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Coronavirus Rückverfolgung auf Abwegen

In Krankenhäusern ist die Gefahr einer Corona-Infektion hoch. Im Landkreis Börde werden Patienten im Vorfeld nicht getestet.

Von Juliane Just 26.05.2020, 01:01

Haldensleben l Es waren Tage der Ungewissheit. Als eine in Haldensleben lebende Krankenschwester einen Anruf erhielt, dass sie Kontakt zu einer Corona-Patientin hatte, machte sich ein mulmiges Gefühl breit. Denn vom Kontakt mit dieser Patientin bis zu der Information vergingen sieben Tage. Sieben Tage, in denen sie weitere Patienten und Kollegen hätte anstecken können. Sieben Tage, in denen sie ihren Mann und ihre Kinder hätte anstecken können.

Die Krankenschwester, die anonym bleiben möchte, beschwert sich über die Vorgehensweise. Nachdem massenhaft Corona-Fälle in Krankenhäusern aufgetaucht seien, müsse man ihrer Meinung nach umdenken. „Warum testet man die Patienten nicht vor der Behandlung auf das Virus?“, fragt die Krankenschwester, die in einer medizinischen Einrichtung außerhalb der Landesgrenzen Sachsen-Anhalts tätig ist.

Der konkrete Fall: Eine ältere Patientin hatte sich eine Oberschenkelfraktur zugezogen und musste operiert werden. Eine Woche blieb sie in der Klinik, wurde dann in den Bereich Geriatrie (Altersmedizin) übergeben und wurde dort zwei Wochen aufgenommen. Anschließend sollte sie in eine Pflegeeinrichtung aufgenommen werden. Vor der Aufnahme wurde ein Corona-Test gemacht. Ergebnis: Positiv.

Mit diesem Ergebnis beginnt die komplizierte Rückverfolgung des medizinischen Personals, das die Patientin behandelt hat. Und das waren nicht wenige. Alle Beteiligten wurden telefonisch informiert und umgehend auf das Coronavirus getestet. Doch bis dahin vergingen sieben Tage, in denen alle Betroffenen weitergearbeitet haben und damit sich selbst, ihre Patienten und ihre Familien in Gefahr gebracht haben.

Neun Tage nach der vermeintlich Infektion und zwei Tage nach dem Test erhielt die Krankenschwester ein Schreiben vom Gesundheitsamt des Landkreises Börde, das der Volksstimme vorliegt. Dort wird ihr mitgeteilt, sie solle rückwirkend in Quarantäne gehen, nämlich ab dem Zeitpunkt der vermeintlichen Ansteckung. Als der Brief ankommt, bleiben offiziell noch vier Tage von zwei Wochen Quarantäne übrig.

Des Weiteren beinhaltet das Schreiben die Aufforderung, unter Einhaltung bestimmter Auflagen weiter zu arbeiten. Grund: Die Haldensleberin gehört zu einer „systemerforderlichen Berufsgruppe“. In dem Schreiben ist unter anderem festgehalten, dass sie während ihrer Tätigkeit eine Schutzausrüstung tragen solle und sofern es ihre Tätigkeit nicht ausschließt, unbedingt 1,50 Meter zu anderen Personen Abstand zu halten. Als Krankenschwester ist das nicht machbar.

Es gibt eine Empfehlung des Robert Koch-Institutes (RKI), wie mit medizinischem Personal als Kontaktperson zu einem positiven Fall umzugehen ist, wenn gegebenenfalls Personalmangel in der medizinischen Einrichtung herrscht. „Das zuständige Gesundheitsamt ermittelt im Ereignisfall die entsprechenden Kontaktpersonen und beurteilt den Einzelfall und veranlasst daraufhin die entsprechenden Maßnahmen“, lässt das Sozialministerium auf Volksstimme-Nachfrage verlauten. Natürlich dürfe medizinisches Personal mit positiven SARS-CoV-2- Test nicht weiterarbeiten.

„Es wäre doch so viel sinnvoller, die Patienten im Vorfeld zu testen als rückwirkend hunderte Mediziner aus dem Verkehr zu ziehen“, sagt die Haldensleberin. Das Sozialministerium antwortet auf die Frage, warum man Patienten nicht im Vorfeld testet, folgendes: „Eine Testung von asymptomatischen Personen ist immer nur eine Momentaufnahme und gibt eine ‚falsche Sicherheit‘, weil negativ getestete Personen zeitnah dennoch SARS-CoV-2 positiv werden können.“ Das bedeutet: Auch wenn man eine Person vor der Aufnahme in die Klinik testet und das Ergebnis negativ ist, kann sie das Virus in sich tragen. Bricht es später aus, ist eine Rückverfolgung auch notwendig.

Die Krankenschwester bemängelt, dass die Corona-Tests sehr sensibel sind. Fehlerhafte Abstrichproben führen zu falschen Ergebnissen. So könne man auch ein Blutbild mit Antikörpertests machen oder das Bronchialsekret auffangen. Aber das sei wohl alles eine Frage des Geldes.

Der Clou an der Geschichte: Alle Mediziner, die mit der Corona-Patientin Kontakt hatten, wurden negativ getestet. Dass sich keiner der behandelnden Mediziner bei der Patientin angesteckt hat, schien unwahrscheinlich. Bei ihr wurde erneut ein Rachenabstrich gemacht. Das Ergebnis: Negativ.