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Flugzeug-Unglück Harzerin entgeht haarscharf Katastrophe am Flugplatz Ballenstedt

Nur knapp sind die Insassen eines Autos einer Katastrophe entgangen, dass am Flugplatz Ballenstedt von einer Cessna getroffenen wurde. Wie kam es zu dem Unfall?

Von Dennis Lotzmann 10.05.2021, 20:24
Eine der beiden Ampeln am Flugplatz Ballenstedt: Mit ihnen  kann der Straßenverkehr auf der Kreisstraße beim  Starten und Landen größerer Maschinen  im Bereich der Flugschneise gestoppt werden.  Landet eine vergleichsweise kleine Cessna, bleiben sie aus.
Eine der beiden Ampeln am Flugplatz Ballenstedt: Mit ihnen kann der Straßenverkehr auf der Kreisstraße beim Starten und Landen größerer Maschinen im Bereich der Flugschneise gestoppt werden. Landet eine vergleichsweise kleine Cessna, bleiben sie aus. Foto: D. Lotzmann

Ballenstedt

Keine Frage: Henriette Egler und ihr Sohnemann Benno hatten am Sonntagnachmittag, 9. Mai, alle Schutzengel dieser Welt auf ihrer Seite. Als die 36-Jährige am frühen Nachmittag mit ihrem Caddy und dem acht Monate alten Söhnchen in der Babyschale von Quedlinburg nach Pansfelde unterwegs ist, um ihrer Mutter zum Muttertag zu gratulieren, rollt sie auf der Kreisstraße auch unmittelbar an der Landebahn des Flugplatzes Ballenstedt vorbei. Und genau dort passiert gegen 14.40 Uhr das schier unvorstellbare Unglück: Eine Cessna 172 T, deren Pilot gerade im Landeanflug ist, kracht mit dem Bugrad gegen die hintere Säule des Wagens. Die Scheibe splittert, die Heckklappe wird abgerissen – und nur dank unendlichen Glücks überleben Mutter und Sohn diesen Unfall weitestgehend unbeschadet .

Eines ist am Tag danach – Mutter und Kind sind vorsorglich noch bis Dienstag, 11. Mai, zur Beobachtung im Quedlinburger Klinikum – klar: Die 36-Jährige, die im April Geburtstag feiert, und ihr im August 2020 geborener Sohn Benno, können künftig auch am 9. Mai auf das Leben anstoßen. Sie hatten, darin besteht für die beteiligten Retter und die Polizei noch an der Unglücksstelle kein Fünkchen Zweifel, megamäßiges Glück und sind um Haaresbreite einer Katastrophe entgangen.

Mir wird erst jetzt, wo ich das alles noch mal erzähle, klar, wie verdammt viel Glück wir hatten.

Henriette Egler, Opfer des Flugzeug-Unglücks

„Die Polizeibeamten haben mir gesagt, dass nur wenige Zentimer gefehlt haben und das Rad des Flugzeug-Fahrwerks hätte die hintere Scheibe des Autos voll getroffen. Und dann wären wir niemals so glimpflich davongekommen“, berichtet die junge Mutter telefonisch aus dem Quedlinburger Krankenhaus.

Dort befindet sie sich am Montagnachmittag unter Beobachtung und lässt im Gespräch mit der Volksstimme die dramatischen Augenblicke – „es war wie in einem Action-Film“ – noch mal vor sich ablaufen.

Es ist unmittelbar vor 14.40 Uhr am Sonntag, als die beiden mit ihrem Caddy den Ballenstedter Ortsteil Badeborn passieren und die langgezogene Kreisstraße in Richtung des Flugplatzes Ballenstedt-Asmusstedt befahren. „Alles war perfekt, ich habe via Freisprechanlage mit einer Freundin telefoniert und gleich hinter Badeborn im Augenwinkel auch das Flugzeug in der Luft wahrgenommen“, erinnert sich die 36-Jährige. Alles bestens also: Der Wagen rollt bei fast schon sommerlichem Wetter, die Fahrerin schaut auf die Straße und spricht mit ihrer Freundin, Söhnchen Benno liegt rücklings mittig auf der mittleren Sitzbank des Caddy in seiner Babyschale.

