Havelberger Pioniere der zweiten Kompanie kehren nach sechs Monaten Dienst in Afghanistan in diesen Tagen zurück Kunduz: "Das ist hier gelebte Kameradschaft"
Ein halbes Jahr lang haben Soldaten des Panzerpionierbataillons 803 Havelberg in Afghanistan ihren ISAF-Dienst geleistet. Wie ist das Leben im Feldlager in Kunduz - auf engstem Raum, immer mit den selben Leuten um sich und mit der Gefahr, beim Einsatz das eigene Leben zu riskieren?
Kunduz/Havelberg l "Drin ist schön", sagt ein Soldat und meint damit das Feldlager der Bundeswehr im Norden Afghanistans in Kunduz. Rund zwei Wochen versehen Pioniere der zweiten Kompanie des Havelberger Bataillons ihren Dienst außerhalb des Feldlagers im Distrikthauptquartier DHQ, sind auf Patrouillen, sorgen für mehr Sicherheit in dem Land am Hindukusch. Und immer lauert dort die Gefahr, von Aufständischen beschossen zu werden oder auf Sprengfallen, den sogenannten IED (Improvised Explosive Devices), zu stoßen. Vorsicht ist das wichtigste Gebot. Wenn\'s gut läuft, sind die Soldaten nach der DHQ-Zeit vier Wochen drin, übernehmen Patrouillen, erledigen Tagesgeschäfte wie Vor- und Nachbereitung und Materialwirtschaft. Und machen viel Sport. In der Fitnesshalle stehen jede Menge Laufbänder und Geräte für Kraftsport. Manch einen sieht man auch seine Laufrunden durchs Feldlager ziehen. Den äußeren Ring nehmend, kommen rund vier Kilometer zusammen. Allerdings war dies in den heißen Monaten bei Temperaturen von mehr als 40 Grad Celsius nur am frühen Morgen machbar. Jetzt, im Winter, wo es teilweise recht kalt wird, ist das besser und der Staub ist nicht so stark.
Langeweile kennen die Soldaten nicht. Die Tage sind gut ausgefüllt. Freitagvormittag ist sogenannter Baseday - ein halber Sonntag zum Ausruhen. Oder zum Erledigen privater Dinge. Etwa das Haareschneiden. Entweder übernehmen Kameraden das oder man geht in die Friseurstube im Feldlager zu Amadullah.
Monatelang hatten sich die Soldaten auf den Einsatz vorbereitet. Reicht das, fühlen sie sich gut vorbereitet? Ja, bestätigen sie. Und doch ist manches anders. "Man wird auf das Schlimmste vorbereitet und dann kommt man hierher und merkt, dass nur wenig passiert", sagt Denny. Manches hätte dennoch besser sein können. Etwa die Ausbildung an den Fahrzeugen und Waffensystemen. "Das Problem ist die Lehrplatzzuweisung. Teilweise haben die Soldaten die Fahrzeuge nur eine Woche gesehen, und es sind hier Waffensysteme im Einsatz, die wir in Deutschland nicht haben", sagt Kompaniechef Matthias. Auch bei den Ersthelfern gab es zu wenig Plätze. Die Kompanie hätte 40 haben müssen, zwei hat sie. Es heißt, "wir schicken die Soldaten bestmöglich in den Einsatz".
"Wir sind Infanteristen mit Spezialkenntnissen. Wir können kämpfen und bauen."
Kompaniechef Matthias
Bei der Ausrüstung sei die Kompanie wenig mit einsatzspezifischem Material bedacht worden. Der Fokus liege eindeutig auf der Infanterie. "Wir haben viel selbst gemacht, am Standort und bei der Ausbildung in Klietz, so dass wir gut vorbereitet waren. Aber so richtig fertig und hundert Prozent einsatzbereit waren wir hier nach zwei Monaten", berichtet der Hauptmann. Durch viel Disziplin, der schnellen Annahme von Dingen und professioneller Arbeit machte sich die Kompanie bald einen guten Ruf und erhielt Aufträge, die nicht nur reine Pionieraufgaben sind. "Wir haben uns bewiesen und gezeigt, dass wir Infanteristen mit Spezialkenntnissen sind. Wir können kämpfen und bauen."
