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  7. Hunderte Sandsäcke trockneten auf dem Vehlgaster Dorfplatz

Ortsbürgermeister Udo Mintus hat vor zehn Jahren die Ereignisse der Hochwasserkatastrophe im Tagebuch festgehalten / Teil 2 Hunderte Sandsäcke trockneten auf dem Vehlgaster Dorfplatz

Von Andrea Schröder 27.08.2012, 05:37

Die Hochwasserkatastrophe im August 2002 hat Ortsbürgermeister Udo Mintus in einem Tagebuch festgehalten. Er hat alles dokumentiert, was in der Havelberger Ortschaft vor zehn Jahren geschah. Die Volksstimme hat in den Aufzeichnungen geblättert.

Vehlgast-Kümmernitz l Gegen 13 Uhr erreicht die Flutwelle Damerow und das Grundstück Ebert sowie die Stallanlagen der GbR sind vom Wasser bedroht. Es gilt auch, 160 Kühe, 40 Färsen sowie einige Bullen, Schweine und Kälber zu schützen. Gegen 19.30 Uhr bricht der Damm hinter Bölts. "Das Wasser hatte fast den Kamm des Deiches erreicht. Die Lage in Damerow wurde immer dramatischer." Das Wasser bahnt sich mit großer Geschwindigkeit seinen Weg südlich von Damerow, unmittelbar hinter den Wohngrundstücken. Die Landwirte Bernd und Thomas Flader organisieren sofort ihre große Technik. Ein neuer Damm soll die Flutwelle aufhalten. Marcell Neumann fährt den Radlader, Ralf Kersten und sein Sohn David die Traktoren. Gegen 22 Uhr ist der 100 Meter lange Damm fertig. Doch eine halbe Stunde später kommt die Meldung, dass er gebrochen ist und das Wasser bereits auf das Grundstück Ebert eindringt.

Die Feuerwehr sorgt für Ausleuchtung, sichert den Damm und erhöht ihn auf zirka einen Meter. Zudem errichten die Kameraden gemeinsam mit Helfern einen Sandsackwall zum Schutz der Stallanlagen. Gegen 3 Uhr morgens ist dieser Einsatz beendet.

Am Sonnabend, 24. August, stabilisiert sich die Lage langsam. Die Flutwelle hat ihre mögliche Ausdehnung erreicht. Das Wasser, das an der Sprengstelle Petersberg Richtung Waldfrieden und Kümmernitz floss, trat nicht über die Landstraße, sodass diese Dörfer nicht mehr in Gefahr sind.

Probleme mit dem Notweg von Vehlgast nach Damerow, der einzigen Verbindung der Einwohner zur Außenwelt, werden am 25. August gemeldet. Beim Begegnen zweier Pkw war ein Auto sogar vom Deich abgerutscht. Posten sorgen dafür, dass nur noch einseitiges Befahren möglich ist.

Kontrolliert wird an dem Sonntag das Wasser, das aus Richtung der Dosse-Sprengstelle stetig ansteigt. Dafür wird ein Pegel eingerichtet.

Am Abend gibt\'s eine Lagebesprechung in Vehlgast, an der alle teilnehmen, die am nächsten Tag wieder zur Arbeit müssen oder schulpflichtige Kinder haben. Der Ortsbürgermeister teilt mit, dass ab Montag ein regelmäßiger Shuttleverkehr nach Klein Damerow eingerichtet wird. Jürgen Städler und Torsten Mintus fahren den W50 der Feuerwehr. Würde das Fahrzeug ausfallen, käme die Bundeswehr zum Einsatz.

Für Montag, 26. August, hat Udo Mintus festgehalten, dass Mitglieder der Fischereigenossenschaft Vehlgast Fischsterben festgestellt haben. In den auf den überschwemmten Wiesen aufgestellten Reusen sind tote Aale, die aus After und Maul bluten. Bei Fängen im Bereich der Havel werden diese Beobachtungen nicht gemacht.

Der Wasserstand auf der Damerower Seite ist leicht rückläufig. Dagegen steigt er aufgrund der späten Sprengung des Dossedeiches auf der Brandenburger Seite an.

Gegen 14 Uhr trifft der Katastrophenstab aus Magdeburg mit Fahrzeugen der Bundeswehr in Vehlgast ein und informiert sich über die Lage.

Am Tag darauf, 27. August, wird beobachtet, dass im Bereich der alten Vehlgaster Dorfhavel kleine bis mittelgroße Fische nach Luft schnappen. Am Morgen setzen Carsten Klaukin und Torsten Mintus einen Teil des Notweges nach Wendisch Kirchhof mit Recyclingmaterial instand. Der Ortsbürgermeister macht sich gemeinsam mit Bernd Flader bei einer Inspektionsfahrt ein Bild von den landwirtschaftlichen Schäden.