Mutter von achtmonatigem Kind unter Schock

Dann, kurz vor Asmusstedt und auf Höhe der Start- und Landebahn passiert es: „Ich nahm plötzlich ein sehr lautes Motorengeräusch wahr und dann gab es auch schon einen lauten Knall“, beschreibt die 36-Jährige die entscheidenden Augenblicke. „Ich habe sofort nach oben geschaut, weil ich dachte, unserer Autodach ist weg.“ Ist es zum Glück nicht.

Henriette Egler reagiert instinktiv-automatisch: Sie stoppt den Wagen, springt heraus, öffnet die Schiebetür und rettet Benno. „Dann bin ich erstmal verwirrt über die Straße getaumelt, wusste zunächst überhaupt nicht, was passiert ist.“ Dass ihr Caddy hinten am Heck schwer demoliert ist, dass die Scheibe geborsten ist und es die ganze Heckklappe abgerissen hat – all das habe sie erst viel später registriert.

Eine Autofahrerin, die ihrem Wagen direkt folgte und zwei Radler, die gerade des Wegs kommen, stoppen und kümmern sich um Mutter und Sohn.

Derweil löst Flugleiter Niclas Hosang, der vom nahen Tower des Flugplatzes die Kollision beobachtet hat, Alarm aus. Da auch er sofort erkennt, wie schwer die Cessna beschädigt ist - unter anderen wurden Teile des Fahrwerks abgerissen – geht zunächst die Meldung „Flugzeugabsturz, Feuer, vier Verletzte“ raus. Augenblicke später werden die Feuerwehren Ballenstedt/Opperode und Radisleben alarmiert, dazu zwei Notärzte, vier Rettungswagen und reichlich Polizei.

Pilot entschuldigt sich sofort nach Bruchlandung

Tatsächlich gerät die maximal gut eine Tonne schwere Cessna aufgrund der heftigen Kollision aus der Flugbahn. Sie kracht auf die Landebahn, dreht sich laut Polizei einmal um die eigene Achse und kommt nach mehr als 100 Metern Schlitterpartie am Rande der Bahn zum Stehen.

Ebenso wie die beiden Insassen im Auto stehen der 56 Jahre alte Pilot und und dessen 54 Jahre alte Frau unter Schock. Aber auch die beiden Niedersachsen haben maximales Glück im Unglück. Sie klettern unverletzt aus dem Flugzeugwrack.

Nachdem sich der Pilot – er ist selbst Arzt – kurz um seine Frau gekümmert hat, eilt er zu Henriette Egler und ihrem Sohn. „Er hat nach uns geschaut, ob es uns soweit gut geht, und sich entschuldigt. Er sagte, dass ihm das alles total leid tue und ihn eine Windböe erfasst habe“, berichtet die junge Mutter.

Wenig später rasen die ersten Retter heran. Die Feuerwehren, für die es via Funk schon erste Entwarnung gab – kein Feuer – steuern das Rollfeld an. Ebenso der erste Notarztwagen, der glatt am Caddy-Wrack vorbeirast, weil auch er das Unglück auf dem Rollfeld verortet. „Es ging wirklich sehr schnell – binnen zehn Minuten waren alle da und haben sich um uns gekümmert.“

Die junge Mutter kann erstmal aufatmen – Söhnchen Benno scheint völlig unverletzt, sie selbst steht unter Schock und bekommt eine Infusion. Entscheidender Glücksumstand: Dass ihre drei anderen Kinder im Alter zwischen vier und neun Jahren beim Muttertagsbesuch fehlen, rettet sie wohl vor fatalen Verletzungen. Denn eines scheint klar: Hätten ihre beiden Mädchen ganz hinten auf der Rücksitzbank gesessen, wäre es wohl niemals so glimpflich ausgegangen.

Und mehr noch: Da das Bugrad den Caddy an der C-Säule traf und dann die Heckklappe abriss, kann man wohl wirklich von Touchieren sprechen. Nicht auszudenken, wenn das Flugzeug-Rad ins hintere Fenster gekracht und sich mit dem Wagen verhakt hätte. Dann hätte das Flugzeug den Wagen womöglich mitgeschleift und schlimmstenfalls umgekippt. „Mir wird erst jetzt, wo ich das alles noch mal erzähle, klar, wie verdammt viel Glück wir hatten.“

Windböe oder Flugfehler als Ursache?

