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Nitzowerin Brigitte Hoffmann hat Daten und Fakten aus drei Jahrhunderten aufgearbeitet Kirchenbücher geben Auskunft über Dorfgeschichte

Von Andrea Schröder 05.07.2012, 05:23

Wenn es um Namen, Familien und Höfe in Nitzow geht, weiß vermutlich keine so gut Bescheid, wie Brigitte Hoffmann. Seit 2010 beschäftigt sie sich mit den Kirchenbüchern und arbeitet die Daten akribisch auf.

Nitzow l Sie sind nicht nur dick, groß und schwer, sondern teilweise auch schwer zu lesen: die Kirchenbücher von 1754 an, die Brigitte Hoffmann in den vergangenen zwei Jahren durchgearbeitet hat. Dass sie sich mal so intensiv mit Geschichte befassen würde und auch noch Spaß daran findet, hätte die gelernte Machinenbauingenieurin nicht gedacht. "Früher in der Schule habe ich das Fach gehasst, aber das hier ist fassbare Geschichte, das ist sehr interessant."

Für Nitzow hat sie schon so manches aus der Historie aufgearbeitet. Erstmals in Vorbereitung auf die 1050-Jahr-Feier 1998. Da hat sie am Heimatheft mitgearbeitet. Auch die Heimatstube im Obergeschoss des Dorfgemeinschaftshauses trägt ihre Handschrift. Sie trug alte Postkarten zusammen, die im Flur zu sehen sind. Recherchiert hat sie zur Geschichte des Sprengstoffwerkes, der "Dynamit AG-Verwert Glöwen/Nitzow". Wie das Dorf vor rund 120 Jahren bebaut war, hat sie zusammengestellt. Dafür hat sie alte, schwer lesbare Bauakten gewälzt und alte Fotos zusammengetragen, ist im Internet mit Ahnenforschern in Kontakt getreten und auf den Nachfahren der alteingesessenen Ziegeleibesitzer Christian und Wilhelm Block, Torsten Block, gestoßen. Sie baute Modelle vom "Dorfkrug" und einem Torhaus - früher hatte Nitzow mehrere Torhäuser - und fertigte zu verschiedenen Themen Faltblätter an.

Über Umwege bekam sie eine Kopie der Ausarbeitungen zum ersten Kirchenbuch von Nitzow in ihre Hände, das nach dem Dreißigjährigen von 1652 an bis 1753 geführt wurde. Susanne Paasch hatte sich 1979 damit beschäftigt. Rund 800 Personen sind darin verzeichnet und sie las Nitzower Familiennamen, die ihr später immer wieder begegneten und zum Teil auch heute noch in dem Haveldorf zu finden sind. Stamer, Spanner, Block, Gerloff, Westphal und Sengespeck sind Beispiele dafür. Heute gibt es noch eine gute Handvoll Namen, die über die Jahrhunderte nachweisbar sind.

Bei Brigitte Hoffmann waren Neugier und Ehrgeiz geweckt. Für die Heimatstube ließe sich daraus bestimmt was machen und sie sprach mit Pfarrer und Gemeindekirchenrat über ihr Vorhaben, die Kirchenbücher aufzuarbeiten. Es gab überwiegend Zustimmung, aber auch Ablehnung. Auf Zuspruch stieß ihre Idee beim Domarchiv in Brandenburg. Im Herbst 2010 hatte sie das Kirchenbuch von 1754 bis 1803 im Original auf ihrem Tisch. Das Lesen war erst nicht so einfach, denn alles war per Hand in alter deutscher Schrift aufgeschrieben. "Frau Scheel hat mir anhand alter Postkarten geholfen, die Sütterlinschrift zu lesen", berichtet die Nitzowerin. So konnte sie bald auch alles in den Kirchenbüchern lesen, wenn auch manchmal die Lupe mit zum Einsatz kommen musste, um Feinheiten etwa bei der Schreibweise zu unterscheiden. Sie schrieb das Kirchenbuch komplett ab und legte ihre erste Statistik an: Von 1754 bis 1803 waren 756 Geburten, 638 Todesfälle und 162 Eheschließungen registriert. Im nächsten Kirchenbuch von 1804 bis 1852 waren dann auch die Konfirmationen mit aufgezeichnet.

"Manchmal kam die Arbeit schon einem Sudoku gleich."

Im Computer hat Brigitte Hoffmann nun ein Gesamtkirchenbuch, das bis 1945 Auskunft über Einwohner, Ehen, Kinder, Besitz und Berufe gibt. Sie hat alle Daten zusammengefasst und zum Beispiel Dopplungen herausgefiltert. "Manchmal kam die Arbeit schon einem Sudoku gleich, wenn ich im Ausschlussverfahren rausbekommen wollte, welcher der fünf Meiers wirklich gestorben ist." Bei einem Kirchenbuch hatte es drei Pfarrerwechsel gegeben. Von sehr gut lesbar bis "wie mit dem Besenstiel geschrieben" reichte die Qualität der Handschriften.

"Zirka drei Monate brauchte ich zum Abschreiben eines Kirchenbuches. Beim Datenabgleich habe ich dann immer mal wieder ins Original geschaut. Wenn jemand 1714 gestorben ist, konnte er ja nicht 1780 geboren sein, da gab es dann auch mal einen Zahlendreher", erklärt sie, mit welcher Akribie sie ans Werk ging. Auch bei der Schreibweise von Namen hat sie genau aufgepasst. Sengespeck gab es auch als Sengespeik, -speiken und -spiek. Aus Lück, Lücke und Luecke auch mal nur mit k wurde Lüdke, aus Behrend mit und ohne h im Laufe der Jahrhunderte Bernd(t).

