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Projektpartner stellen Wachstumspakt vor - Stadträte entwerfen eigenes Konzept "Haldensleben 2020": Kommune und Unternehmen ziehen an einem Strang

Von Jens Kusian 26.10.2011, 06:24

Der Wachstumspakt "Haldensleben 2020" wurde gestern offiziell von Bürgermeister Norbert Eichler vorgestellt. Doch nicht nur die Verwaltung macht sich Gedanken, um den Einwohnerschwund zu stoppen. Auch Stadträte der Fraktionen Freie Wähler/pro Althaldensleben, Bündnis 90/Grüne und FDP haben sich mit dem Thema beschäftigt.

Haldensleben l Seit Jahren schon hat auch die Kreisstadt Haldensleben mit sinkenden Einwohnerzahlen zu kämpfen. Das wirkt sich nicht nur auf die finanzielle Situation - weniger Einwohner bedeuten auch weniger Zuweisungen vom Land - aus. Auch die in Haldensleben ansässigen Unternehmen stellt diese Entwicklung vor Probleme - sie finden vor Ort keine qualifizierten Fachkräfte mehr. Diese kommen täglich als Einpendler von außerhalb - zu etwa 40 Prozent aus der näheren Umgebung, zu rund 60 Prozent aus dem restlichen Land Sachsen-Anhalt. Unterm Strich hat die Kreisstädt etwa 3000 Einpendler mehr als Auspendler.

Ein Pfund, mit dem die Stadt in Zukunft wuchern möchte: Aus diesem "Einpendlerpool" sollen Neubürger für Haldensleben "gewonnen" werden. Deshalb wird seit Anfang des Jahres ein Projekt verfolgt, das in Sachsen-Anhalt seinesgleichen sucht - der Wachstumspakt "Haldensleben 2020". Dazu haben sich die Stadtverwaltung und die städtische Wohnungsbaugesellschaft mit den Unternehmen Brömse, Euroglas, Keramag, IFA Rotorion und Hermes Fulfilment zusammengeschlossen.

Bürgermeister Norbert Eichler hat gestern den Wachstumspakt vorgestellt. Der Titel "Haldensleben 2020" sei mit Bedacht gewählt worden, erklärte er: "Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 die Einwohnerzahl um 20 Prozent zu erhöhen und die Wegzug um 20 Prozent zu verringern." Denn eine Stadt, so ist Eichler überzeugt, verliere immer mehr an Bedeutung, je weniger Einwohner sie hat. "Und wir wollen zeigen, dass sich die Wachstumsregionen im Osten nicht nur auf eine Handvoll auserwählter Orte beschränken", betont er.

Den Betrieben fehlen qualifizierte Mitarbeiter

Und Haldensleben sei ein Ort, der in den vergangenen Jahren gewachsen sei, zumindest wirtschaftlich, so der Bürgermeister weiter, und er nennt als Beispiele die 400 beziehungsweise 300 neuen Arbeitsplätze, die bei der IFA Rotorion und bei Hermes Fulfilment in den vergangenen Monaten neu entstanden sind. "Viele Betriebe in Haldensleben haben sich vergrößert, doch sie alle haben ein Problem - ihnen fehlen die Mitarbeiter mit den entsprechenden Qualifikationen", meint Eichler. Und genau da soll "Haldensleben 2020" greifen. "Wir wollen die Einpendler gewinnen, sie in die Stadt ziehen, wo sie arbeiten, wohnen und leben können", unterstreicht das Stadtoberhaupt.

Das soll eben über eine Vernetzung von Kommune und Unternehmen realisiert werden. So ist konkret geplant, Mitte November ein Internetportal freizuschalten, auf dem die ortsansässigen Unternehmen ihre freien Stellen anbieten können und das gleichzeitig mit einem Immobilien- und Wohnungsmanagement gekoppelt ist. "So bekommen Bewerber die wichtigsten Informationen über den Arbeitsplatz und die Stadt Haldensleben aus einer Quelle", nennt Christian Winter, Geschäftsführer von Euroglas, den Synergieeffekt. "Es ist eine einmalige Chance, dass sich Unternehmen und die Stadt zusammen an einen Tisch setzen. Dadurch wird mehr erreicht, als man es als ¿Einzelkämpfer\' könnte", ist er überzeugt.

Um Nachwuchs für das Unternehmen zu bekommen, unterstützt Euroglas in Haldensleben ganz konkret eine Grundschule, bietet Praktikaplätze für Sekundarschüler an. "Wir wollen so früh wie möglich auf uns aufmerksam machen, um später auch Mitarbeiter hier aus der Region zu bekommen", macht Winter deutlich.

Auch Stefan Brömse steht hinter dem Wachstumspakt. "Wir haben hier in Haldensleben eine interessante Mischung an Firmen, die aber glücklicherweise nicht im Wettbewerb zueinander stehen und sich die Mitarbeiter gegenseitig abwerben", meint er. Doch auch der Geschäftsführer der Brömse GmbH weiß, wo der Schuh drückt: "Es fehlt in Haldensleben beispielsweise an qualitativem Wohnraum für das mittlere Führungsmanagement."

