Internet-Kriminalität Tatort Kinderzimmer plötzlich Realität in Dingelstedt
Vieles hat sich in der Corona-Zeit verändert, auch die Kommunikation unserer Kinder. Weil sie sich nicht treffen durften, haben sie Kontakt über das Internet gehalten. Welche Gefahren dort lauern, musste eine Achtjährige aus Dingelstedt im Harzkreis erleben.

Dingelstedt - Der Schreck sitzt immer noch richtig tief. „Der Gedanke, dass mein eigenes Kind in Gefahr sein könnte, ist unerträglich“, gibt Katja Blume aus Dingelstedt zu. Was ist passiert? Als die achtjährige Tochter Mayra, wie so oft in der Pandemiezeit, wieder einmal per Internetprogramm Skype mit ihren Freunden kommuniziert, wird sie plötzlich von einem Unbekannten angeschrieben. „Zuerst habe ich mir nichts dabei gedacht“, erinnert sich Mayra und gibt zu, sogar neugierig geworden zu sein. „Der Mann hat mich auf Englisch angeschrieben und mich ausgefragt.“ Und zunächst habe sie wahrheitsgemäß geantwortet und dem Fremden erzählt, wie alt sie sei, wo sie wohne und sogar Einzelheiten zur Familie berichtet.
Als der Unbekannte, der nach eigenen Angaben, in Indien lebt, dann jedoch ein Foto von ihr verlangt habe, sei sie misstrauisch geworden. Mayra tat das einzig Richtige und vertraute sich sofort ihrer Mutter an, zeigte das Tablet mit der Unterhaltung (Chat genannt). „Im ersten Moment war ich sprachlos“, sagt Katja Blume. Sie habe diesen Chat mit dem Unbekannten dann sofort beendet. Diese erste Reaktion habe sie im Nachhinein allerdings bereut, vorher hätte sie noch einen sogenannten Screenshot machen sollen (ein Foto des Bildschirms), um einen Beweis zu haben. Denn der Mann hat den Chatverlauf dann seinerseits komplett wieder gelöscht, sodass seine Identität nun nicht mehr ermittelt werden könne. Familie Blume hat Anzeige bei der Polizei erstattet und diesen Kontakt blockiert.
Cybergrooming ist sexueller Missbrauch
Die Gefahr, dass so etwas jederzeit wieder passieren könnte, ist groß. Daher haben Stephan und Katja Blume im Bekanntenkreis auf diese Gefahr hingewiesen und sich an die Volksstimme gewandt, um den Sachverhalt öffentlich zu machen und Eltern zu warnen.Cybergrooming ist sexueller Missbrauch Dieses sogenannte „Cybergrooming“ ist bei weitem kein Einzelfall, wie vom Polizeirevier Harz auf Anfrage zu erfahren ist. Kriminaloberkommissarin Katrin Querfurth erklärt, dass es sich dabei um das gezielte Ansprechen online mit dem Ziel der Anbahnung sexueller Kontakte handelt. „Zu Beginn nehmen die Täter scheinbar zufällig Kontakt auf und bauen schrittweise Vertrauen auf“, berichtet die Fachfrau. Der Täter stelle die Identität des Kindes oder des Jugendlichen fest, es folge sexuelle Belästigung in Form von Fragen nach sexuellen Erfahrungen oder sexuellen Vorlieben, bis zur Aufforderung zu sexuellen Handlungen oder der Forderung nach Nacktfotos.
Zwischen Täter und Opfer gibt es oft einen großen Altersunterschied. Um diesen zu vertuschen, nutzen die Täter die Anonymität des Internets und nähmen eine falsche Identität an. Cybergrooming gegenüber Kindern (unter 14 Jahren) ist als sexueller Missbrauch strafbar, die Vollendung des Straftatbestandes allerdings oft nur schwer nachweisbar. Jedoch ist der Versuch der Herstellung eines sexuellen Kontakts zu Kindern im Internet seit 2020 ebenfalls strafbar. Laut einer Studie hat jedes siebte Kind bereits eine solche Online-Annäherung erlebt.
Einige Grundregeln festlegen
Doch Eltern sind keinesfalls machtlos. Dazu erklärt Kriminaloberkommissarin Querfurth: „Eltern sollten vorbeugend mit ihren Kindern sprechen und über die möglichen Gefahren im Internet reden.“ Zudem sollten unbekannte Freundschaftsanfragen in sozialen Netzwerken erst gar nicht angenommen werden. Niemals sollten private Informationen preisgegeben werden (Adresse, Namen, Alter); besser Nicknamen verwenden.
Grundsätzlich sollten keine Fotos verschickt werden und man sollte sich niemals unter Druck setzen lassen, auf jede Nachricht sofort zu antworten. Profilseiten in sozialen Netzwerken sollten auf den privaten Modus eingestellt und Ortungsfunktion deaktiviert werden. Kinder sollten sich gemeinsam mit ihren Eltern darüber informieren, wie ungeeignete Inhalte und unbekannte Personen blockiert werden und beim Anbieter sozialer Plattformen gemeldet werden können.
Polizei bietet Informationsveranstaltungen
Außerdem wird empfohlen, die Kamera des Gerätes (Webcam) auszuschalten oder abzukleben, solange sie nicht tatsächlich benötigt wird. Polizeirevier Harz bietet InformationsveranstaltungDas Beispiel von Mayra zeigt, wie wichtig es ist, dass Eltern eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Kind pflegen, damit sie einen Überblick behalten, welche Internetseiten ihr Kind benutzt. Sollten Eltern von Belästigungen erfahren, sollten sie behutsam und ruhig über den Hergang sprechen, mögliche Beweise sichern (Screenshots, Chatverläufe sichern). Eltern sollten sich auch nicht scheuen und gegebenenfalls Anzeige bei der Polizei erstatten. In diesem Zusammenhang bietet das Polizeirevier Harz im Rahmen der Verhaltensprävention zur angefragten Thematik entsprechende Veranstaltungen in Schulklassen bzw. Elternabende an.
Zum Glück hat Mayra ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern und hat verstanden, was ihr hätte passieren können. Sie hat offen mit ihren engsten Freunden darüber gesprochen, die wiederum künftig genau so vorsichtig sein werden. Stephan Blume als Mitglied im Elternkuratorium der Grundschule „Albert Klaus“ hat sich bereits an die Schulleitung gewandt und angeregt, dass Schüler und Eltern über die Gefahren im Internet und speziell über das Cybergrooming aufgeklärt werden. Denn, der Austausch mit anderen im Netz ist nun einmal Teil der heutigen digitalen Jugendkultur. Und dazu gehört auch, neue Leute über das Internet kennenzulernen.