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Tierforschung Ringe für junge Rotmilane

Keine Region in Deutschland hat mehr Rotmilane als Sachsen-Anhalt. In Halberstadt wird untersucht, wie es dem Nachwuchs der Greifvögel geht.

Von Sabine Scholz 14.06.2019, 01:01

Halberstadt l Der Wind fährt durch die Bäume, Eike Steinborn schaukelt mit. Er sitzt in der Krone einer riesigen Kiefer. Hier oben brütet ein Rotmilanpaar. Die Altvögel haben das Weite gesucht, als Steinborn den Baum erklomm. Jetzt ruft er nach unten: „Zwei!“. Martin Kolbe nickt, greift sich eines der Seile und befestigt einen grauen, abgewetzten Rucksack. „Der hat Platz für vier Vögel“, sagt der Chef des Rotmilanzentrums in Halberstadt, während Steinborn das Seil nach oben zieht. Mit beherzten Griffen nimmt er die zwei Jungvögel aus dem Horst, verfrachtet sie in den Rucksack und seilt diesen wieder ab. Während sich unten Martin Kolbe mit den Jungtieren befasst, wird er eine Kamera befestigen, die das Treiben im Horst aufzeichnet.

Möglich ist dieser Blick in die Kinderstube der Rotmilane, weil die Manteufel-Stiftung Halberstadt die Kameratechnik finanziert. Zum Überwachungsequipement gehören noch Batterie, Kabel und Aufzeichnungsmedien. Die müssen eine große Speicherkapazität haben. „Bis die Jungvögel ausfliegen, werden wir etwa vier Terrabyte Daten aufzeichnen“, sagt Kolbe. Und jede Woche einmal die 42 Kilogramm schwere Batterie sowie das Aufzeichnungsgerät tauschen. Knochenarbeit. Aber so erfahren die Forscher, was auf dem Speiseplan steht, wie gefährlich Plastik im Horst ist und vieles andere mehr.

Während aus der Baumkrone das Surren eines Akkubohrers schallt, hat Martin Kolbe die beiden Jungvögel aus dem Rucksack geholt. Wie tot liegen sie auf dem Waldboden, offene Augen, halbgeöffneter Schnabel. „Akinese“, sagt Eckhard Kartheuser. Er hat die Jagdpacht in diesem Wald, der zur Stadt Quedlinburg gehört. Und er freut sich, dass ein Rotmilanpaar hier erfolgreich gebrütet hat. „Akinese“, erklärt der Jäger, der auch eine Falknerausbildung absolvierte und sich aktiv für den Greifvogelschutz einsetzt, „ist eine Schutzstrategie gegen Fressfeinde. Die Bewegungslosigkeit täuscht den Jäger und lässt dem Tier das Überraschungsmoment, im letzten Augenblick doch noch die Flucht zu ergreifen.“

Die beiden kleinen Flauschbälle auf dem Waldboden beherrschen das schon gut, aus dem halboffenen Schnäbeln ragen noch kleine Fleischreste. Offenbar sind sie kurz zuvor gefüttert worden. Nur das schnelle Auf und Ab ihrer kleinen Körper verrät, dass sie atmen. Sie sind warm, ihr Daunenkleid wirkt stachelig, weil das richtige Gefieder zu wachsen beginnt.

Während aus luftiger Höhe die Bitte um spezielles Werkzeug tönt, hat Martin Kolbe alles ausgepackt, was er für die nächsten Handgriffe braucht. Aber erstmal schickt er das Werkzeug nach oben. Im grauen Rucksack. Mit geübten Griffen nimmt er sich dann ein Jungtier, kneift mit der Zange den Ring zu, den der Vogel sein Leben lang tragen wird. Zugverhalten kann so erfasst oder festgestellt werden, woher Brutpaare stammen. Doch mit der Vergabe dieser Vogel-Ausweise ist es noch nicht getan. Kolbe wiegt die Kleinen, misst die Flügellängen und weiß dann, dass die Tiere 18 Tage alt sind. 560 und 675 Gramm bringen sie auf die Waage. „Kopf hoch, sonst wiegen wir falsch“, sagt Kolbe, es klingt liebevoll von dem zweifachen jungen Vater. Und es scheint zu helfen.

Alle Angaben werden akribisch in einer Tabelle notiert, dann greift Kolbe zu einer Plexiglasschachtel voller kleiner Röhrchen. In einigen stecken abgebrochene Wattestäbe. „Das sind DNA-Proben, die nehmen wir für die Universität Heidelberg, die bauen gerade eine DNA-Datenbank auf“, erklärt Kolbe. Und weil man sich in Forscherkreisen hilft, sammelt das dreiköpfige Team vom Rotmilanzentrum bei Beringungsakttionen auch DNA-Proben. Ganz klassisch mit einem Abstrich von der Mundschleimhaut. Äh, waren da nicht noch Futterreste? „Man muss halt hinschauen und Stellen finden, wo der Speichel sauber ist.“ Schließlich geht es um Milan-DNA, nicht um die des toten Rehs, von dem die Fleischbrocken wohl stammen, wie Jäger Kartheuser sagt. Er weiß, wo der Kadaver liegt, der vielen Fleischfressern im Revier Nahrung bietet.

Die Jungvögel verschwinden wieder im Rucksack, schon eine Weile kreist ein besorgter Altvogel über dem Horstbaum. „Der ist friedlich, wir haben auch schon Attacken erlebt. Jedes Brutpaar reagiert da anders“, berichtet Kolbe, während der Rucksack nach oben schwebt und die Kleinen wieder sicher im Horst landen. Ob sie später einen Sender erhalten werden, ist noch nicht entschieden. Jetzt liefern sie erstmal Bilder vom Rotmilanalltag, denn inzwischen läuft die Kamera. Eike Steinborn kann wieder herunter vom hohen schwankenden Baum. „Man muss nicht nur höhentauglich, sondern auch seefest sein“, scherzt er.