktuell sind viele Lockerungen in Aussicht gestellt worden. Man spürt aber auch Unsicherheit: Wie ist das, wenn das normale Leben wieder losgeht – kann man das schaffen?
Ich kann nicht den ganzen Tag mit einer rosaroten Brille herumrennen. Ich brauche den Kontrast, ich muss auch mit Risiken und Unsicherheiten umgehen, um glücklich zu sein. Wenn wir mit einer gewissen Sorge ins Normale starten, ist das auch ein Teil von Glück. Und wenn wir diese Herausforderung meistern, dann haben wir auch ein Glücksempfinden. Für diesen Kontrast steht auch die Teufelsmauer. Sie ragt aus der Natur, signalisiert zwei Seiten. Um glücklich zu sein, muss man auch bisschen unglücklich sein. In Seesen gibt es einen Glücksort, den man mit diesem Gefühl sehr gut verbinden kann. Dort steht eine Statue von Wilhelm Busch. Er ist jemand, den wir mit Kindheitsgeschichten verbinden. Aber er selbst war aber wohl gar nicht so durch und durch glücklich. Und das zeigt auch die Statue: Wenn die Sonne scheint, ist immer Licht und Schatten dort auf dem Gesicht. Auch seine Skizzen spielen ja mit Licht und Schatten.
Manch einer beschreibt die Harzer als eher wortkarges Bergvolk. Sind wir uns denn gar nicht bewusst, in welch glückbringendem Landstrich wir leben?
Ich selbst bin ja Westfale. Denen sagt man auch so eine leicht grummelige Art nach. Was aber gar nicht stimmt. Ich habe viele Rückmeldungen von Harzern erhalten, die gesagt haben: ‚Das ist ja der Hammer. Da bin ich doch selbst noch nie gewesen.‘ Und manche haben sogar gestanden, dass sie ein paar Orte gar nicht kannten. Das ist aber kein typisches Harzer Problem. Das liegt in der Natur der Sache. Da wo man lebt, da nimmt man sich immer vor, sich einmal näher mit zu beschäftigen. Aber das verschiebt man auf später, und dann macht man es später doch nicht.
Was ist denn so ein Ort, den selbst die Harzer nicht kennen?
Bei Vienenburg gibt es eine Kunstinstallation, die heißt „Begegnung“. Sie steht an einem Feldweg. Das ist ein Betonquader, in dem ein Riss ist der den Verlauf der früheren innerdeutschen Grenze darstellt. Oben auf dem Quader sind kleine Figuren, die sich begegnen. Und auch Begegnungen sind ja etwas, das glücklich machen kann. Klar, dass auch diese Kunstinstallation mit reingekommen musste.
Gerade für Kinder und Familien war es eine Zeit voller Entbehrungen. Keine Freunde, die Spieplätze dicht. Haben Sie ein paar Glücksorte für diese Zielgruppe?
Alles, was man gemeinsam machen kann, entdecken kann, macht auch glücklich. Ein Tipp ist zum Beispiel der Naturmythenpfad in Braunlage. Toll ist auch das Josephskreuz auf dem Großen Auerberg, das aussieht wie ein kleiner Eiffelturm. Ein bisschen französisches Flair, und eine spektakuläre Aussicht. Oder wie wäre es mit einer Bootsfahrt auf dem Wendefurther Stausee, dem Besuch der Sandhöhlen in Blankenburg, einem Megasandkasten ...?
Die Frage kommt fast ein bisschen spät: Was macht Sie eigentlich zum Glücksexperten?
Vielleicht, dass ich das Glück hatte, mich damit beschäftigen zu können. Ich bin ja nichtberuflich Glücksexperte. Aber ich habe mir selbst immer wieder Gelegenheiten gesucht, mich mit dem Thema Glück zu befassen. Und dabei selbst immens viel gelernt. Als Professor unter anderem für Arbeitsrecht habe ich aktuell viel mit dem Thema New Work, also der Zukunft der Arbeit zu tun – und ich betrachte das inzwischen ganz anders. Ich habe mich gefragt: Macht Digitalisierung glücklich? Es gibt ein tolles Zitat von Tolstoi: „In unserer Zeit herrscht ein schrecklicher Aberglaube, er besteht darin, dass wir begeistert jede Erfindung aufgreifen, welche die Arbeit erleichtert, und glauben, sie unbedingt nutzen zu müssen, ohne uns die Frage vorzulegen, ob diese die Arbeit erleichternde Erfindung unser Glück vermehrt oder vielleicht Schönheit zerstört.“ Es ist toll für mich, über den Tellerrand zu schauen. Mich freut aber vor allem, wenn das Buch andere inspiriert, sich ihren jeweiligen Herzensprojekten zu widmen.