Baustellenführung Ein Spaziergang in die Havelberger Stadtkirchen-Orgel
Wird die Orgel in der Havelberger Stadtkirche in der Adventszeit wieder bespielbar sein? Eine Frage, die wohl erst im Dezember endgültig beantwortet werden kann.

Überraschend großer Zuspruch
Havelberg - Das hat es so wohl noch nicht gegeben: Am Montagabend hatte Domkantor Matthias Bensch zu einer öffentlichen Besichtigung der „Großbaustelle“ in der Havelberger Stadtkirche eingeladen, bei der sich jeder ein Bild vom Stand der Restaurierung der barocken Scholtze-Orgel machen konnte. Und nicht nur Matthias Bensch zeigte sich vom Andrang Interessierter überrascht, sondern auch viele Besucher selbst. Mit etwa maximal 20 Gästen war bei der Führung gerechnet worden, doch dann kamen sogar um die 50. Der Domkantor konnte aus dem Grund zeitweise Informationen nur an kleine Gruppen weitergeben, weil der Platz im Bereich der Orgel dafür ansonsten nicht ausgereicht hätte. Auf die einmalige Gelegenheit dabei wollte natürlich keiner verzichten: nämlich einmal in das Innere der Orgel hineinzuspazieren. „Nach der Restauration wird sie wieder ihren barocken Originalzustand zurück erhalten haben“, erklärte Matthias Bensch.
Barocker Originalzustand ist das Ziel
Die Orgel in der Stadtkirche St. Laurentius wurde 1754 vom renommierten Orgelbauer Gottlieb Scholtze erbaut. Der Berliner Orgelforscher Wolf Bergelt bezeichnete diese Orgel als „eines der wertvollsten Instrumente im mitteleuropäischen Kulturkreis überhaupt“. Der Erbauer Gottlieb Scholtze (1713 bis 1783) war ein Meisterschüler von Joachim Wagner. Somit verbinden sich in den Orgeln von Joachim Wagner und Gottlieb Scholtze zwei der bedeutendsten Orgelbautraditionen des deutschen Barocks. Scholtze baute ein großzügig disponiertes, zweimanualiges Instrument, das 32 klingende Stimmen erhielt, und setzte es in ein prächtiges Rokokogehäuse.
Mehrmaliger Umbau im Laufe der Jahrhunderte
Leider, so informierte Matthias Bensch gleich nach der Begrüßung der Führungsteilnehmer auf dem Domplatz, ist die Stadtkirchenorgel im Laufe der Jahrhunderte mehrmals ohne ein sinnvolles Gesamtkonzept umgebaut worden. Aus heutiger Sicht hätte das in allen Fällen zu negativen Auswirkungen geführt. Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass die Stadtkirchenorgel nach der Vergrößerung der Dom-Orgel selbstverständlich auch vergrößert werden musste, obwohl dafür nicht ausreichend Platz im Orgelgehäuse zur Verfügung stand. Außerdem wurde der Orgelklang im 19. Jahrhundert zweimal dem Zeitgeschmack entsprechend dunkler gestaltet: Originale Register mit einem strahlend hellen Klang wurden zugunsten tieferer und dunklerer Register ausgetauscht.
Prospektpfeifen wurden für Krieg eingezogen
Der sogenannte Prospekt, die Schauseite der Orgel, mit der sie sich ihrer Zuhörerschaft optisch präsentiert, bestand ursprünglich aus Englisch Zinn. Diese Legierung ist sehr teuer, da es sich um fast reines Zinn handelt. 1917 wurden die Prospektpfeifen zu Kriegszwecken eingezogen und später durch minderwertige Zinkpfeifen ersetzt. Damit wurde die Orgel ihrer Schönheit beraubt und klanglich entwertet. Die Rekonstrukion der Prospektpfeifen ist mit rund 100000 Euro ein großer Kostenfaktor bei der Restaurierung. Weil für diese bis ins 21. Jahrhundert hinein dann kein Geld mehr da war, verwahrloste das Instrument leider bis zur Unbespielbarkeit. „Nach der Gründung eines ,Vereins für die Restaurierung und Erhaltung der barocken Scholtze-Orgel der St. Laurentiuskirche zu Havelberg' im Juni des Jahres 2014 begann sich dann ein Spendentopf langsam zu füllen.“
Vereinsgründung erwies sich als richtiger Schritt
Erfreulicherweise sind jedoch über 50 Prozent des Originalbestands von 1754 heute noch erhalten. Die wenigen bereits restaurierten Orgeln von Gottlieb Scholtze zeichnen sich durch einen strahlenden, hellen Klang aus, der in allen Registrierungen außergewöhnlich durchsichtig, präzise und farbenfroh ist. So soll das auch bald wieder bei der Orgel in der Stadtkirche sein. Nämlich wenn ihre Restauration vollständig abgeschlossen ist. Die Arbeiten dafür befinden sich in vollem Gange. Derzeit liegen überall, sorgfältig sortiert, ausgebaute Teile in der Kirche und stehen kurz vor ihrem Wiedereinbau. Es sei problemlos möglich, den Teil der Scholtze-Orgel exakt zu rekonstruieren, der durch die Veränderungen in den vergangenen 250 Jahren verloren gegangen ist, informierte Matthias Bensch.
Wiedereinweihung im Dezember?
Der große Wunsch aller Vereinsmitglieder und des Gemeindekirchenrates besteht darin, in der diesjährigen Adventszeit sich wieder am Orgelklang erfreuen zu können. Ein wichtiger Faktor dabei ist jedoch ein zügiger Fortgang der Restaurierungsarbeiten. Dieser ist möglich, wenn die Corona-Pandemie nicht noch einmal für eine Zwangspause sorgt.
