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Theater Beeindruckende Leistung auf der Bühne

Eine überzeugende Premiere erlebten die Besucher im Nordharzer Städtebundtheater in Quedlinburg. Gespielt wurde „Mutter Courage".

Von Renate Petrahn 21.10.2018, 23:01

Halberstadt/Quedlinburg l Großen Beifall zollte das Publikum am Sonnabendabend der Premierenaufführung von „Mutter Courage“ am Nordharzer Städtebundtheater. Philip Jenkins hat eines der bekanntesten Stücke von Brecht souverän inszeniert und eine eigene Sicht auf Stück und handelnde Personen nachhaltig umgesetzt. In seiner sehr textnahen Inszenierung wird eine lehrhafte Geschichte erzählt, straff und konzentriert ohne politische Anspielungen. Hier geht es um das Typische, aus dem zu lernen ist, nicht um das Konkrete in der Gegenwart. Der Regisseur zeigt, dass auch bei Beibehaltung der originalen Zeitebene der Handlung – der Dreißigjährige Krieg - dennoch sehr heutige Einsichten vermitteln werden können.

Die Pointen werden sorgfältig herausgearbeitet und so auch der Humor Brechts deutlich gemacht.

Andrea Kaempf, bekannt für ihr minimalistisches Bühnenbild, ist es mit wenigen Mitteln gelungen, einen der Aussage des Stückes entsprechenden atmosphärischen Raum zu schaffen. Überraschend eindrucksvoll die Lösung, die für den berühmten Planwagen der Marketenderin, zentraler Schauplatz vieler Inszenierungen, gefunden wurde. Er wird nicht auf die Bühne geholt.

Neue Bilder gerade für dieses Stück zu finden, ist alles andere als einfach. Gehören doch die Bilder der Brechtschen Inszenierung mit Helene Weigel, die ihren Planwagen durch die Katastrophen des Dreißigjährigen Krieges zieht, unverrückbar zur Theatergeschichte.

Die Halberstädter Lösung ist optisch wie dramaturgisch überzeugend. Ein Würfel, der wie der Planwagen in Todeskreisen gezogen wird, wird zum Zentrum der Handlung. Somit können sämtliche Bilder des Stücks in einem Bühnenbild gestaltet werden, kleine Veränderungen werden durch die Schauspieler selbst auf offener Bühne vorgenommen. Als zusätzlichen Vorteil erzeugt der zu öffnende Würfel einen weiteren, intimeren Spielort, eine Art sichere friedliche Klause vor den Zerstörungen des Krieges. Verschlossen zeigt er eine (werbemäßige) Abbildung des Gewerbes „Mutter Courage Spezereien“. Die gegenwartsfernen Kostüme (Andrea Kaempf) unterstützen den Zeitkolorit, mit Ausnahme des Feldwebels (Eric Eisenach) mit schwarzem Ledermantel und Schlapphut am Beginn und des Ende des Stückes (Eintritt der Gegenwart in das Stück und Rückkehr in die Gegenwart). Abgerundet und ihrer Aussage vertieft wird das Brechtsche Stück durch die Musik von Paul Dessau. Die Leistungen der Musiker des Städtebundtheaters unter der musikalischen Leitung von Florian Kießling haben ihren besonderen Verdienst an der beeindruckenden Inszenierung.

„Mutter Courage und ihre Kinder“ ist eine grandiose Gemeinschaftsleistung des Schauspielensembles des Nordharzer Städtebundtheaters und stellt einmal mehr unter Beweis, wie wandlungsfähig und somit flexibel die Schauspieler als Darsteller einsetzbar sind. Mit Ausnahme von Harriett Kracht als Gast und Anne Wolf sind die Schauspieler in bis zu fünf, und teils sehr unterschiedlichen, Rollen zu sehen, die sämtlich über den Krieg und was er aus Menschen macht, Auskunft geben.

Im Gedächtnis bleiben wird ein Abend mit beeindruckenden Leistungen, allen voran Harriet Kracht als hoch differenziert spielende Marketenderin Anna Fierling - eine Frau, die sich als Mutter für das Wohl ihrer Kinder aufopfert und andererseits als „Hyäne des Schlachtfeldes“ Gewinn aus dem Krieg um jeden Preis zieht, auch um den Tod ihrer drei Kinder.

Ihr letzter Satz „Ich musswieder in‘ Handel kommen“, zeigt mehr als alles andere, wie Anna Fierling funktioniert. Harriet Kracht überzeugte nicht nur durch eine hoch differenzierte Spielweise, sondern ebenfalls durch die Art, wie sie die Brecht‘schen Songs interpretierte.

Anne Wolf, neu im Ensemble, spielte sich als stumme Kattrin mit starker mimisch- gestischer Ausdruckskraft (etwa in der Szene mit den roten Schuhen) neben Harriet Kracht ins Zentrum. Durch die Art, wie sie das unaussprechliche Elend des Krieges in ihren hilflosen Gesten zum Ausdruck brachte, empfahl sie sich bestens für weitere größer angelegte Rollen.

Zu den starken Frauengestalten gehört die Lagerhure Yvette (Swantje Fischer), die sich bis ins Obristenbett schläft. Stefan Werner Dick als korrupter Feldprediger, Arnold Hofheinz als hungriger Koch, Curdin Cazaviel und Jonte Volkheim als die Söhne der Vierlinge Eilif und Schweizerkas, sie alle zeigen auf, was der Krieg mit Menschen macht.

Vor diesem Hintergrund hat Philip Jenkins in seiner Inszenierung der „Mutter Courage“ den Gedanken Bertolt Brechts „Wir wollen auf der Bühne das wirkliche Leben beschreiben und zwar so, dass der es sieht, fähiger wird, dieses Leben zu meistern“, kongenial umgesetzt.