Hochwasserschutz Harzer wappnen sich gegen Wetterextreme
Bürgerinitiativen, Behörden und Ingenieurbüros haben sich in Halberstadt getroffen, um über Hochwasserschutz im Harz zu beraten.
Halberstadt l „Gilt der Grundsatz ,Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser‘ noch?“ Die von Landrat Martin Skiebe (CDU) in der Einladung zur aktuellen Bestandsaufnahme in Sachen Hochwasserschutz und mit Blick auf die Dürre des Sommers 2018 formulierte Frage war rhetorischer Natur. Die Antwort – so sie nicht schon x-fach formuliert worden ist – lieferten Friedhart Knolle vom Nationalpark-Förderverein und Wetterstationsbetreiber Arne Bastian eingangs der Runde im Halberstädter Käthe-Kollwitz-Gymnasium: Wetter und Klima würden immer extremer – mehr Hitze, mehr Dürre wie 2018, aber eben auch mehr Extremniederschläge binnen kurzer Zeit.
So wie im Sommer 2017, als in wenigen Stunden das Mehrfache des Niederschlagssolls eines ganzen Monats über Teilen des Harzes niederging. Die Folgen sind ebenso bekannt wie Knolles und Bastians grundsätzliche Fakten: Ilse, Holtemme und der friedliche Goldbach schwollen an und fluteten weite Teile des Kreises. Eine Frau, die in Wernigerode in die Holtemme stürzte, starb.
Den aktuellen Ist-Stand beim Hochwasserschutz, oder besser: die Arbeitsaufgabe, skizzierte Katharina Wendland von der Kreisverwaltung mit Blick auf eine kürzliche Übung, bei der fiktiv große Teile des Kreises unter Wasser standen: „Wir müssen noch sehr viel machen.“
Dabei – das ist ein Kernsatz, der beim jüngsten Hochwasser-Tag am Mittwoch immer wieder betont worden ist – soll gemeinsam nach Lösungen gesucht werden. „Wir sitzen alle in einem Boot, keiner hat allein Schuld“, brachte es Knolle auf den Punkt. „Uns eint das Ziel, dass der Hochwasserschutz auf eine andere Ebene gehoben wird“, formulierte es Juliane Beese von der Bürgerinitiative Hasserode. Ihre konkrete Forderung: „Der ganz Harz muss als Hochwasser-Risikogebiet deklariert werden.“
In dieser Forderung haben die Teilnehmer des Hochwasser-Tages von Knolle und Bastian zuhauf Argumente bekommen: Weil sich in bestimmten Wetterlagen zuhauf Wolken am Harz stauten, müsse auch künftig mit vergleichbaren Wetterlagen wie im Sommer 2017 gerechnet werden. „Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen – da kommt einiges auf uns zu“, betonte Knolle.
Ein Szenario, das mittlerweile in Konsequenzen mündet. Die Kooperation miteinander anstelle von Debatten übereinander ist ein konkretes Resultat. Das Hochwasserschutz-Konzept für das Stadtgebiet von Wernigerode, das erstmals präsentiert wurde, ein Weiteres.
Kern dabei: Die Betrachtung von Überschwemmungsgebieten im Hochwasser-Fall und die Frage, wie Schäden in Grenzen zu halten sind. Dabei hat das von der Stadt Wernigerode beauftragte Ingenieurbüro Neuland betreten, indem erstmals die Überschwemmungsflächen von Gewässern erster Ordnung (Holtemme und Zillierbach) und zweiter Ordnung (16 kleinere Gewässer im Stadtgebiet) gemeinsam betrachtet wurden. Was beim Hochwasserschutz Grundsatz sein sollte, wie Christoph Ertl, Bereichsleiter beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz betont: „Schwachstellenanalyse und Hochwasserschutz müssen gemeinsam betrachtet werden.“
Dabei macht das Computermodell zahlreiche Schwachpunkte deutlich – beispielsweise in Benzingerode am Zusammenfluss von Hellbach und Kaxgrundbach. Oder im Stadtgebiet, wo sich Verrohrungs-Einläufe oder ebenfalls Zusammenflüsse als Schwachstellen herauskristallisieren.
Erkenntnis dabei: Manche Problempunkte lassen sich entschärfen. So könnte mit einer Verlängerung des Holtemme-Schutzdamms Silstedt selbst dann geschützt werden, wenn Hochwasser an Gewässern erster und zweiter Ordnung zeitgleich auftreten würden.
Gleiches gilt für Benzingerode: Mit zwei Rückhaltebecken an den Bächen wäre man im Kampf gegen eine Flut, wie sie rechnerisch alle 100 Jahre auftritt, erfolgreich. Es gibt aber auch hier das berühmte Aber: Ein gelöstes Problem schafft mitunter andernorts neue.
Generelle Strategie im Hochwasserschutz: Überflutungs- und Rückstauflächen außerorts schaffen, um die Gewässer mit möglichst wenig Schäden durch die Orte zu leiten. Zwar lassen sich auch so nicht alle Nadelöhre innerorts beseitigen. In Halberstadt ist das Prinzip entlang der Holtemme im Sommer 2017 aber weitestgehend aufgegangen: Vor der Stadt bekam der Fluss in den vergangenen Jahren zusätzliche Überflutungsflächen, in der Stadt gab es praktisch kaum Schäden entlang der Holtemme.
Wernigerode hat – wenngleich das hydrologische Modell nun vorliegt – hier topografische Probleme: In Tälern oberhalb der Stadt lassen sich schwerlich Überflutungsflächen wie im Flachland ausweisen, dafür sind Täler Kandidaten für Stau- oder Rückhaltebecken.
Geht es nach Juliane Beese, sollte im Seitental der Steinernen Renne ein solches Rückhaltebecken für die Holtemme entstehen. Besser heute als morgen, so die Aktivistin der Bürgerinitiative, die als Hochwasseropfer des Sommers 2017 nachvollziehbaren Druck aufbaut. „Ich wünsche mir, dass hier in Wernigerode mehr sichtbar wird“, sagt sie und skizziert ihr Empfinden: „Unser Oberbürgermeister ist interessiert, aber Interesse allein reicht nicht.“ Gleichwohl gebe es nach Kontakten mit dem Land nun Signale, dass man ein solches Rückhaltebecken konkret prüfe, so Beese.
Ein Rückhaltebecken oder mehr natürlicher Überflutungsraum soll auch der Goldbach bekommen, der 2017 mit einer ungeahnten Flutwelle über Langenstein, Halberstadt und Harsleben hinweggerollt ist. Rückhaltebecken – das zeigt die Vielschichtigkeit – fordern übrigens auch Landwirte. Um Dürre-Perioden wie im Sommer besser abfedern zu können.
Na klar, nickt Juliane Beese, mit Blick auf Landrat Skiebes rhetorische Eingangsfrage: Nach dem Hochwasser sei vor dem Hochwasser, und ergänzt: Nach der Dürre sei vor der Dürre. „Deshalb müssen wir dranbleiben. Die Runde war ein guter Schritt, es geht mühsam voran, die positive Tendenz ist aber klar erkennbar.“