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Naturschutz Viele Fragen zu Schutzgebieten

Was bedeutet die Festlegung der Natura 2000 Schutzgebiete und welche Konsequenzen hat sie? Fragen, die in Havelberg erörtert wurden.

Von Andrea Schröder 18.10.2017, 01:01

Havelberg l Voll war es am Montagabend im Festsaal des Havelberger Rathauses. Um die hundert Einwohner der Einheitsgemeinde und darüber hinaus waren der Einladung der Stadtverwaltung zum Informationsabend zu Natura 2000 gefolgt. Darunter Vertreter von Kommunen und Verbänden, Landwirte, Angler, Touristiker. Viele befürchten mit der Festlegung der Schutzgebiete weitere Einschränkungen über die ohnehin bereits bestehenden Landschafts- und Naturschutzgebiete hinaus.

Noch bis zum 4. Dezember läuft das öffentliche Beteiligungsverfahren zum landesweit größten Naturschutzprojekt Natura 2000. Bürger, Kommunen, Bewirtschafter, Verbände und andere Betroffene haben hier die Möglichkeit, Vorschläge, Anregungen und Einwände einzureichen. Das Landesverwaltungsamt in Halle hat am 4. Oktober das gut 1000 Seiten umfassende Werk zur Festsetzung der Natura 2000 Gebiete veröffentlicht. Es in seiner Gesamtheit zu sichten, ist schwierig. Doch sind die Unterlagen nach Bereichen unterteilt. „Wir konzentrieren uns auf unsere Region. Das sollte sich jeder ganz genau angucken, um zu sehen, was für uns wichtig ist“, riet Havelbergs Bürgermeister Bernd Poloski zur Begrüßung.

Zugleich bat er alle Betroffenen aus Landwirtschaft, Forst, Berufsfischerei, Angel- und weiteren Fachverbänden ihre Anmerkungen auch der Hansestadt zu melden, um sie in eine Gesamtaufstellung einfließen zu lassen. „Ich ermutige Sie alle, sich an dem Prozess zu beteiligen. Wenn die Landesverordnung erst verabschiedet ist, ist es schwierig, etwas zu ändern.“

Was es mit dem größten naturschutzrechtlichen Verfahren Sachsen-Anhalts auf sich hat, erläuterte der Abteilungsleiter für Umwelt und Naturschutz Gert Zender und versicherte, dass dem Landesverwaltungsamt daran gelegen ist, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Bereits im Vorfeld des Beteiligungsverfahrens hat es zahlreiche Gespräche etwa mit Landwirten sowie Fischern und Anglern gegeben, um ihre Bedenken kennenzulernen. Auch mit dem Landrat wurde bereits gesprochen. „Wir werden nicht von allen Schulterklopfen bekommen. Doch wollen wir möglichst alle Sensibilitäten in den Entscheidungsprozess mit einbringen.“

Das europaweite Schutzgebietsnetz Natura 2000 wurde vor mehr als 20 Jahren ins Leben gerufen und dient dem besonderen Schutz von Tieren und Pflanzen. Grundlage dafür sind die bereits bestehenden Vogelschutz- und FFH-(Fauna, Flora, Habitat)-Richtlinien der Europäischen Union. Um Havelberg befinden sich zwei Vogelschutz- und fünf FFH-Gebiete, die nach den EU-Richtlinien Natura 2000 neu festgesetzt werden. Die Europäischen Vogelschutzgebiete sind die Untere Havel und der Schollener See sowie die Elbaue Jerichow. Die FFH-Gebiete sind die Elbaue Werben und Alte Elbe Kannenberg, die Havel nördlich von Havelberg, die Untere Havel und der Schollener See, das Jederitzer Holz östlich von Havelberg sowie der Kamernsche See und der Trübengraben.

Torsten Pietsch, Referent in der Oberen Naturschutzbehörde, erklärte, wie die Unterlagen zu Natura 2000 aufgeteilt sind. Die Verordnung an sich macht den Hauptteil aus. Detaillierte gebietsbezogene Informationen befinden sich in den Anlagen. Hinzu kommt umfassendes Kartenmaterial. Darin sind auch die Schutzzonen mit sensiblen Uferbereichen ausgewiesen.

Für diese gelten besondere Regeln. So ist es dort grundsätzlich oder in bestimmten Zeiten verboten, zu baden, zu zelten, zu campieren oder offenes Feuer zu entfachen. Geregelt werden auch das Angeln und das Bootfahren. Davon sind die Elbe und die Havel als Bundeswasserstraßen allerdings ausgenommen. Einschränkungen gibt es für Nebengewässer. Wichtig zu wissen: Die Verordnung lässt Ausnahmen zu, weshalb es wichtig ist, sich die gebietsbezogenen Anlagen genau anzuschauen, um entsprechende Einwände vornehmen zu können.

