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Jüdischer Friedhof Harte Arbeit für kulturelles Erbe

Manchmal muss man Gestrüpp zu Leibe rücken, um Kulturgüter freizulegen. So geschehen auf dem ältesten jüdischen Friedhof Halberstadts.

Von Sabine Scholz 02.09.2018, 14:12

Halberstadt l Sie kämpfen sich durch das wuchernde Grün, schneiden Zweige und Äste zurück, versuchen, die Wurzeln der Sträucher freizulegen. Denn unter denen scheint, kaum ist das Gestrüpp beseitigt, das Grau eines alten Grabsteins hindurch. Es ist harte körperliche Arbeit, die die zwölf jungen Frauen und Männer aus Serbien, Spanien, Hongkong, Ägypten, Japan, Deutschland und der Türkei hier leisten. „Deshalb wechselt jeder auch mal in die Gruppe, die die Steine dokumentiert“, sagt Bert Ludwig, Geschäftsführer der in Weimar ansässigen Organisation European Heritage Volunteers.

Die organisiert seit mehr als 20 Jahren Freiwilligenprojekte in Deutschland und in ganz Europa – was das geografische Europa meint. In diesem Jahr, das als Europäisches Jahr des Kulturerbes ausgerufen wurde, wird in acht deutschen Orten gearbeitet sowie in Portugal, Serbien, Kroatien, Albanien, Polen, Russland und Frankreich. Die inhaltliche Spannbreite ist dabei ebenso groß wie die der Herkunftsnationen der Freiwilligen. Vom Industriedenkmal, über technische Denkmäler bis hin zum archäologischen Erbe oder der Pflege besonderer Kulturlandschaften reicht die Palette. Das Thema jüdisches Erbe steht in Halberstadt auf dem Programm.

Die Freiwilligen, untergebracht in einem Sportlerheim, bekommen die Unterkunft gestellt und die Tagesverpflegung, ihre Anreise zahlen sie selbst und abends ist immer einer von ihnen dran, für alle zu kochen. Dabei stellen die Teilnehmer, die zwischen 22 und 29 Jahre alt sind, ihre Heimatländer und deren kulturellen Besonderheiten vor. So werde neben dem Bildungsprogramm, das zum zweiwöchigen Freiwilligendienst gehört, ganz automatisch kulturelle Bildung gelebt, sagt Ludwig.

Die Arbeit in Halberstadt ist eingebunden in ein vom Bund gefördertes Modellprojekt. In sieben Bundesländern sind junge Erwachsene, die gerade mit dem Studium fertig geworden sind oder am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen, tätig. „Es geht darum, unterschiedliche denkmalpflegerische und pädagogische Methoden mit verschiedenen Projektpartnern zu nutzen und die gewonnenen Erfahrungen so aufzubereiten, dass sie auf andere denkmalpflegerische Projekte übertragbar sind. Allein die Tatsache, ob Kommunen, Vereine oder Stiftungen im Boot sind, habe Auswirkungen auf den Verlauf eines Projektes“, sagt Bert Ludwig. Deshalb sei die Dokumentation auch so wichtig.

Die ist auch für die Projektpartner spannend, wie Jutta Dick sagt. Die Direktorin der Moses-Mendelssohn-Akademie Halberstadt freut sich über den Einsatz der jungen Leute, der handfeste Ergebnisse zeigt. Nicht nur, dass das große Areal des im 17. Jahrhundert angelegten jüdischen Friedhofs sich so aufgeräumt präsentiert, überrascht. Auch die Zahl der neu entdeckten Grabsteine tut es.

„Wir haben die Fläche in elf Sektoren aufgeteilt, drei davon sind bereits komplett fertig dokumentiert. Und hier sind schon 26 Grabsteine erfasst, die vorher nicht bekannt waren“, berichtet Bert Ludwig. Bislang ging man von 254 erhaltenen Grabsteinen aus, nach den drei dokumentierten Sektoren sind es insgesamt schon 280.

Um die Steine zu dokumentieren, werden sie nicht nur vom wuchernden Grün befreit, sondern auch vorsichtig gereinigt. Manche Inschriften sind nicht mehr lesbar, andere schon stark verwittert. Hier sei man in Kontakt mit der Technischen Universität Braunschweig, die Technik entwickelt, um solche verwitterten Schriften lesbar zu machen, berichtet Jutta Dick.

Dass sich das lohnt, bestätigt Uri Faber. Der Judaist begleitet die Arbeit der Akademie schon seit Jahren und zeigt Michael Studemund-Halevy, der gerade wieder eine internationale Sommerschule zur Geschichte der Sefarden und zur Bewahrung der sefardischen Sprache in Halberstadt leitet, einen reich verzierten Stein. „Dass ist der Grabstein von Berend Lehmanns Mutter, von der wir bislang nicht mal den Namen kannten“, sagt Faber. Und zeigt auf kaum noch lesbare Schriftzeichen: „Sie hieß Ziporah.“