1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Uhrmacher gibt Geschäft auf

Unwetter Uhrmacher gibt Geschäft auf

Die Aufräumarbeiten in Halberstadt nach dem Starkregen sind noch nicht beendet. Vielerorts wird erst jetzt das Ausmaß der Schäden sichtbar.

Von Sandra Reulecke 05.06.2018, 06:00

Halberstadt l Stück für Stück räumt Matthias Rademacher unzähligen Einzelteile in Kartons. Zumindest die, die noch zu gebrauchen sind. Das Uhrmacher-Geschäft wurde beim Starkregen, der am Freitag Halberstadt heimsuchte, stark beschädigt. Es riecht nach Moder, die Teppiche sind immer noch durchgeweicht. „Der Schaden ist noch nicht abzusehen“, sagt der Halberstädter. Fest steht dagegen eins für ihn: Den Laden im Düsterngraben wird er nicht mehr öffnen. „Aber ich gebe nicht auf. Ich beziehe ein Geschäft in der Vogtei.“ Ende Juli will er eröffnen.

Damit endet eine 24-jährige Geschichte. „Wir gehörten zu den ersten, die in das Haus gezogen sind“, berichtet Silvia Rademacher. Zunächst hat sie ihren Mann im Laden unterstützt, nach dessen Tod hat der Sohn vor zehn Jahren das Geschäft übernommen. Immer mal wieder lief bei Starkregen Wasser in den Laden. Doch so schlimm sei es noch nie gewesen. „Innerhalb von 20 Minuten stand alles unter Wasser“, berichtet die Halberstädterin kopfschüttelnd. „Das größte Problem war gar nicht der Regen, der von außen hereinlief“, ergänzt Matthias Rademacher. Das Wasser kam aus dem hinteren Teil des Geschäfts, genauer gesagt aus der Toilette.

„Es schoss aus der Schüssel wie ein Vulkan“, beschreibt es Marlie Arbanowski, die Ähnliches erlebte. Mit ihrem Mann hat die 66-Jährige ein Geschäft neben dem Uhrmacher-Laden. Das Paar ist als Einrahmer, Kunstmaler und Restaurator von Gemälden tätig. „Wir arbeiten mit Holz, Papier und Ölfarbe. Wir haben alte Bilder hier. Die Feuchtigkeit ist dafür nicht gut“, sagt die Halberstädterin. Vergeblich haben die Eheleute versucht, das Geschäft, das sie seit 20 Jahren an der Stelle betreiben, vor den Wassermassen zu schützen.

Materialien seien zwar nicht beschädigt worden. „Aber die Bilder trocknen bei der Feuchtigkeit nicht. Und es riecht schon muffig“, klagt Marlie Arbanowski. Auch die Beiden werden ihr Geschäft aufgeben und ein anderes beziehen. „Wir sind zwar Altersrentner, aber wir wollen weitermachen. Die Kunden wollen, dass wir weitermachen“, betont Dieter Arbanowskis.

Während die Eheleute schon Besichtigungstermine für einen neuen Laden haben, wird gegenüber ihres bisherigen Geschäfts noch ausgeräumt. Die Studentenkneipe Canapé, die von einem Verein betrieben wird, war schlimm betroffen. „Das Wasser stand bis im Keller bis zur Decke und stieg noch höher“, berichtet Vereinsvorstand Markus Meyer. Dunkle Ränder im Treppenhaus zeigen das Ausmaß. „Das Schlimme ist, dass es nicht nur Wasser war.“ Es brachte Dreck und Fäkalien mit sich. Alles, was im Keller gelagert wurde, muss entsorgt werden. Und das war eine Menge, wie Vereinsmitglied Femin Vural aufzählt: Sessel, Kabel, Becher, Dekoration, Spiele, Gläser, Werkzeuge. Zudem wurde der Hauptstromanschluss lahmgelegt.

Dennoch ist der Verein zuversichtlich und will das Canapé heute wieder öffnen, so Meyer. Er sei dankbar für jeden, der geholfen habe. Vom Vermieter, der Halberstädter Wohnungsgenossenschaft (HaWoGe), fühle er sich dagegen alleingelassen. „Wir konnten dort am Freitag niemanden erreichen.“

„Für solche Fälle wie am 1. Juni gibt es eine Havarie-Nummer“, informiert Sebastian Ohm von der HaWoGe auf Volksstimme-Nachfrage. „Aber deren Kapazitäten sind irgendwann erreicht.“ In diversen Objekten der Genossenschaft habe es nach dem Starkregen Probleme mit überfluteten Kellern und Eingängen gegeben, besonders in der Gerberstraße, Am Kulk und auf dem Hohen Weg. Noch am Montag waren Mitarbeiter unterwegs, um Schäden aufzunehmen. „Wenn Mieter uns nicht erreicht haben, ist das bedauerlich. Wir werden die Situation auswerten und schauen, wie wir es besser machen können, sollte es noch einmal zu so etwas kommen“, so Ohm.

Andere Betroffene üben derweil Kritik an der Feuerwehr. „Kameraden werden beschimpft, weil sie nicht rechtzeitig vor Ort waren und die Bewohner ‚alles alleine machen‘ mussten“, berichtet Wehrsprecher Chris Buchold. „Immer wieder kommt es vor, dass Bürger die Feuerwehr in der Pflicht sehen, jede kleine Pfütze Wasser zu beseitigen und den Keller trocken zu legen.“ Seinem Eindruck nach steigen die Ansprüche der Bürger an die Kameraden.

Buchold informiert, dass in solchen Ausnahmezuständen wie am Freitag, Einsätze nach Priorität abgearbeitet werden und die Feuerwehr „ab einem bestimmten Punkt mit ihren Pumpen am Ende ist. Leider kommt es dann auch mal vor, dass Einsatzstellen nicht oder zu spät angefahren werden. Das tut uns sehr leid, aber wir tun unser Bestes.“ Und dass, obwohl bei einigen Kameraden zu Hause ebenfalls Keller vollgelaufen sind. „Aber sie haben weiterhin ihren Dienst im Einsatz fortgesetzt, um anderen zu helfen.“

Kritikern rät er, sich selbst bei der freiwilligen Wehr zu engagieren, um sich ein Bild von der Arbeit und den internen Abläufen in solchen Ausnahmesituationen machen zu können.