Wir wollen Haldensleben nicht neu erfinden

Daher sei es seiner Meinung nach auch wichtig, dass mit "Haldensleben 2020" durchaus pragmatische Ansätze verfolgt werden, "auch wenn wir Haldensleben nicht neu erfinden wollen". So schwört Bremse auf das - mittlerweile in Stadtgespräch umbenannte - "Pendlerfrühstück", bei dem den Mitarbeitern seines Unternehmens die Stadt Haldensleben in lockerer Runde präsentiert wird und das bereits sehr gut angenommen werde. Auch mit dieser "Werbeaktion" soll versucht werden, dass Arbeitskräfte von außerhalb nach Haldensleben ziehen. "Wir brauchen gute Leute, die voll konzentriert bei der Sache sind und nicht schon zwei Stunden vor Arbeitsbeginn im Auto sitzen", ist seine Überzeugung.

Nicht zu vernachlässigen seien jedoch auch die so genannten weichen Standortfaktoren, ergänzt Norbert Eichler. "Wir müssen auch den Familien etwas bieten. Kindereinrichtungen, medizinische Versorgung, Freizeitmöglichkeiten - all das haben wir in Haldensleben. Wir müssen es nur bekannter machen, man muss über diese Dinge Bescheid wissen", nennt er einen weiteren Schwerpunkt von "Haldensleben 2020". "Und es gibt die Garantie von der Stadt, dass jedes Haldensleber Kind auch einen Platz in einer Kindertagesstätte bekommt", fügt Nicole Job, Mitarbeiterin der Abteilung Stadtmarketing, hinzu und verweist zugleich auf das "2020"-Projekt "Wirtschaft macht Schule": die Einrichtung einer Kinder-Uni im Innovationszentrum in Althaldensleben, für die bereits Prof. Jürgen Häberle von der Hochschule Magdeburg-Stendal gewonnen werden konnte.

Es lohnt sich, miteinander zu sprechen

Auch vor diesem Hintergrund sieht Stefan Brömse, wie wichtig es sei, dass auch die Unternehmen untereinander in Kontakt kommen: "Ohne ¿Haldensleben 2020\' hätte die Stadtverwaltung womöglich einen Betriebskindergarten eingerichtet. Aber eine Befragung in den Unternehmen hat gezeigt, dass dafür überhaupt kein Bedarf besteht, was zeigt, dass die Versorgung in Haldenslebn ausgesprochen gut ist. Und es ist ein Beweis dafür, dass es sich lohnt, miteinander zu sprechen."

Gedanken, wie sich Haldensleben weiterentwickeln, wie die Stadt lebenswerter gestaltet werden kann, haben sich auch einige Stadträte und Politikinteressierte aus Haldensleben gemacht. Noch bevor das Projekt "Haldensleben 2020" erstmals öffentlich am 27. September auf Schloss Hundisburg als "Diskussionsgrundlage" vorgestellt wurde, hatten Regina Blenkle und Hartmut Neumann (Freie Wähler/pro Althaldensleben), Tim Teßmann (Bündnis 90/Grüne), Ralf Neuzerling (FDP) und Gesine Herzberg aus Althaldensleben ein eigenständiges Konzept zu diesem Thema entwickelt. "Ein eigenständiges Konzept deshalb, weil ¿2020\' nicht auf die Bürger eingeht, die bereits in Haldensleben leben", begründet Regina Blenkle diesen Schritt. Sie und ihre Mitstreiter fühlen sich übergangen. "¿Haldensleben 2020\' sollte ¿Chefsache\' sein. Als Stadträte haben wir das Recht und die Pflicht, mit einbezogen zu werden, um die Entscheidungen zu treffen", kritisieren sie den Zeitpunkt, den die Stadtverwaltung für die Präsentation von "Haldensleben 2020" im September gewählt hatte. Denn zeitgleich tagte auch der Ausschuss für Soziales, Kultur, Schule und Sport des Stadtrats.

"Um das Leben lebenswerter zu machen, dazu gehört mehr als nur die Wirtschaft", ist Ralf Neuzerling überzeugt. Daher sollten auch die kleinen Dinge im täglichen Leben berücksichtigt werden, die Haldensleben attraktiver machen könnten. "Wir wissen doch alle, wenn es für die Wirtschaft hier klappt, dann kann es auch für den Bürger klappen. Doch der Wachstumspakt ist zu einseitig auf die Wirtschaft ausgerichtet", moniert er.

Unser Konzept soll die Bürger auffordern, mitzudiskutieren

Das Quintett hat ganz konkrete Vorstellungen erarbeitet, was in Haldensleben verbessert werden könnte, um nicht nur Neubürger zu gewinnen, sondern auch Eingesessene in der Stadt zu halten. Sie reichen von der Verbesserung des städtischen Nahverkehrs über den Erlass von Kopierkosten an den Grundschulen bis zur Überarbeitung der Satzung für die Stadtsanierung. "Unser Konzept soll die Bürger auffordern, mitzudiskutieren und ihre Anregungen zu geben", wünschen sich die Stadträte und Gesine Herzberg.

Die Volksstimme wird in den nächsten Wochen ausführlich über die Schwerpunkte der beiden Konzepte berichten. Damit sollen auch Sie, liebe Leser, die Möglichkeit bekommen, Ihre Meinung zu sagen, wie Haldensleben künftig noch lebenswerter gestaltet werden kann.