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Bäckereien Ein Handwerk, das langsam ausstirbt

Wo man Brot und Kuchen kauft, darüber lässt sich eventuell streiten. Über die Qualität beim Privatbäcker aber nicht. Die ist vorzüglich!

Von Wolfgang Masur 10.01.2016, 09:17

Havelberg l 1939 gab es in der Domstadt Havelberg noch 18 private Bäcker, da war die Konkurrenz groß und der Kunde König. Die Zahl der Bäckereien schwankte, denn ebenso schnell, wie sich ein neuer Bäcker etablierte, machte ein anderer zu. Von den 18 Backbetrieben war die Hälfte auf der historischen Altstadtinsel angesiedelt.

Dort gibt es heute, zum Glück und zur Freude der Altstadtbewohner, wenigstens noch einen Backwarenladen. Erzeugnisse einer industriellen Bäckerei werden hier angeboten.

Der gute alte Bäckereibetrieb stirbt langsam aber sicher in Deutschland aus. Laut einer neuen Statistik gibt es in Deutschland nur noch rund 14 000 Bäckereien. In den 1950er Jahren waren es noch 55 000 Bäckereien und damit fast viermal so viel. Der Konkurrenzkampf mit den Discountern droht die Bäckereien von früher komplett zu verdrängen.

Wer in seinem Wohnort mal kurz in die Vergangenheit blickt, wird vermutlich ähnliche Veränderungen feststellen. Viele Havelberger dürften sich zum Beispiel noch an die einst beliebte Bäckerei von Meister Klaus Röhr, an die Bäckerei von Julius Weinberg, die Bäckerei Block, den Bäckermeister Adolf Muhs, die Bäckerei Stricker und einige mehr erinnern. Lang, lang ist es her.

Experten sind sich sogar sicher, dass in wenigen Jahren die Anzahl der Bäckereien in Deutschland auf 8000 fallen wird. Man könnte statistisch sogar sagen, dass jeden Tag eine Bäckerei in Deutschland schließen muss. Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Der erste Grund sind billige Bäckerei-Ketten wie Selbstbedienungsbäcker oder Discounter sowie Supermärkte und Tankstellen. Der zweite Grund ist das immer stärker werdende Desinteresse an Backwaren. Viele Menschen konsumieren heute lieber Pizza beziehungsweise Fast Food. Natürlich werden wir auch künftig nicht verhungern, jeder wird Brot, Kuchen, Torten und Gebäck weiterhin in ausreichender Menge erwerben können.

Doch jüngste Entwicklungen zeigen deutlich, dass die Bäckerei um die Ecke, wo der Bäckermeister unter anderem noch selbst den Teig knetet, zu verschwinden droht.

Ich erinnere mich noch an meine Kindheit in den 1960er Jahren. Als Kind gehörte es zu meinen Aufgaben, die Familie an den Wochenenden mit frischen Brötchen zu versorgen. Als Frühaufsteher war das für mich auch kein großes „Opfer“. Während meine Eltern noch schliefen, lief ich die paar Meter bis zur nächsten Bäckerei. Das war damals, fast möchte ich „natürlich“ dazu sagen, ein Familienbetrieb. Dort stand der Bäckermeister noch persönlich am Ofen in der Backstube. Oft durfte ich für einen kurzen Augenblick einen Blick hineinwerfen, sah dabei zu, wie die von mir mitzubringenden Backwaren dort frisch aus dem Ofen kamen, sah, wie der Teig per Hand geknetet wurde.

Etwas weiter zurückgeblickt, waren die Zeiten der privaten Bäckereien für mich noch viel interessanter, denn mein Vater arbeitete in der damaligen Bäckerei Klähn in der Havelberger Mühlenstraße. Eine Tüte mit Blechkuchenrändern kostete damals zehn Pfennige und das Auslecken einer Kuchenschüssel war für mich als „Bäckersohn“ sogar umsonst.

An den Wochenenden brachten die Menschen ihre Blechkuchen zum Abbacken in die Bäckerei. So sparten sie Geld, denn die Gebühren dafür waren niedrig, und aus dem Backofen schmeckte der Kuchen natürlich sehr lecker.

Heute gibt es in der Domstadt Havelberg leider nur noch einen privaten Bäcker: Bäckermeister Daniel Wittstock in der Wilsnacker Straße. „Im April 1980 hat mein Vater, Joachim Wittstock, die Bäckerei hier eröffnet. Leider verunglückte er im Mai 1993 tödlich“, erinnert sich Daniel Wittstock. Zu dieser Zeit besuchte er noch die Schule und war kurz vor dem Abschluss der 10. Klasse. Seine Mutter Gabriela Wittstock erhielt damals von der Handwerkskammer eine Sondergenehmigung, um den Betrieb auch ohne Meister vorerst weiterführen zu können. Sie ist noch heute Geschäftsinhaberin.

Daniel Wittstock begann dann in Verden (Aller) eine Ausbildung zum Bäcker, die er 1996 beendete. Nach dem Dienst bei der Bundeswehr absolvierte er ein Meisterstudium, das er 1999 in Dresden erfolgreich abschloss. „Ich bin dann auch gleich in das elterliche Unternehmen eingestiegen und habe heute noch, obwohl es jetzt ein Überlebenskampf geworden ist, viel Spaß und Freude bei der Arbeit“, erzählt er lächelnd.

In den zurückliegenden 20 Jahren hat Daniel Wittstock einen Auszubildenden in seiner Backstube gehabt. Und das war es dann auch schon. Zwei Jahre war der gelernte Bäcker noch bei ihm tätig, dann verzog er nach Hannover. „Ich würde gerne wieder einen Lehrling ausbilden, aber die Interessen der heutigen Jungen, die die Schulen verlassen, gehen in andere Richtungen“, bedauert der Meister.

In seiner Backstube helfen ihm noch zwei weitere Angestellte, insgesamt gehören sieben Mitarbeiter zur Bäckerei Wittstock. „Da wir im Umkreis von etwa 50 Kilometern auch auf den Dörfern unsere Backwaren anbieten, sind auch Kraftfahrer und Verkäufer beziehungsweise Verkäuferinnen mit tätig.“

Für Daniel Wittstock steht dennoch fest: „Früher oder später gehen die kleinen Unternehmen kaputt und die alte Redewendung vom Handwerk, das goldenen Boden hat, trifft für das Bäckerhandwerk nicht mehr zu.“

Sein 16-jähriger Sohn hilft zwar in der Freizeit in der Backstube mit, aber dass er den Familienbetrieb einmal weiterführen wird, steht bisher nicht zur Diskussion.