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Kita „Geistkinder“ im Vorharz

Das „Gute-Kita-Gesetz“ des Bundes verleitet Eltern bei der Kinderbetreuung zu sparen. Im Harz passen immer mehr Kommunen ihre Satzungen an.

Von Uta Müller 06.03.2020, 00:01

Wegeleben l Geistkinder: Mit nichts Geringerem als so genannten „Geistkindern“ haben sich die Vorharzer Gemeinderäte in ihrer jüngsten Zusammenkunft beschäftigen müssen. Anlass war die Sorge der Verwaltung, dass Eltern ihre Kinder nur auf dem Papier für die vergleichsweise preisgünstige Hortbetreuung anmelden, um so Kosten der deutlich teureren Krippen- oder Kindergartenbetreuung zu sparen.

Um diesen „cleveren Sparfüchsen“ einen Strich durch die Rechnung zu machen, haben die Räte die Besuchersatzung für die zehn Kindertagesstätten und Horte in der Verbandsgemeinde Vorharz mit Blick auf das Gute-Kita-Gesetz einstimmig angepasst und fortgeschrieben. Die Konsequenz: Fiktive Geistkinder – Mädchen und Jungen, die nur angemeldet werden, um familienintern auf günstigere Konditionen zu kommen, aber tatsächlich die Einrichtung gar nicht besuchen – sollen künftig die Verträge gekündigt werden.

Familien mit mehreren Kindern finanziell entlasten – das ist eines der Anliegen des „Gute Kita-Gesetzes“ des Bundes, welches zum 1. Januar 2020 in Sachsen-Anhalt eingeführt wurde. Damit bekommt das Land bis 2022 rund 140 Millionen Euro aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ des Bundes. Mit dem Geld soll die Qualität der Betreuung in den Kindertagesstätten verbessert werden und zugleich die Eltern fianziell entlasten. Sozialministerin Petra Grimm-Benne und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (beide SPD) haben im vergangenen Jahr den Vertrag unterzeichnet. Wie die Landesregierungen das Geld für die Kitas einsetzen, können sie selbst entscheiden.

Der größte Teil des Geldes wird laut Grimm-Benne in Sachsen-Anhalt dafür verwendet, Eltern mit mehreren Kindern finanziell zu entlasten. Seit dem 1. Januar 2020 wurde die Geschwisterregelung auf den Hort ausgedehnt. Wird eines der Kinder dort betreut, fällt künftig der Beitrag für die Geschwisterkinder im Vorschulalter weg.

Ute Pesselt (parteilos), Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Vorharz, sieht Nachholbedarf bei der Umsetzung. Die finanziellen Mittel aus dem Bundesgesetz seien unter anderem dafür vorgesehen, auch die Kinder ab Schuleintritt in die Regelung der Geschwisterermäßigung mit einzubeziehen. Auch die Frage wie es weiter geht, wenn das Gesetz zum 31. Dezember 2021 ausläuft, sei bisher noch nicht geklärt.

Die Regelung in der Verbandsgemeinde sieht vor, dass Eltern lediglich die Betreuungskosten für das älteste Kind übernehmen. „Das neue Kita-Gesetz führte dazu, dass viele Eltern ihre Kinder im Hort angemeldet haben, um nur den Kostenbeitrag für den Hort zahlen zu müssen, obwohl sie diese Einrichtung tatsächlich gar nicht besuchen“, sagt Pesselt. In der Verbandsgemeinde Vorharz gab es bereits seit Ende Dezember vermehrt Hortanmeldungen. „Manche Eltern haben auch ihre Kündigungen wieder zurückgezogen“, bestätigt Hautpamtsleiterin Annett Rosen. Ein Schulkind kann bis zum Eintritt in die siebte Klasse den Hort besuchen.

Für eine Familie mit einem Krippenkind, einem Kindergartenkind und einem Schulkind würde das bedeuten, dass sie bei einer Betreuungszeit von bis zu fünf Stunden täglich in der Schul- und Ferienzeit für das Hortkind 80 Euro im Monat zu zahlen hätten. „Für jedes weitere Krippen- oder Kindergartenkind fällt der Beitrag komplett weg“, erläutert Annett Rosen, Hauptamtsleiterin der Verbandsgemeinde. Eine Familie mit drei Kindern – jeweils im Krippen-, Kindergarten- und Schulalter, würde so monatlich 218 Euro einsparen. Vorausgesetzt ist eine Betreuungszeit von acht Stunden täglich.

Im neu eingefügten Absatz in der Änderung heißt es, dass der Betreuungsvertrag gekündigt wird, „sofern Kinder ohne hinreichende Begründung der Kindertageseinrichtung länger als zwei Monate fernbleiben.“ Mit der Änderung der Besuchersatzung soll die Anmeldung von „Geistkindern“ verhindert werden.

Auch in anderen Kommunen wurde das Problem erkannt und nachgebessert. „In Wernigerode wurde die Möglichkeit, sein Kind ausschließlich im Frühhort anzumelden, abgeschafft“, teilt Stadtsprecher Tobias Kascha auf Volksstimme-Nachfrage mit. Es bestehe jedoch weiterhin die Möglichkeit, sein Kind im Späthort sowie im Früh- und Späthort anzumelden. Aus Halberstadt lag der Volksstimme bis zum Redaktionsschluss noch keine Antwort vor.

Bereits für das Schuljahr 2020/21 seien die Platzkapazitäten für die Hortbetreuung in der Verbandsgemeinde Vorharz schon stark ausgelastet, heißt es im Gemeinderat. So wurde die Betriebserlaubnis der Einrichtung in Harsleben überarbeitet, sagt Pesselt. Für den Hort werde ein weiterer Raum angemietet. In Hedersleben bestehe diese Möglichkeit nicht. Dort ist ein Raum mit 25 Kindern voll belegt, sagt die Bürgermeisterin aus dem Vorharz.

Neben der Änderung der Besuchersatzung wurde auf der Ratssitzung auch die Kostenbeitragssatzung für den Besuch von Kindertageseinrichtungen von allen anwesenden 16 Mitgliedern beschlossen. „Damit ändert sich für die Eltern aber nichts“, sagt Pesselt. Weder Eltern noch der Gemeindehaushalt würden durch die Änderung belastet.

Die Bürgermeisterin lobte die gute Vorarbeit in den Fachausschüssen, so dass es in der Sitzung keiner Diskussionen bedurfte.