Das sieht auch Uwe Gröschler, Geschäftsführer des Flugplatzes, so. Auch er kann über die Ursache für das Unglück bislang nur rätseln. Da zum Glück niemand ernsthaft verletzt wurde, hat die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung in Braunschweig keinen weiteren Ermittlungen eingeleitet und überlässt diese Aufgabe der Polizei. Dreh- und Angelpunkt dürfte letztlich die Frage sein, warum die Cessna die Straße in so geringer Höhe überflog. War es tatsächlich eine Windböe, wie der Pilot gegenüber Henriette Egler berichtet hat oder war es ein Flugfehler?

Gröschler will ebenso wenig spekulieren wie Hauke Roggenbuck, Chef der Staatsanwaltschaft in Halberstadt. „Wir haben ein Ermittlungsverfahren wegen Gefährdung des Luftverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung eingeleitet. In diesem Zuge wird der gesamte Sachverhalt auch mithilfe von Zeugen aufgeklärt“, kündigt der Oberstaatsanwalt an.

In jedem Fall, so Gröschler, seien die Rahmenbedingungen klar und in allen Flugkarten fixiert: Die Kreisstraße müsse in einer Mindestflughöhe von 50 Fuß – umgerechnet 16 Metern – überflogen werden. Mit Blick auf dieses Maß hätten Piloten beim Landeanflug auch Hilfsmittel, erklärt Gröschler unter Hinweis auf das in Ballenstedt installierte PAPI-System. Dabei handele es sich um eine Präzisions-Anflugwinkel-Befeuerung, mit der dem Piloten optisch signalisiert werde, ob er sich im richtigen Gleitwinkel befindet.

Ich habe sofort nach oben geschaut, weil ich dachte, unserer Autodach ist weg.

Henriette Egler, Opfer des Flugzeugunglücks

„Fliegt der Pilot zu tief heran, sieht er dank Prismeneinstellung vier rote Signale. Ist er zu hoch, nimmt er nur weiße Lichter wahr.“ Sei er im korrekten Flugkorridor unterwegs, träfen sich die Farbsignale gewissermaßen mittig – zweimal rot und zweimal weiß. Zudem sei auf der 805 Meter langen Landebahn zur optischen Orientierung eine Aufsetzschwelle markiert, die sich 180 Meter hinter dem Bahnanfang befinde. Von dort sind es noch mal einige Meter bis zur Straße. Also eigentlich alles genau geregelt und markiert, so Gröschler.

Apropos Straße: Nach dem Unglück sind Fragen aufgekommen, warum die zwei Ampeln, die beiderseits der Landebahn an der Straße installiert sind, faktisch nie in Betrieb sind. „Weil sie nur nötig sind, wenn größere Maschinen starten oder landen“, erklärt Flugplatzchef Gröschler. Heißt: Nur wenn eine zweimotorige Maschine oder ein Flieger mit mehr als zwei Tonnen Gewicht die Landebahn ansteuern oder abheben wollen, schalten die beiden Ampeln auf Gelb und Rot und blockieren den Verkehr. Dieses Prozedere, über das der jeweilige Flugleiter entscheide, habe seit 30 Jahren unfallfrei funktioniert. Und das bei jährlich rund 15?000 Flugbewegungen, wie Gröschler betont.

Zurück zu Henriette Egler: Die plagen am Montag noch Kopf- sowie Rücken- und Nackenschmerzen. Wohl Nachwirkungen des Aufpralls. Klein-Benno sei komplett unauffällig. Beide sollen am Dienstag aus der Klinik entlassen werden – die junge Mutter hofft, dass sich fürs Auto schnell eine Lösung findet. „Das brauchen wir.“ Die Polizei beziffert den Gesamtschaden auf rund 160.000 Euro.

Das Wrack des  VW Caddy macht deutlich, wie heftig der Aufprall bdes Flugzeugs bei Ballenstedt war – zum Glück war der Kindersitz hinten links unbesetzt.
Das Wrack des VW Caddy macht deutlich, wie heftig der Aufprall bdes Flugzeugs bei Ballenstedt war – zum Glück war der Kindersitz hinten links unbesetzt.
Foto: Polizeirevier Harz
Henriette Egler, deren Auto am Sonntag  von einer Cessna touchiert worden ist, mit Söhnchen Benno.
Henriette Egler, deren Auto am Sonntag von einer Cessna touchiert worden ist, mit Söhnchen Benno.
Foto: Egler