Das Hauptaugenmerk lag am Montagabend auf dem Tourismus. So ging es bei Fragen aus dem Publikum etwa um Badestellen, Wegenutzungen und Angelrechte. Konkret fragte zum Beispiel Herbert Dierkes nach der Badestelle in Kuhlhausen. „Wir haben versucht, die Schutzzonen so zu legen, dass Badestellen außen vor sind“, antwortete Torsten Pietsch. „Sollte es im Beteiligungsverfahren Hinweise dazu geben, können wir noch Veränderungen vornehmen.“

Generell haben bestehende touristische und sportliche Anlagen Bestandsschutz und können auch instand gesetzt beziehungsweise erweitert werden. Das gilt auch für bestehende öffentliche Straßen, Wege und Plätze. Sind hier Instandsetzungen erforderlich, sollte man jedoch schauen, ob diese Arbeiten während der Brutzeit der Vögel erfolgen müssen, sagte der Referent. „Wir schließen mit der Verordnung keine baulichen Maßnahmen aus.“ Auch wer sein Wohnhaus in einem Vogelschutzgebiet hat, muss keine weiteren Einschränkungen befürchten.

In Bezug auf Traditionsveranstaltungen machten die Vertreter des Landesverwaltungsamtes deutlich, dass diese weiterhin stattfinden dürfen. Das betrifft zum Beispiel in Havelberg den Pferdemarkt im Mühlenholz und in Nitzow Osterfeuer und Strandfest am Havelufer. Die Kommunen müssten dafür lediglich eine Genehmigung beantragen, die dann für mehrere Jahre gelten soll.

Seine Bedenken meldete Herbert Dierkes in Bezug auf Maßnahmen aus dem Naturschutzgroßprojekt Havelrenaturierung an. Hier würden etwa durch das Anlegen von Röhricht neue Bereiche geschaffen, die nach den Vorgaben der Verordnung nicht mehr betreten werden dürfen. „Der Nabu schafft dadurch Fälle, die zu Einschnitten für die Bürger führen. Das ist eine Entmündigung der Bürger und Kommunen.“ Zudem würde mit der Renaturierung auch eine Veränderung der Tierarten einhergehen. Ein Thema, das an dem Abend nicht weiter erörtert werden sollte. Wie auch nicht die Erfüllung der Vorgaben aus den Stauzielen und die Polderflutung zum Hochwasserschutz und die noch immer fehlende Regulierung des Schadensausgleiches.

Themen, die jedoch von Landwirten angesprochen wurden. Denn sie befürchten weitere Einschränkungen, ohne dafür entschädigt zu werden. „Wir sollen dem Land gegenüber sozialpflichtig sein, aber hat das Land nicht auch gegenüber den Landwirten eine Sozialpflicht?“, lautete eine Frage. Unmut wurde deutlich aufgrund der Erfahrungen im Umgang mit den Havelbauern in den vergangenen Jahren. Dabei sind es doch die Landwirte, die seit Jahrzehnten im Einklang mit der Natur, zum Schutz von Flora und Fauna, wirtschaften, machten Landwirte wie zum Beispiel Hartmut Fritze, Marlies Schnell und Hubert Aselmeyer deutlich.

Havelbergs Bürgermeister fasste den Abend nach zweieinhalb Stunden Information und Diskussion so zusammen: „Auch wenn mit der neuen Verordnung nicht alles verboten wird, so besteht dennoch das Gefühl, dass wir wieder Dinge aufgebürdet bekommen, obwohl manches wie zum Beispiel die Polderflutung immer noch nicht geregelt ist. Hier ist meine Meinung weiterhin, dass die Landwirte eine Entschädigung nach klaren Regeln erhalten müssen, wenn durch eine staatliche Entscheidung ihre Flächen geflutet werden.“

An das Publikum richtete er die Bitte, alle Hinweise und Einwände klar zu formulieren. Den Vertretern des Landesverwaltungsamtes gab er mit auf den Weg, auch der Landespolitik zu vermitteln, dass verbindliche Regelungen geschaffen werden müssen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass „fast täglich eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Das macht die Menschen wütend. Gucken Sie genau, welche Einschränkungen tatsächlich nötig sind und denken Sie an den Ausgleich.“

Die Befürchtungen vieler Menschen aus der Region brachte Renate Lewerken zum Ausdruck: „Ich bin seit 1976 hier und war von Anfang an beeindruckt, wie Eltern mit ihren Kindern auf der Havel entlang schippern, mit ihnen dort zelten, ein Feuer entfachen. Sie erleben die Natur und meines Wissens nach gab es nie große Vorkommnisse. Ich würde es extrem traurig finden, wenn solche Erlebnisse künftig nur noch mit Naturrangern möglich wären. Ich möchte meinen demnächst sechs Enkeln auch künftig die Havel zeigen können, mit ihnen Boot fahren und angeln dürfen, damit sie die Natur erleben.“

Die Online-Beteiligung ist möglich unter https://www.online-beteiligung.de/natura-lsa/