Aus ihrer ständigen Zusammenarbeit mit den afghanischen Streitkräften heraus sehen die Pioniere den Abzug aus Kunduz als zu früh an. Vieles wurde erreicht, vieles liege aber auch noch im Argen. Sind die Anschläge auf die ISAF-Kräfte seltener geworden, so werden jetzt die afghanischen Kräfte von Aufständischen bekämpft. Kein Wunder: Wenn die ANA-Soldaten auf der Ladefläche eines Pickups sitzen, sind sie ein leichtes Ziel. Die Soldaten befürchten, dass mit dem Rückzug der ISAF-Kräfte die aufständischen Gruppen wieder erstarken und die Moral der Bevölkerung zerstört wird. "Die Afghanen sind nicht so geschützt wie wir, das ist etwas, was in der westlichen Welt nicht so wahrgenommen wird." Träfe dies so ein, wäre der Einsatz der internationalen Kräfte "eine deutliche Geldvernichtungsmaschine" gewesen, sagt ein Soldat. Doch besteht die Hoffnung, dass die Bemühungen, afghanische Kräfte auszubilden und zu befähigen, für die Sicherheit im eigenen Land da zu sein, Früchte trägt. Deshalb sehen die Soldaten ihren Einsatz als sinnvoll an.
Westliche Standards kopieren zu wollen, sei nicht der richtige Weg. Eine Grundvoraussetzung, dass die Afghanen irgendwann allein die Verantwortung für ihr Land übernehmen, ist aus Sicht der Soldaten die Bildung der Bevölkerung.
Das eigene Leben riskieren für andere - wie gehen die Soldaten damit um? "Ich erfülle hier meinen Auftrag. Ich sehe das als Berufsrisiko. Der Feuerwehrmann wird auch nicht gefragt, ob er in ein brennendes Haus gehen will, um Menschen zu retten." So wie Sven sehen viele seiner Kameraden ihren Dienst. Wünschen würden sie sich eine reelle Wahrnehmung ihres Einsatzes in Afghanistan in der Heimat. Kein Verständnis haben sie dafür, dass der Innenminister mit einer zivilen Maschine landet, es aber gerade wieder Tote durch IED-Anschläge gegeben hat.
Sechs Monate fern der Heimat, von Familie und Freunden, und immer mit den selben Leuten auf begrenztem Raum zusammen. Wie geht das? "Schön ist der Zusammenhalt. Man lernt sich richtig kennen, das ist hier gelebte Kameradschaft", sagt Matthias. Seine Kameraden bestätigen das. "Das ist im Einsatz was ganz anderes, jeder tritt für die gemeinsame Sache ein. Klar hat jeder Ecken und Kanten, wo Menschen sind, da menschelt es. Aber wir kommen gut miteinander klar. Das sind schon recht coole Typen hier."
Und da gehört auch gemeinsames Feiern dazu. Mit ihrem Bergfest haben die Havelberger für Aufmerksamkeit gesorgt und spätestens seitdem heißt es bei anderen: Lasst uns mal zu den Pionieren gehen, da ist es immer lustig. Auf der Party fürs gesamte Lager gab es Spiele wie Maßkrugstemmen und eine Wette für einen guten Zweck. Es fanden sich zehn Frauen, die einen Sechs-Tonner-Radlader ziehen. Am Ende wurden 650 Euro für das Soldatenhilfswerk gespendet.
Manche haben schon mehrere Einsätze miteinander verbracht, so wie Denny aus Schönhausen oder Christin aus Seehausen. Scherze sind erlaubt, auch mit dem Kompaniechef, berichtet Christian von der "Buckokratie": "Wir können immer mit unserer Meinung zu unserem Chef kommen und gehen mit seiner Meinung."
Denny erzählt von den herzlichen Ritualen, wenn Kameraden rausfahren zum Dienst. Abfahrt ist stets am Ehrenhain. "Die Gefährdung ist immer da." Paul berichtet von Gebeten, die er jedes Mal spricht, obwohl "ich sonst nie was mit Gott zu tun gehabt habe". Er hat es erlebt, in eine gefährliche Situation zu geraten. Bei einer Patrouille zu Fuß mit afghanischen Kräften ging in der Nähe ein Sprengsatz hoch, Schüsse fielen. "Wir wurden sehr gut von unserem Spieß aufgefangen. Unser Kompaniechef hat uns noch im DHQ zusammengeholt und wir haben das Geschehene besprochen." Überhaupt, miteinander zu sprechen, ist wichtig. Abends sitzen die Kameraden zusammen beim Bier, tauschen sich aus über Erlebtes, über Erfreuliches oder über Probleme. Oder schalten einfach mal ab bei Spielen oder beim Fernsehen. Es gibt noch weitere Betreuungseinrichtungen, so wie das Lummerland oder die Lili-Bar. Die Kirche lädt ins Kino ein. Zuletzt spielte zu Silvester eine Band im Feldlager.
Die Soldaten sagen über ihren Dienst: "Die Bedrohung ist immer da. Es ist nichts normales, sich Helm, Schutzbrille und Weste anzuziehen und das Sturmgewehr durchzuladen", erklärt Paul. "Mit der Zeit stumpft man etwas ab, aber die Anspannung bleibt. Das ist auch gut, dadurch bleibt man wach." Und Matthias ergänzt: "Wir sind immer vorsichtig. Was wir ausschließen können, schließen wir auch aus."