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Theater Trommelnder Herzschlag in Halberstadt

Im Theater Geschichten erzählen über Sprachbarrieren hinweg, das kann die Kunst. "Borders" in Halberstadt ist ein Beweis dafür.

Von Sabine Scholz 19.12.2018, 13:00

Halberstadt l Eine Rose inmitten von Stacheldraht. Die Frau, die sich, einen eigenen Weg bahnend, bis zu dieser Rose vorkämpft, kann sie nicht befreien, sie verletzt sich, scheitert am Stacheldraht, verzweifelt.

Ein junger Mann auf einem Stuhl, ihm gegenüber ein älterer Mann. Befragung. Verhör? Er soll seine Geschichte erzählen. Mit angstklopfendem Herzen tut er es. Um am Ende geschlagen und als Lügner beschimpft zusammenzubrechen.

Kann sich Menschlichkeit über Grenzen hinwegsetzen? Kann sie Angst überwinden? Die Furcht vor der todbringenden Abschottung, die Angst vor dem Anderen, dem Unbekannten, das ins eigene Leben dringt?

Die Akteure, die in „Borders“ spielen, haben Grenzen überwunden, zumindest die Zäune, Absperrungen und Gitter, hinter denen sich Europa verschanzt, um nicht hinsehen zu müssen zu diesem Elend, zu der Gewalt, dem Morden außerhalb seiner Grenzen. Um nicht wahrhaben zu müssen, dass jene, die Krieg, Gewalt, Unterdrückung, Hunger entfliehen wollen, zu Tausenden ertrinken oder verrecken auf dem Weg in die vermeintliche Sicherheit. „Hast Du jemals eine Grenze überwunden?“ Das wird der junge Mann am Ende gefragt. Hat er? Haben wir?

Es sind dunkle Bilder, die als Kulisse die drei Akte des Stücks begleiten, gehängt auf eine schwarze Plastikplane. Eine blutrote Linie wird darauf gezogen, die rote Linie der Angst, der Abgrenzung. Unüberwindbar, scheint es. Fluchtversuche missglücken, werden brutal beendet. Und doch, ohne Hoffnung kein Leben. Am Ende ist die rote Linie weiß, die Rose aus dem Stacheldraht befreit, der Geschlagene aufgerichtet. Hoffnung, weil mehr als eine Staatsgrenze überwunden wurde. Es ist die Menschlichkeit, die am Ende eben die Hoffnung nährt. Der trommelnde Herzschlag der Angst, er schwindet.

Es sind eindrückliche Szenen, die da auf der schwarzen Plane geboten werden. Ein paar Stühle und Hocker, Stacheldrahtwickel, ein Seil, etwas Farbe, drei Taschenlampen. Mehr brauchen die Menschen nicht, die da agieren, um die Geschichte, um ihre Geschichten zu erzählen. Denn sie alle haben sie hinter sich, die Flucht. Sie sind in Deutschland gelandet. Ob sie hier ankommen, ankommen dürfen, ist offen.

Sie leben im zentralen Aufnahmelager, haben Asylanträge gestellt, in den Befragungen ihre Geschichten erzählt. Wird man sie der Lüge bezichtigen? Sie wissen es nicht. Aber sie sind Menschen, keine namenlose Masse. Jeder hat seine Biografie, bringt sein Können, seine Fähigkeiten ein. Auch wenn das Theaterstück nicht ganz ohne politische Agitation auskommt, es ist ein starkes Theaterspiel, das da gezeigt wird. Es berührt, bräuchte die Megafonszene eigentlich nicht, in der die Fragen gestellt werden, warum alle Welt wegschaut vom Tod auf dem Meer, von der Ausbeutung der Länder, aus denen die Menschen fliehen. Aber der Zuschauer versteht auch, warum die Akteure wohl gerade auf diese Szene nicht verzichten können.

Nach der öffentlichen Premiere des Stücks im Soziokulturellen Zentrum Zora am vergangenen Samstag meldeten sich Besucher, die überlegen, dieses Stück auch in anderen Einrichtungen aufführen zu lassen. Verdient hätte es die Inszenierung, die in den vergangenen drei Monaten entstanden ist. Auf Eigeninitiative der Geflüchteten, deren kreatives Potenzial wenig bis gar nicht wahrgenommen, geschweige denn genutzt wird, wie Eckehard Pistrick sagt.

Der Musik­ethnologe ist seit Längerem ehrenamtlich in der Zast aktiv, um den Menschen hier die Möglichkeit zu geben, sich musikalisch zu beschäftigen, der Lagerlangeweile zu entgehen. Pistrick begleitete auf Wunsch auch das Theaterprojekt, das der iranische Regisseur Majid Maghareh auf die Beine stellte, mit Menschen, die vor ihrer Flucht Berufsmusiker waren, mit Menschen, die noch nie beruflich oder hobbymäßig mit Theater oder Musik zu tun hatten. Und die nun mit großer Intensität die Bühne bespielen. Dieses Theaterstück sei extrem wichtig, „hier wird kulturelle Teilhabe ermöglicht“, sagt Pistrick.

Möglich geworden ist die Theateraufführung auch dank der finanziellen Unterstützung durch die Robert-Bosch-Stiftung und durch die Unterstützung der Caritas, die viele der in der Zast helfenden Ehrenamtler betreut sowie die ehrenamtlichen Asylverfahrensberater stellt.

Eckhard Stein begrüßte am Montag, als das Stück für die Sozialarbeiter und Mitarbeiter der Zast aufgeführt wurde, die Gäste im Bewohnercafé des Aufnahmelagers. Das wird nun ab und an auch als Theaterraum genutzt werden. Denn der große Wunsch ist, dass trotz wechselnder Darsteller das Theaterspiel ein dauerhaftes Angebot für die Geflüchteten wird.