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Festgottesdienst Große Glocke läutet jetzt wieder

Nach 71 Jahren hängt auch die große Sandauer Glocke endlich wieder an ihrem angestammten Platz hoch oben im Turm.

Von Ingo Freihorst 18.04.2016, 01:01

Sandau l Hat sich in den Köpfen der Menschen im Gegensatz zu damals, als die Glocke mitsamt dem Turm und der Stadt in Schutt und Asche fiel, etwas geändert? fragte Pfarrer Hartwig Janus angesichts des Rechtsrucks bei den Wahlen beim Festgottesdienst am Sonntag. Das Volkstum galt im Nazi-Reich als höchstes Gut, die Begriffe „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ waren auch damals zu hören. Andere galten als Schmarotzer, das Leid von Menschen hinter Stacheldraht wurde verdrängt. Hass und Hartherzigkeit beherrschten das Land – bis die Gewalt, die von ihm ausgegangen war, auf Deutschland zurückfiel. Auch diese damalige braune „Bewegung“ war von ganz normalen Bürgern an die Macht gewählt worden.

Mehr denn je sei der 13. April ein Gedenktag für alle Sandauer – wo doch völkisches Gegröle auf den Straßen in Deutschland wieder salonfähig werde. Am Mittag jenes Tages im letzten Kriegsjahr 1945 waren die ersten Granaten in Sandau eingeschlagen. Nach dem mehrtägigen Beschuss war die Stadt zu 80 Prozent zerstört.

Die Gesellschaft müsse sich – auch mit Blick auf die Flüchtlinge – wieder auf ihre christlichen Grundwerte besinnen. Ansonsten drohen Gewalt und Krieg, mahnte auch Superintendent Michael Kleemann aus Stendal in seiner Predigt. In Sandau hätten sich Menschen um die Glocken gekümmert, das könne man nun wieder weithin hören.

Bürgermeister Henry Wagner blickte auf die Geschichte der einst drei Sandauer Glocken zurück. Er lobte das Engagement derjenigen Sandauer, die vor 20 Jahren den Förderverein für den Wiederaufbau ins Leben gerufen und einen steinigen und langen Weg vor sich hatten.

Einer derjenigen, welche die Anregung zum Wiederaufbau des zerstörten Turmes gegeben hatten und immer daran geglaubt hatten, ist der 83-jährige Ernst Busse. Er hatte die große Ehre, nach dem Gottesdienst hoch oben in der Glockenstube – den Weg bewältigte er zu Fuß – die beiden Glocken nach der Weihe in Gang zu setzen. Erst kam die kleine in Schwung, danach ging endlich auch der Motor für die große Glocke an.

Übertragen wurde die feierliche Zeremonie vom Offenen Kanal aus Stendal, bei dem man den Festakt übers Internet auch abrufen kann, auf eine Leinwand ins Kirchenschiff. Denn alle etwa 300 Gäste konnte die Glockenstube bei weitem nicht fassen. Doch konnte jeder im Anschluss den Turm besteigen. – Sei es, um in drei Etagen die Kaffeetafeln zu genießen oder aber den Ausblick auf die wieder auferstandene Stadt.