Bennet Fattroth ist der letzte Zivildienstleistende der Lebenshilfe Ostfalen in Hundisburg Hoffnung liegt auf den Freiwilligen
Zum 1. Juli endet die Wehrpflicht und damit der Zivildienst für Deutschlands junge Männer. Besonders die sozialen Einrichtungen bekommen ihren Wegfall zu spüren. Bis vor wenigen Monaten beschäftigte die Lebenshilfe Ostfalen durchschnittlich acht Zivildienstleistende gleichzeitig, heute ist es nur noch einer. Wenn Bennet Fattroth im September als letzter seiner Art die Einrichtung verlässt, muss die Lücke durch Freiwillige gefüllt werden. Gerade mal eine Bewerbung ist bis heute eingegangen.
Hundisburg. Wenn Bennet Fattroth durch die Behindertenwerkstätten der Lebenshilfe Ostfalen geht, kommen die Mitarbeiter freudestrahlend auf ihn zu, albern mit ihm rum und wollen mit ihm über Fußball reden. Sie mögen ihn, den 21-jährigen Haldensleber, der fast immer zu lächeln scheint. Er selbst geht ungezwungen mit den Behinderten um, kennt ihre Persönlichkeiten, lacht mit ihnen und muss sie hin und wieder mit gespielter Strenge ermahnen. "Sie freuen sich immer richtig, wenn sie mich sehen. Bereits vom ersten Tag an, als sie wussten, dass ¿der Neue\' kommt, wollten sie mich alle gleich kennenlernen", erzählt der gelernte Metallbauer.
Am 4. April begann sein Einsatz, und eigentlich hatte die Lebenshilfe Ostfalen gar nicht mehr damit gerechnet, dass sie noch einen Zivildienstleistenden bekommen würden. Bennet stand es aufgrund des späten Zeitpunktes frei, ob er seinen Dienst noch antreten möchte, oder ob er lieber in seinem gelernten Beruf weiter arbeiten wolle. "Ich habe mich bewusst für den Zivildienst entschieden. Ich wollte die Erfahrung machen, mit behinderten Menschen zusammen zu arbeiten", sagt er und merkt bereits nach den wenigen Wochen, wie positiv ihn diese Menschen beeinflussen. "Ich werde toleranter und geduldiger und bin immer wieder fasziniert, mit welcher Leidenschaft sie bei der Sache sind, besonders beim Fußball." Dann lacht er und fügt hinzu: "Nur, dass sie hier alle Bayern-Fans sind, das kann ich nicht verstehen."
"Sie fehlen an allen Ecken und Kanten"
165 Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten in der Lebenshilfe. In Werkstätten werden Lattenroste zusammengefügt oder Autoteile vorbereitet. Es gibt auch einen Hauswirtschaftsbereich und viel Gartenarbeit zu erledigen. Und überall gibt es auch etwas für Bennet zu tun. Momentan unterstützt er die Wäscherei. Er erklärt Arbeitsabläufe, sortiert die Wäsche in Körbe und schreibt Rechnungen für die Kunden. Später am Tag erledigt er Fahrdienste, organisiert Fußballspiele und hört den Geschichten seiner Schützlinge zu.
"Es fällt mir auf, dass Menschen mit Behinderung immer im Hier und Jetzt leben. Wenn sie sich mit mir unterhalten, dann geht es immer um das, was sie gerade beschäftigt oder erleben." Dass Bennet der letzte Zivi ist und es bis heute ungewiss bleibt, wer danach, neben den fest angestellten Betreuern, für sie da sein wird, ahnen sie nicht. Zu schwer wäre es, den Mitarbeitern aufgrund ihrer geistigen Behinderungen den Sachverhalt deutlich zu machen. Die Lebenshilfe hofft, dass in Zukunft Freiwillige die Lücke schließen werden, die die Zivildienstleistenden schon jetzt hinterlassen. Sylvia Troppenz, Zivildienstbeauftragte für die Lebenshilfe Ostfalen, ist pessimistisch: "Die Zivis fehlen an allen Ecken und Kanten. Ich glaube nicht, dass der Freiwilligendienst sie ausreichend ersetzen kann. Wir haben gerade mal eine Bewerbung erhalten. Eigentlich müssten wir neue Stellen einrichten, aber dafür reicht das Geld nicht."
Deutschlandweit fallen in diesem Jahr 90000 Plätze im Zivildienst weg. Der Bundesfreiwilligendienst sieht vor, 35000 Stellen davon ersatzweise mit Freiwilligen zu besetzen - unabhängig von Alter und Geschlecht. Gebaut wird allein auf Engagement und Eigeninitiative. Sylvia Troppenz glaubt nicht, dass das ausreichen wird: "Wir haben zwar noch keine Erfahrungswerte, auf die wir zurückgreifen können, aber es sieht schlecht aus. Niemand würde für den Dienst freiwillig aus dem Beruf aussteigen. Und die Schulabgänger denken doch in erster Linie an ihre eigene berufliche Zukunft." Und da ist noch etwas, was der Zivildienstbeauftragten zu Denken gibt. Viele der jungen Männer traten zunächst nur mit einem unzureichenden Bewusstsein über gesellschaftliche Randgruppen ihren Zivildienst an. Begegnungen oder der Umgang mit behinderten Menschen waren ihnen oft fremd.
"Die Zivis haben viel fürs Leben gelernt"
Silvia Troppenz konnte förmlich täglich beobachten, wie sich das gesellschaftliche Verantwortungsgefühl bei ihren Schützlingen nach und nach veränderte. "Die Zivis haben hier viel für das Leben gelernt. Es war manchmal erstaunlich, wie sehr sie in der kurzen Zeit an innerer Reife dazu gewonnen haben. Einige haben im Anschluss sogar ihre vorigen Berufswünsche über Bord geworfen und wollten von da an lieber im sozialen Bereich arbeiten." Bennet Fattroth muss jetzt allein die Stellung halten. Oft kommt er in Zeitnot, muss sich parallel um verschiedene Dinge kümmern, aber er weiß, dass er mit seinem Einsatz einen wichtigen Beitrag leistet.
"Es ist wichtig, dass jemand für diese Menschen da ist", sagt er. Auch er ist sich nicht sicher, ob sich genug Freiwillige finden lassen. Zwar wird Bennet Fattroth nach seinem Zivildienst wieder in seinen Beruf als Metallbauer zurückkehren, doch dann mit einem neuen Bewusstsein für die Bedürfnisse der Schwächeren in der Gesellschaft. Eine Erfahrung, von der er den Rest seines Lebens profitieren wird.