Weihnachtsmarkt-Opfer verhöhnt Höchststrafe für Ratsmitglied aus Havelberg gefordert - so entscheidet der Stadtrat
Mit höhnischen Äußerungen zum Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt erzürnt ein Stadtrat aus Havelberg die Ratsmitglieder. Ihm droht die höchstmögliche Strafe.

Havelberg. - Es ist warm und stickig im Sitzungssaal des Havelberger Rathauses. Zweimal schon wurde die Sitzung unterbrochen. Es geht um den parteilosen Stadtrat und Rechtsanwalt Rolf Scheider und seine umstrittenen Äußerungen zum Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Nun droht ihm die Höchststrafe.
Wenn er sich entschuldigt und Reue zeigt, bleibt es bei einer Rüge. Andernfalls schließt ihn der Stadtrat für vier Sitzungen aus. Wie entscheidet sich Rolf Scheider?
Was bisher geschah: Der Stadtrat will sich in die Sommerpause verabschieden, da kommt es zum Eklat. Von Bürgermeister Mathias Bölt (parteilos) gefragt, ob er mitbekommen habe, was im Dezember 2024 auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg passiert ist, antwortet Rolf Scheider, indem er die tödliche Messerattacke in Solingen mit einbezieht.
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Nur eine flapsige Bemerkung?
„Der Oma sind die Obstmesser weggenommen worden und der Attentäter hat die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht eingehalten.“ Im Nachhinein wertet er das als „flapsige Bemerkung“. Die Angehörigen der sechs Toten und mehr als 300 Verletzten dürften das anders sehen.
Wiegt diese Äußerung so schwer, dass ihr Urheber bestraft werden muss? Diese Frage wollte der Stadtrat von Havelberg in einer Sondersitzung beantworten. Im bis auf den letzten Platz gefüllten Sitzungssaal verfolgten mehr als 50 Zuschauer die Debatte mit Spannung. Ein nicht unerheblicher Teil der Gäste war offensichtlich erschienen, um Rolf Scheider zu unterstützen.
Stadträte reagieren mit Empörung und Abscheu
Im Stadtrat von Havelberg machte sich Empörung breit. Von „zutiefst verabscheuungswürdigen Äußerungen“ war die Rede. Als Reaktion wollten die Antragsteller der Fraktion der bürgerlichen Mitte (FbM) und Linke/Stadt-Land Rolf Scheider von den vier nächsten Sitzungen ausschließen – die Höchststrafe, die wegen „grober Ungebühr“ verhängt werden kann.
Der so Kritisierte hatte bereits in einer E-Mail unter anderem an die Volksstimme erklärt: „Die Antwort (auf die Frage von Bürgermeister Mathias Bölt – Anmerkung der Redaktion) würde ich so, rückblickend, nicht mehr wiederholen; sie war sicherlich überspitzt formuliert, sollte aber die Hilflosigkeit wie auch die Sinnlosigkeit der Sicherheitsmaßnahmen aufzeigen.“
Stadtrat macht Angebot zur Güte
Im Übrigen habe er „nie die Opfer verhöhnt, ich vertrete die Opfer“, wie er im Verlauf der beinahe vierstündigen Sitzung mehrfach versicherte.
Dann die zehnminütige Bedenkpause, in der sich Rolf Scheider unter anderem mit Vertretern der AfD-Fraktion austauschte. Würde er das Angebot zur Güte annehmen?
Anwalt wollte nicht „irgendwelche Gefühle“ verletzen
Dass seine Äußerungen als Hohn verstanden werden könnten, sei ihm nicht bewusst gewesen, sagte Rolf Scheider. „Die Antwort war sicherlich nicht glücklich formuliert und es tut mir leid, wenn ich damit bei Ihnen möglicherweise irgendwelche Gefühle verletzt habe, die ich nicht habe erahnen können, dass Sie die haben“, sagte er. Das war der Kern seiner Stellungnahme. Er schweifte zur Strafverfolgung und der Verpflichtung des Staates ab, seine Bürger zu beschützen.
Gegen einen Ausschluss von Stadtratssitzungen, das hatte Rolf Scheider zuvor erklärt, werde er mit rechtlichen Mitteln vorgehen.
Mit seiner langen Erklärung überzeugte er die Mehrheit der Stadträte nicht. In namentlicher Abstimmung sprachen sich von 13 Stadträten zehn für die höchstmögliche Strafe aus, zwei enthielten sich, einer stimmte dagegen.
Während die Vertreter der Fraktion der bürgerlichen Mitte und der Fraktion Linke/Stadt-Land klar für einen Ausschluss Scheiders stimmten, war die Reaktion der AfD-Fraktion zwiespältig.

Kritik „völlig überzogen“
Zwar hätte sich Vorsitzender Sebastian Heldt ebenfalls eine aufrichtige Entschuldigung gewünscht, lehnte aber die „völlig überzogene“ Reaktion der anderen Fraktionen ab. „Moralisch“ wolle er die Aussage Rolf Scheiders nicht bewerten.
Seiner Ansicht nach käme die Strafe nur bei mehrfachen Verstößen infrage, und die müssten dokumentiert werden.
Bürgermeister Mathias Bölt stellte sich hinter den Antrag. Es habe immer wieder Ordnungsrufe gegen Rolf Scheider gegeben. Mit dem Ausschluss wolle er dazu beitragen, ein Zeichen zu setzen und Schaden für den Ruf der Stadt abwenden, sagte er.

War das nun ein Tribunal? Die Redebeiträge bedienten sich immer wieder im Juristendeutsch. Von Schlussplädoyer und Beweisaufnahme war die Rede. Ein Metier, in dem sich viele Statdräte unwohl fühlen. Melanie Hasstedt (SPD) sagte: „Ich möchte mich als Stadträtin mit den wirklichen Problemen beschäftigen, Schule, Kita, Krankenhaus.“
Bisher einmalig in Sachsen-Anhalt
Gab es in Sachsen-Anhalt schon einmal eine derartige Strafe gegen ein Ratsmitglied? „Meines Wissens nicht“, sagt Bernward Küper, Landesgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt. Sollte der Beschluss angefochten werden, lande das Verfahren am Verwaltungsgericht.