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Soziales Werkstattarbeit auch außer Haus

Die Diakonie-Werkstätten in Halberstadt beschäftigen rund 400 Menschen. Einige von ihnen arbeiten „außer Haus“.

Von Sabine Scholz 14.07.2017, 07:00

Halberstadt l Es ist ruhig im Raum, man hört das Rascheln der Tüten und Plastikteile. Konzentriert arbeiten die Männer und Frauen, die Schutzhauben tragen, an ihren Tischen. „So ruhig sind sie nicht immer“, sagt Cornelia Bliefner. Die Gruppenleiterin kennt ihre Truppe gut. „Wir lieben es, Geburtstage zu feiern“, sagt sie lächelnd und sofort gibt es Zustimmung von ihrem Team. Alle freuen sich auf einen Grillvormittag, den sie gemeinsam vorbereiten. Von der Einkaufsliste, dem Einkauf bis zum Vorbereiten des Grills auf dem Betriebsgelände ist einiges zu erledigen, aber hörbar begeistert versichern die zwölf Frauen und Männer: „Das wird schon!“.

Sie haben auch den Umzug in den neuen Raum einen Tag zuvor bewältigt, alle Fotos und Bilder hängen schon an der Pinnwand. So, als wäre dieser eher nüchtern-funktionale Raum schon immer der ihre.

Frei geworden ist er, weil eine komplette Gruppe von elf Leuten den Arbeitsplatz in den Diakonie-Werkstätten mit einem in einem anderen Halberstädter Unternehmen getauscht hat. Betriebsinte­grierte Arbeitsplätze nennt sich das, und davon gibt es einige. Mit wachsendem Zuspruch, wie Geschäftsführerin Sandra Giebel berichtet. Wobei genau geschaut wird, für wen diese Form selbstbestimmter Teilhabe am Arbeitsleben passt.

Die Männer und Frauen, die auf einen betriebsintegrierten Arbeitsplatz wechseln, bleiben Mitarbeiter der Diakonie-Werkstätten. „Dennoch ist es keine Form der Arbeitnehmer­überlassung“, sagt Sandra Giebel, „sondern diese Arbeitsplätze sind Brücken. Brücken zwischen dem allgemeinen Arbeitsmarkt und dem geschützten Umfeld der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.“

Dass eine ganze Gruppe in einen anderen Betrieb wechselt, ist da eher die Ausnahme. In der Regel sind es ein oder zwei Mitarbeiter, die an einen Arbeitsplatz in einem privatwirtschaftlichen oder öffentlichen Unternehmen wechseln. 16 solcher Einzelarbeitsplätze gibt es bereits in Betrieben rund um Halberstadt, sowie die elf, die jetzt als Gruppe in eine Firma der Verpackungsindustrie gewechselt sind.

Carolin Arndt und Gunnar Gotthard beraten seitens der Diakonie-Werkstätten die Firmen, die Interesse daran haben, solche Arbeitsplätze zu schaffen. Denn es ist unternehmerisch durchaus lukrativ, sich dem Thema Inklusion auf diese Weise zuzuwenden. Da die Mitarbeiter weiterhin in den Werkstätten angestellt sind, fallen keine Sozialabgaben für den aufnehmenden Betrieb an. „Es sind ja keine Arbeitsverträge im Sinne des Arbeitsrechtes oder des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes“, erklärt Sandra Giebel. Das Unternehmen schließt einen Vertrag mit dem Mitarbeiter und der Werkstatt, in dem nicht nur die Vergütung geregelt ist. Die Geschäftsführung der gemeinnützigen GmbH achtet darauf, dass ihre „aushäusig“ Beschäftigten die gleichen Bedingungen haben wie jene, die in den Werkstatträumen tätig sind. Also 35 Tage Urlaub, die Möglichkeit, weiter die begleitenden Angebote zu nutzen. Das können spezifische Therapien ebenso sein wie die Angebote, im Chor mitzusingen, Fußball zu spielen, den Rechtschreibkursus zu besuchen und vieles mehr. „Die jeweiligen Gruppenleiter bleiben die Ansprechpartner für die Beschäftigten, sie achten auch darauf, dass die begleitenden Angebote wahrgenommen und die den Menschen mit Behinderung zustehenden zusätzlichen Pausen eingehalten werden können.“

Klingt nach viel Aufwand, für beide Seiten. „Aber es lohnt sich“, sagt Sandra Giebel. Sie berichtet von einem Gespräch mit dem Geschäftsführer eines Unternehmens, das einen Werkstatt-Mitarbeiter im Lager beschäftigt. Er habe ihr gesagt, der Gewinn sei manchmal nicht in Euro und Cent abzurechnen, auch wenn er bei der Ausgleichszahlung spare, die fällig wird, wenn keine schwerbehinderten Mitarbeiter beschäftigt werden. Doch das Geld sei nicht immer der ausschlaggebende Aspekt. Wie sich das Team entwickelt habe, seit „der Neue“ dabei ist, sei ein Gewinn für sein Unternehmen, habe der Geschäftsführer berichtet.

Bis ein Wechsel auf einen betriebsintegrierten Arbeitsplatz erfolgt, gibt es mehrere Stufen. Hat ein Unternehmen Interesse signalisiert, werden der inhaltliche Rahmen der Arbeit und die vertraglichen Dinge besprochen. In der Werkstatt wird geschaut, wer von den Mitarbeitern sich für die anstehenden Aufgaben eignet, und im Rahmen eines unentgeltlichen Praktikums wird die Eignung der Beschäftigten geprüft. Ist das Praktikum erfolgreich, gibt es ein Auswertungsgespräch und dann schließen Werkstatt und Unternehmen einen Vertrag.

Für Sandra Giebel sind bei einem ausgelagterten Arbeitsplatz zwei Aspekte wesentlich: „Die einen erkennen, was mit Handicap alles möglich ist, die anderen erleben sich als Teil der Arbeitswelt. Ein wichtiger Schritt hin zu einer inklusiven Gesellschaft. Aber natürlich muss man das mit Augenmaß tun.“

Und wo sind die Mitarbeiter dann eingesetzt? „Grundsätzlich“, sagt Sandra Giebel, „kann jedes Unternehmen solche Arbeitsplätze anbieten“. Häufig sind Tätigkeiten in den Arbeitsbereichen Reinigung und Hauswirtschaft, Gastronomie und Küche, Garten- und Landschaftspflege, Hausmeistertätigkeiten, Lagerhilfen im Groß- und Einzelhandel, Landwirtschaft und Tierpflege, Verpackung- und Montagetätigkeiten, Hol- und Bringeservice und im Einzelhandel.