Ausgedruckt hat sie all die Daten nicht. "Dann würde ich wohl im Papier ersticken." Sie schätzt, dass es um die 900 Seiten sind. Aber gesichert hat sie die Daten mehrfach - zu groß wäre der Verlust, wenn ein Computerabsturz all die Mühe zunichte machen würde.

"Früher drehte sich alles um den Besitz", hat sie festgestellt. Ehen wurden von Bauern hauptsächlich geschlossen, um Hoferben zu bekommen, darunter auch zwischen Onkel und Nichten, Cousins und Cousinen. Ein 70-jähriger Ackermann hatte 1790 eine 30 Jahre alte Frau geheiratet. Zwei Monate nach der Trauung wurde das Kind schon geboren. "Davon gab es mehrere Fälle und ich frage mich, ob manchmal der Knecht ausgeholfen hat."

Ob Geburts, Konfirmations-, Heirats- oder Sterberegister - Brigitte Hoffmann hat alles abgeglichen, Daten zu Frauen und Männern verglichen und auch die Paten dazu mit verfasst. Manch Bauer hatte 25 Paten. "Aufgepasst habe ich auch darauf, dass mir die unehelichen Kinder nicht durch die Lappen gehen, vor allem da habe ich die Paten aufgeführt."

Nachvollziehen kann sie durch die Arbeit die Entwicklung der Höfe bis 1930. So weiß sie, dass das Grundstück Dorfstraße 77 schon seit dem Dreißigjährigen Krieg der Familie Block gehört hat - bis heute. Auch über die Berufe der Nitzower Dorfbewohner weiß Brigitte Hoffmann Bescheid. Es gab Schweine-, Pferde- und Kuhhirten, Gemeindehirten, Tagelöhner, Kossäten (kleine Bauern), Bauern, Schiffer, Arbeitsmänner, Mühlen- und mehrere Ziegeleibesitzer, Feldwebel und Musketiere, Krüger/Gastwirte. Frauen waren als Hebamme oder Dienstmagd tätig. Manch einer war in mehreren Berufen tätig, wie der Gastwirt, Bäcker und Kaufmann. Ein anderer entwickelte sich vom Bauernsohn über Kossät zum Gutsbesitzer oder vom Knecht zum Bahnarbeiter.

Der Dorfkrug ist schon lange Zeit in Nitzow ein Gasthaus. Mindestens seit 1854, als Familie Riebe ihn besaß. "Es gab viele Krüger, Hanke, Berndt und Sengespeck zum Beispiel. In der Bahnhofstraße 1 war ein Gasthaus, ebenso in der Dorfstraße 24, wo später der Dorfkonsum war."

"Früher drehte sich bei Eheschließungen oft alles um den Besitz."

Spannend war auch das Konfirmationsregister, in dem der Pfarrer Anmerkungen zu den Kindern machte wie: schwachsinnig durch Verwahrlosung in seiner Jugend; treu und gut, aber von sehr schwachem Geiste; gutmütig und aufmerksam; von schwerem Gemüt, aber immer fleißig; das inhaltsvollste unter den Kindern; gutes Mädchen, aber arme und hochbetagte Eltern oder anständig, gefühlvoll, aber etwas blöd. Verzeichnet ist auch, dass der Küster und Schulmeister 1769 wegen Hurerei und Ehebruch abgesetzt wurde.

Nachvollziehbar ist aufgrund der Aufzeichnungen auch, an welchen Krankheiten die Menschen damals gestorben sind. Zahnkrämpfe, Masern, Pocken, Nervenfieber, Typhus, Schwindsucht, Stickhusten, Ruhr und Jammer sind da verzeichnet, oftmals auch schon bei Kindern. Viele Frauen starben bei der Geburt ihrer Kinder, eine Frau überlebte die Geburt ihrer Vierlinge nicht.

Immer wieder gibt es Interesse von Leuten, mehr aus der Familiengeschichte zu erfahren. Brigitte Hoffmann kann da helfen und bekommt auf diese Weise auch selbst wieder neue Daten zur Dorfgeschichte. So meldeten sich Nachfahren des Lehrers Seiffert, der nicht nur bei Pfarrer Boit keinen leichten Stand hatte, weil er alle Schüler gleich behandelte. Auch Familienzusammenführungen gab es schon.

Das Domarchiv ist an der Ausarbeitung von Brigitte Hoffmann interessiert. Vor wenigen Tagen endete ihre Maßnahme. Nun ist sie erstmal wieder arbeitslos. Gern würde sie weiter auf diesem Gebiet arbeiten. "Ich würde sogar wegziehen, wenn ich dafür eine versicherungspflichtige Arbeit bekäme."

Doch auch für Nitzow gäbe es noch reichlich aufzuarbeiten. Ehrenamtlich macht sie weiter. "Mich würde das Kirchenbuch von Toppel interessieren", sagt sie und erklärt: "Dahlen war nach dem Dreißigjährigen Krieg zerstört. Der Dom baute sechs Häuser und gab sie nebst Garten an sechs Toppeler Familien. Diese mussten neben den Frondiensten für den Dom auch Material für die Deichbefestigung beschaffen und, wenn der Dom hohe Gäste hatte, wie alle zum Dom gehörenden Dörfer die Naturalien dafür liefern. Da die ,Dahlener\' aus Toppel stammten, wurden sie ab 1755 im Kirchenbuch Toppel geführt. Das Dorf hatte seit dieser Zeit ein eigenes Kirchenbuch, vorher wurde es in Havelberg geführt."