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Coronavirus "Die Paralympics warten trotzdem"

Die Haldensleberin Hanna Wichmann ist Keulenwerferin und Kugelstoßerin. Trotz Corona hat sie ein großes Ziel: die Paralympics 2021 in Tokio.

Von Juliane Just 22.04.2020, 01:01

Haldenslebben l Es war der 16. März, als sich ihr Leben plötzlich änderte. Hanna Wichmann, Parasportlerin von Weltrang und Mitarbeiterin eines Lager- und Onlineversandhandels, stand plötzlich ohne Arbeit und ohne Training da. Ihre Sportarten Keulenwerfen und Kugelstoßen lassen sich nicht in den heimischen vier Wänden trainieren. Trotzdem kann die 23-Jährige der Situation etwas Gutes abgewinnen.

„Es geht allen Leistungssportlern derzeit so. Keiner kann trainieren“, sagt Hanna Wichmann. Für viele wurde das Training aufgrund der Corona-Pandemie abrupt beendet, plötzlich ist der Körper im Erholungsmodus. Vor der Pandemie hat Hanna jeden Tag trainiert, zahlreiche Wettkämpfe im vergangenen Jahr waren kräftezehrend für die Sportlerin. Immerhin hält sie aktuell Platz 8 der Weltrangliste im Keulenwerfen, Rang 9 im Kugelstoßen – das ist harte Arbeit.

Hanna Wichmann leidet von Geburt an einer spastischen Tetraparese. Das bedeutet, dass Arme und Beine teilweise gelähmt sind, aber erhöhte Muskelspannung aufweisen. Deshalb sitzt die junge Frau im Rollstuhl. Ihr Werkzeug ist ihr rechter Arm. Wie kann sie diesen nun trainieren?

„Ich bewege mich trotzdem. Meine Trainer haben mir Ballübungen verordnet. Außerdem spiele ich mit meinem Bruder Basketball oder fahre Fahrrad“, sagt die 23-Jährige. Denn seit dem Shutdown ist die Haldensleberin, die Greifswald als ihre Wahlheimat auserkoren hat, zuhause bei ihrer Familie. „Ich genieße die Zeit mit meiner Familie“, sagt Hanna Wichmann. Und hier in Haldensleben hat sie auch die Liebe zum Sport gefunden. Im Jahr 2010 meldete ihre Mutter Claudia Wichmann sie beim Gesundheits- und Behindertensportverein Haldensleben an. Zufällig kam Hanna Wichmann an Trainer Christian Wischer, der sie fortan trainierte und ihr den Weg zu ihrem jetzigen Erfolg ebnete. Aus der Bewegung wurde eine Lebensaufgabe.

Zu ihrem Sport gehört mehr, als die Kugel zu stoßen oder die Keule zu werfen, denn auch das Anschnallen an den sogenannten Wurfstuhl muss immer wieder trainiert werden. Wegen ihrer unterschiedlichen Behinderungen müssen alle Teilnehmer sitzend starten. Auf dem Wurfstuhl werden sie festgeschnallt. Unter Wettkampfbedingungen haben die Sportler fünf Minuten Zeit, um alles festzuzurren. Gelingt das nicht, kann der Sportler disqualifiziert werden.

Doch das Anschnallen wird nach der Trainingspause wohl das kleinere Übel sein. „Meinen Wurfrhythmus werde ich wohl in der Zwischenzeit verlieren“, beschreibt Sportlerin Wichmann. Immerhin brauche man diese spezielle Wurfbewegung im Alltag eigentlich nie. Am Anfang habe der Körper auch auf die plötzliche Erholung reagiert. „Der Kreislauf war so heruntergefahren, ich war nur noch müde“, beschreibt die Sportlerin.

Vor zwei Jahren Europameisterschaft in Berlin, vergangenes Jahr Weltmeisterschaft in Dubai, dieses Jahr Paralympische Spiele in Tokio – so sah der Plan der Sportlerin aus. Doch die Paralympics, Hannas großer Traum, sind nun auf das Jahr 2021 verschoben. Das sieht die 23-Jährige als Chance. „Ich habe somit mehr Zeit für die Vorbereitung“, sagt sie. Sie gebe die Hoffnung nicht auf, dass der Traum von Olympia im kommenden Jahr wahr wird. Nach einem „mittelverkorksten“ Jahr 2019, wie sie es beschreibt, folgt ein Jahr 2020 mit unsicherem Trainingsplan – trotzdem will sie 2021 durchstarten.

Bevor die Corona-Pandemie sie zur Pause zwang, trainierte die Sportlerin jeden Tag. 6 Uhr arbeiten, 16.30 Uhr trainieren, 18.30 Physiotherapie. Und dann wieder von vorn. Ist sie beim Sport, ist die 23-Jährige in ihrem Element. Doch nach der Zwangspause erst einmal in ihren alltäglichen Trainingsrhythmus zurückzukommen, das wird eine Herausforderung. „Ich werde anfangs sicher Muskelkater haben“, sagt die 23-Jährige und lacht. Doch das ist es ihr wert. Immerhin gilt es, die Weltranglistenplätze zu halten.