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Jubiläum Förderschule feiert 25. Geburtstag

Vor 25 Jahren wurde die Förderschule „Am Lindenweg“ in Havelberg eröffnet. Zuvor gab es keine Bildungsstätte für Kinder mit Behinderung.

Von Andrea Schröder 28.05.2016, 01:01

Havelberg l Ein altes Lehrbuch liegt auf dem Tisch von Schulleiterin Petra Heidrich. In dem „Eßbach“ steht alles drin, was auch heute noch wichtig ist, um Kindern und Jugendlichen mit geistigen Behinderungen den Weg ins Leben zu ebnen. Hochwissenschaftlich wird vom Autorenteam um den Sonderpädagogen Sigmar Eßbach, der als Begründer der Pädagogik bei geistiger Behinderung in der DDR gilt, beschrieben, wie die Förderung möglich ist. Der Unterschied zur DDR-Zeit besteht darin, dass bald nach der Wende auch die Schulpflicht für diese Kinder eingeführt worden ist.

„Die Förderpädagogik der DDR bestand erst seit Anfang der siebziger Jahre als eigenständige rehabilitations-pädagogische Disziplin“, berichtet Petra Heidrich mit einem Blick auf die Chronik der Schule, die im Juni 1991 eröffnet wurde und am kommenden Mittwoch, am Internationalen Kindertag, 25. Geburtstag feiert. 1972 wurde an der Sektion Rehabilitationspädagogik und Kommunikationswissenschaft der Humboldt-Universität Berlin die Fachrichtung „Rehabilitationspädagogik der schulbildungsunfähigen förderungsfähigen Intelligenzgeschädigten“ neben der Fachrichtung Hilfsschulpädagogik als Ausbildungs- und Forschungseinrichtung eröffnet. Es entstanden die Fördereinrichtungen, die dem Gesundheits- und Sozialwesen zugeordnet waren.

„1977 wurde eine Fördereinrichtung an der Hilfsschule Dahlen eingerichtet. Diese Einrichtung unterstand dem Gesundheitswesen des Landkreises Havelberg. Frau Gerda Grey und Frau Winkler wurden für 10 bis 15 Kinder eingesetzt. Im folgenden Jahr kamen mit Erika Motzkus und Anita Schock zwei Erzieherinnen dazu. Die Leiterinnen waren Gerda Grey und ab 1987 Gisela Weiß. 1990 verließ Gerda Grey die Einrichtung aus Altersgründen“, blickt Petra Heidrich in die Geschichte vor der Schule.

„Die materiellen Bedingungen waren sehr kompliziert. So mussten zum Teil körperbehinderte Kinder bis unter das Dach getragen werden. Die Aufgabe der Erzieherinnen bestand darin, den Kindern Praktisches beizubringen. Die Kinder sollten ihr Leben bewältigen lernen. Hierzu gehörten Selbstversorgung, Hygiene, Hauswirtschaft und Umwelterziehung. Es wurden Arbeitseinsätze in der LPG durchgeführt, um die Kasse der Fördereinrichtung aufzubessern. Gemeinsam mit den Kindern pflückten die Erzieherinnen Erdbeeren und Tomaten, sammelten Steine, Kartoffeln, auch Kastanien und Eicheln. Dieses Geld half, Höhepunkte im Leben der Kinder zu gestalten. Auch damals gab es schon Patenschaften mit den ortsansässigen Betrieben und Einrichtungen“, sieht die Schulleiterin etliche Parallelen zum heutigen lebenspraktischen Unterricht der Bildungsstätte im Lindenweg.

Im März 1990 erfolgte der Umzug in die Bahnhofstraße 3 in Havelberg mit sechs Kindern. Zwei Lehrerinnen wurden durch das damalige Reha-Zentrum, das Dr. Tietze leitete, eingestellt. Am 1. Juni 1990 übernahm Petra Heidrich die Leitung der Fördereinrichtung. Anke Wege als Fachlehrerin kam etwas später dazu. Drei Pädagogische Mitarbeiterinnen gehörten zum Team: Gisela Weiß, Anita Schock und Erika Motzkus. Die Betreuung der Kinder fand rund um die Uhr statt.

Die Fördereinrichtung wurde durch Petra Heidrich und ihre Mitarbeiterinnen im Juni 1991 auf der Grundlage der Beschlüsse des Landes Sachsen-Anhalt zu einer „Schule für geistig Behinderte“ umgestaltet. Von nun an waren die Kinder der Fördereinrichtung Schulkinder. „Das ist aus meiner Sicht eine große Errungenschaft gewesen“, sagt die Havelbergerin. Nun gab es die Schulpflicht für alle Kinder, auch für geistig Behinderte. Lebenspraktische Lerninhalte standen weiterhin im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit der Lehrerinnen und Pädagogischen Mitarbeiterinnen.

