Interview Passiert nichts mehr in Osterwieck?
Im Gespräch mit Stadtratsmitglied Michael Strube (Buko), der sich über den Pessimismus von Bürgern wundert.

Stadt Osterwieck. - Die Debatten sind so alt wie die Osterwiecker Einheitsgemeinde, als vor 15 Jahren acht mehr oder weniger arme Gemeinden fusionierten und – entgegen den Prophezeiungen der Landespolitik – auch gemeinsam keinen (finanziellen) Reichtum entwickelten. Mittlerweile ist die vierte Generation Stadträte in Amt und Würden. Seit einem Jahr gehört Michael Strube (35) dazu, aufgewachsen in Zilly, heute in Osterwieck wohnend, nach dem Studium bewusst zurück in die Heimat gekommen. Der Buko-Stadtrat, seit Kurzem auch im Kreistag Abgeordneter, wundert sich über den Pessimismus, der ihm von Bürgern immer wieder entgegenschlägt. Volksstimme-Reporter Mario Heinicke sprach mit ihm darüber.Herr Strube, was sagen denn die Leute zu Ihnen?Michael Strube: Zum Beispiel: Hier ist doch noch nichts mehr los, weder für Kinder noch Erwachsene. Wir sind abgeschrieben. Das macht mich sehr nachdenklich. Ich habe das Gefühl, die Bürger fühlen sich von der Politik allein gelassen. Aber ich bin der Auffassung, es wird schlechter geredet als es eigentlich ist.Was halten Sie den Leuten entgegen?Nach meiner Meinung passiert in der Einheitsgemeinde Stadt Osterwieck recht viel. Ob das die großartigen Vereine mit Veranstaltungen und Projekten sind, die wir hier in jedem Ort haben. Ob das aktuelle Bauprojekte sind, die voranschreiten. Wie der Markt in Osterwieck, das neue Feuerwehrhaus oder die neue Ilse-Brücke. Ob das Ideen sind, wie man den Sportplatz, die Freibäder oder andere Objekte neu belebt. Wir sollten wirklich mal wertschätzen, was wir alles haben. Diese Ruhe, diese Idylle, die Natur in der Nähe. Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten, in wenigen Tagen den neuen Edeka. Es ist aber nicht abzusprechen, dass viele Einrichtungen, die es früher in mehreren Orten gab, heute in Osterwieck konzentriert sind. Wie schätzen Sie das ein?Natürlich hat nicht mehr jeder Ort einen Bäcker, wie das zu jungen Zeiten meiner Eltern war. Ich verstehe die Einheitsgemeinde Stadt Osterwieck als einen Ort. Damit verbunden sind Fahrwege. Aber ich weiß aus meiner Studienzeit in Kassel: Auch in einer Großstadt fahren die Einwohner zehn oder 15 Minuten zum Einkaufen. Der Zeitaufwand hier, selbst nach Wernigerode, ist gar nicht größer als in Großstädten. Mein Eindruck ist, dass gerade Leute vom Dorf schlecht über Osterwieck reden. Alles würde Osterwieck bekommen, für die Dörfer bleibe nichts. Was ist Ihre Erfahrung?
Aus Gesprächen mit Ortsbürgermeistern und Ratsmitgliedern habe ich auch diesen Eindruck gewonnen, dass sie dies in ihren Heimatorten hören. Wenn man sich mal tiefer damit beschäftigt, welche Haushaltsmittel in die Orte fließen, wird das Geld im Verhältnis zu den Einwohnerzahlen tatsächlich arithmetisch nicht immer gerecht verteilt. Was ich aber definitiv sagen kann, es geht nicht mehr Geld nach Osterwieck als pauschal in alle anderen Dörfer.Finanzsorgen bestehen seit 15 Jahren. Und das Ringen um die Verteilung der wenigen Mittel ist immer groß. Wie sollte man da den Optimismus bewahren?Wir sollten mehr als Einheitsgemeinde denken. Das ist auch ein Anliegen unserer Fraktion, etwas globaler zu denken und nicht ins Klein-Klein zu verfallen, dem anderen etwas zu missgönnen. Wenn man zum Beispiel genauer hinschaut: Nach Berßel und Schauen ist weniger Geld geflossen. Weil diese Dörfer aber auch schon im richtig guten Zustand sind und der Bedarf bei weitem nicht mehr so groß ist wie vielleicht in Rohrsheim oder Hessen.Herr Strube, Sie sind jetzt seit einem Jahr im Stadtrat. Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit dort ein?Im Grundsatz bin ich positiv überrascht, wie wertgeschätzt der Umgang miteinander ist. Natürlich gibt es, weil wir so kleinteilig sind mit 14 Ortschaften, ganz unterschiedliche Meinungen. Ich habe schon das Gefühl, dass sich gegenseitig gut zugehört wird. Einiges hatte ich mir einfacher vorgestellt. So braucht man doch einen längeren Atem, um etwas zu bewegen. Was auch bürokratischen Verwaltungsvorgängen geschuldet ist, die wir als Abgeordnete nicht ändern können. Andererseits bedeutet Demokratie, dass man manchmal lange diskutieren muss, bis man zu einer Entscheidung kommt.Der Bürokratie geschuldet ist es auch, dass die Stadt dieses Jahr keine neuen Investitionen beginnen darf, weil noch so viele Jahresabschlüsse aufgearbeitet werden müssen. Daher stammen alle aktuellen Baumaßnahmen aus früheren Haushaltsjahren oder von überörtlichen Trägern. Nun aber mal zum Vergleich: Vor 25 Jahren sind allein in den Sommermonaten fünf Straßen und Plätze fertig geworden oder in Arbeit gewesen. Kann man da die pessimistischen Leute nicht verstehen?Ich glaube, zu sagen, früher war alles besser, wäre unfair. Heute sind die bürokratischen Wege, bis eine Straße gebaut werden kann, viel länger. Manchmal werden auch Planungen geändert. Wir haben das beim Feuerwehrhaus und dem Marktplatz erlebt. Und man hatte vor 2010, also der Gründung der Einheitsgemeinde, praktisch über seine Verhältnisse gelebt und zu viele Schulden aufgenommen, die noch heute den Haushalt belasten. Natürlich wurde dafür etwas geschaffen, was die Einheitsgemeinde heute attraktiv machen.Welche Hoffnung machen Ihnen denn die fünf Millionen Euro, die die Stadt für Investitionen aus dem Sondervermögen des Bundes bekommen soll?Ich bin der Meinung, dass man das Geld durch Fördermittel vermehren sollte. Freilich werden wir nicht die Einzigen sein, die auf diese Idee kommen und sich auf die Programme stürzen. Jede Ortschaft hat Wünsche, ob es Straßen, Plätze oder Gebäude sind. Da sollten wir als Stadtrat den Ortschaftsräten gut zuhören. Dann können wir gemeinsam entscheiden, was für uns gut ist.