In Damerow beginnt am 28. August der Dammrückbau. Ralf Kersten ist den ganzen Tag mit dem Stapler der GbR im Einsatz, um Sandsäcke zum Dorfgemeinschaftshaus zu transportieren. Ralf Schaper bedient den Kran. Ein Dutzend Helfer ist mit von der Partie.

Am Donnerstag, 29. August, ist der Pegel Vehlgast um 26 Zentimeter zurückgegangen. Die Straße nach Klein Damerow ist immer noch überflutet. Zirka 300 Meter vor Vehlgast steht das Wasser 20 Zentimeter hoch auf der Straße.

"In Vehlgast und Damerow herrscht ein Geruch, der dem einer offenen Klärgrube gleichkommt."

Am Nachmittag werden die ersten Sandsäcke in Vehlgast, Waldfrieden und Kümmernitz abgeholt, der Sand ausgeschüttet und die Säcke zum Trocknen auf dem Dorfplatz in Vehlgast ausgelegt. Abends findet eine Beratung zur Vorbereitung des Sommerfestes am 14. September statt, bei dem das sanierte Dorfgemeinschaftshaus und das Feuerwehrgerätehaus eingeweiht werden sollen. Eine Dankeschönparty für die Hochwasserhelfer soll es separat am 2. Oktober geben.

Vor allem in Vehlgast und Damerow breitet sich ein ekelhafter Gestank aus, hat Udo Mintus für den 30. August notiert. Ursache sind die verendeten Mäuse, Maulwürfe, Würmer, Schnecken und Fische. Für Vehlgast herrscht immer noch Ausnahmezustand, da der Ort noch nicht per Straße erreichbar ist und immer noch großflächig von Wasser eingeschlossen ist. Am Abend gegen 19.30 Uhr aber werden die Deichposten eingezogen und die Straße für wieder passierbar erklärt.

Ganz im Zeichen von Aufräumarbeiten steht der Sonnabend, 31. August. Dem Aufruf der Ortschaft sind rund 60 Leute gefolgt. Sie beräumen die Dämme von den Sandsäcken und bauen die aufgeschütteten Wälle weiter zurück.

Am Sonntag, 1. September, enden die Aufzeichnungen. Der Wasserstand am Pegel Vehlgast beträgt 3,78 Meter.

"Die Sprengstelle in Vehlgast war die einzige, an der das Wasser aus dem Überflutungsgebiet zurück in die Havel floss. Unser schon seit mehreren Tagen anhaltender Protest, den ich auch über Radio Sachsen-Anhalt kundtat und mit dem ich erreichen wollte, dass zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, um das Wasser aus den Orten in das Havelbett zu pumpen, hat bisher nicht gefruchtet. In Vehlgast und Damerow herrscht ein Geruch vor, der dem einer offenen Klärgrube gleichkam", hat Udo Mintus aufgeschrieben.

Der Einsatz der freiwilligen Helfer im Hochwassergebiet und der Ausnahmezustand werden am Abend offiziell beendet. Freistellungsbescheinigungen gibt es nur noch für Einwohner, deren Keller unter Wasser stehen. Der weitaus größte Teil der Wiesen, Weiden und Äcker ist noch immer überflutet. Im Maisfeld an der Landstraße zwischen Vehlgast und Klein Damerow tummeln sich Wasservögel, vor allem Wildenten. Die Landwirte listen ihre Schäden auf.

Havelbergs Bürgermeister setzt sich mit den Ortsbürgermeistern zusammen, um die kommunalen Schäden zu bewerten. Für den 4. September wird ein Ortstermin vorbereitet, an dem unter anderem Bau- und Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre teilnehmen will.

"Wir forderten vom LHW zusätzliche Höchstleistungspumpen, die am defekten Schöpfwerk Vehlgast West installiert werden könnten", ist zu lesen, und außerdem ganz zum Schluss: "Nach tagelangem Drängen wurde durch den LHW um 10 Uhr endlich das Schöpfwerk in Vehlgast angestellt, um zu helfen, das Wasser aus dem Überflutungsgebiet herauszupumpen."

Welche Erinnerungen haben Sie an die Flutkatastrophe? Wir freuen uns auf Ihre Post an die Volksstimme, Schulstraße 8 in 39539 Havelberg oder per Mail an redaktion.havelberg@volksstimme.de In dieser Woche lesen Sie ein Interview mit Havelbergs Bürgermeister zum Hochwasser 2002.