So gab es entwicklungs-, handlungs- und fachorientierte Lernbereiche. Die räumliche Enge führte im August des Jahres zum Umzug in die ehemalige Kinderkrippe in der Pritzwalker Straße. 36 Kinder wurden in sechs Klassen unterrichtet, davon drei Klassen in der Pritzwalker Straße und drei im Kinderheim „Julianenhof“ in Müggenbusch. Das Einzugsgebiet war der ehemalige Landkreis Havelberg bis zum Sommer 1994. In der Unterstufe waren Christiane Döring, Karla Pfeiffer und Anita Schock, in der Mittelstufe Anke Wege, Erika Motzkus und Birgit Weska und in der Oberstufe Kerstin Döring, Gisela Weiß und Ilona Liermann tätig. Im Kinderheim übernahmen Karl Reyher und Andrea Schlesinger, Elisabeth Reyher und Elke Gädke sowie Doris Klatt und Jutta Neumann je eine Klasse. Technische Mitarbeiter waren Ilona Güldner als Schulsekretärin und Herbert Hardt als Hausmeister.

„Damit die Schule einigermaßen genutzt werden konnte, hatten die Havelberger Rotarier tüchtig mitgeholfen. Heizungen wurden repariert, neue Lampen angebaut und viele benötigte Arbeitsmittel durch Spenden beschafft“, denkt Petra Heidrich an diese Anfänge zurück. Sie hatte die ehemaligen Krippenräume als untauglich für Klassenräume abgelehnt und sich damit eine Abmahnung eingefangen.

„Wir unterrichteten nach den Rahmenrichtlinien des Landes Niedersachsen. Für jedes Kind wurde ein Individualplan erstellt. Mit der Grundschule ,Am Eichenwald‘ wurde unter anderem durch gemeinsame Musik- und Sportstunden die Integration gefördert. Auch Reit- und Sprachtherapie ergänzten das Förderangebot der Schule. Ingeborg Pagel als Logopädin war auch Mitglied im Team.“

Im Juli 1994 zogen die Kinder, die im „Julianenhof“ beschult wurden, in die Kinderkombination „Pusteblume“ im Franz-Mehring-Viertel. Der Hauptsitz der Schule blieb aber in der Pritzwalker Straße. 30 Kinder wurden in vier Klassen in der Kinderkombination unterrichtet. Vier weitere Räume sollten nach dem Umbau der „KIKO“ ein Jahr später genutzt werden. Es sollte ein Integrationszentrum entstehen. Davon wurde Abstand genommen.

Der Kreistag des Landkreises Stendal und die Stadt Havelberg suchten gemeinsam nach einer neuen Lösung und einem geeigneten Objekt, um die Sonderschule neu zu bauen. Letztlich beschloss der Kreistag im November 1996 den Neubau einer Sonderschule für geistig Behinderte im Schulzentrum Havelberg neben den anderen Schulen am Lindenweg. Am 13. Dezember 1996 war Grundsteinlegung. Zum Schulanfang 1998 wurde die Schule eröffnet. Der Neubau kostete etwa 8,5 Millionen Mark. Es entstanden sieben Klassenräume für je sieben bis neun Schüler. Außerdem stehen zehn Fachunterrichtsräume für die sonderpädagogische Förderung mit Whirlpool, Hauswirtschaftsraum, Werkräumen, Musikraum, ein ökologischer Naturspielhof sowie eine Sporthalle zur Verfügung. Seit 1. August 1998 trägt die Schule den Namen Förderschule „Am Lindenweg“.

„Im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit steht weiterhin der lebenspraktische Unterricht in einer naturnahen Umgebung“, betont Petra Heidrich. Dabei lernen die Schüler mit Kopf, Hand und Herz. Viele Projekte sind inzwischen Tradition an der Schule. Fördermittel wurden durch die Pädagogen beantragt und grüne Klassenzimmer mit Hochbeeten im Innenhof der Schule eingerichtet, die noch heute gestaltet werden.

Heute sind an der Schule elf Lehrer/innen, elf pädagogische Mitarbeiterinnen, davon eine Logopädin und eine Physiotherapeutin, tätig. Sie fördern individuell 55 Schüler im Alter von 6 bis 18 Jahren in sieben Klassen der Unter-, Mittel-, Ober- und Berufsbildungsstufe.

„In den 25 Jahren haben sich viele Traditionen, Patenschaften und eine enge Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Havelberg, dem Wohnheim „Julianenhof“, den Havelberger Schulen, der BBA, unserem Schulträger, dem Behindertenverband, dem Rotary-Club sowie dem Förderverein Naturschutz im Elb-Havel-Winkel entwickelt. Ganz eng arbeiten wir mit den Soldaten der Bundeswehr zusammen, seit 2006 gibt es einen Patenschaftsvertrag. Gemeinsam wurde der Schulgarten urbar gemacht, ein Gerätehaus für die Außenspielgeräte gebaut und Projekte durchgeführt. Die Soldaten unterstützen uns bei vielen Festen und Feiern“, erzählt die Schulleiterin.

Seit 1999 gibt es immer am letzten Freitag im November einen Weihnachtsbasar, der viele Besucher anlockt. Zum Tag der offenen Tür im Mai oder Juni zeigen die Schüler ihren Eltern und Gästen, was sie im Schuljahr gelernt haben. Dafür wird immer ein anspruchsvolles Programm durch die Schüler einstudiert, das zum neuen Schuljahr für alle neuen Schüler noch einmal aufgeführt wird. Tradition sind die jahreszeitlichen schulischen Höhepunkte und Schulfeiern.