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Zwei Gardeleger Ärzte vor Gericht Patient stirbt an unerkannter Infektion

Mit starken Schulterschmerzen ging er zum Orthopäden, drei Wochen später
starb ein 57-Jähriger an Organversagen. Ursache: eine nicht erkannte
Infektion im Schultergelenk. Deswegen standen zwei Gardeleger Ärzte vor
Gericht.

Von Ilka Marten 19.11.2013, 02:11

Gardelegen. Wegen fahrlässiger Tötung mussten sich gestern zwei Gardeleger Ärzte, ein Orthopäde (45) und ein Radiologe (53), vor dem Schöffengericht Gardelegen verantworten. Während es das Verfahren gegen den Radiologen gegen eine Geldauflage von 1200 Euro einstellte, geht der Prozess gegen den Orthopäden am Mittwoch kommender Woche weiter.

Die Ärzte sind angeklagt, im Oktober 2008 durch Fahrlässigkeit den Tod eines 57-jährigen Patienten aus dem Raum Salzwedel verursacht zu haben. Laut Oberstaatsanwältin Pamela Bornemann hätte der Orthopäde den Verdacht auf eine Infektion des Schultergelenkes stellen können.

Die Vorgeschichte: Am 16. Oktober 2008 kam der 57-Jährige in die Praxis des Gardeleger Orthopäden. "Er hatte starke Schmerzen in der Schulter, im Bereich der Halswirbelsäule und Bewegungseinschränkungen", berichtet der Arzt aus seinen Patientenakten. 13 Tage zuvor hatte der Mann von seinem Hausarzt eine Prednisolon-Injektion in das Schultergelenk erhalten. Eine Infektion zog der Orthopäde nach der ersten Untersuchung nicht in Betracht. Für den zuständigen Gutachter ein Knackpunkt: "Ich kann nicht nachvollziehen, dass er in so einer Situation nicht daran gedacht hat." Er hätte es ausschließen müssen, gerade im Wissen um die Spritze: "Die Frage einer Infektion ist die erste, die ausgeschlossen werden muss." Dass der Mediziner von der Injektion wusste, war zweifelsfrei, es war auf dem Anamnesebogen des Patienten in der Praxis notiert worden.

"Infektion mit völlig harmlosen Bakterien"

Die Infektion, "mit völlig harmlosen Bakterien", wie der Gutachter betont, wurde dem 57-jährigen Patienten zum Verhängnis. Nach einer Operation in der Uniklinik Magdeburg am 25. Oktober an der inzwischen vereiterten Schulter, der Verlegung auf die Intensivstation nach Schönebeck - in Magdeburg waren keine Betten frei - und einer weiteren Verlegung nach Halle ins Bergmanntrostklinikum starb der Mann dort am 5. November an multiplem Organversagen, ausgelöst durch eine Sepsis - einen Monat nach der Spritze beim Hausarzt und drei Wochen nach dem Termin beim Orthopäden.

Dieser erläutert nun ausführlich seine Befunde und die Diagnose. Nach der körperlichen und einer Ultraschalluntersuchung habe er den Mann zum Röntgen und zum MRT geschickt. Richter Axel Bormann fragt: "Er hat sofort einen MRT-Termin bekommen?" Der Orthopäde: "Er war nicht der typische Patient mit einer Rotatorenmanschettenruptur." Nur eine Stunde nach den ersten Untersuchungen beim Orthopäden hatte er einen MRT-Termin, noch in der Mittagspause.

Handschriftlich gibt der zuständige Radiologe dem Patienten einen Kurzbrief für den Orthopäden mit, darin ist von einer "groben Einblutung" die Rede. Ein Umstand, den der zweite Gutachter kritisiert. Er wirft dem Radiologen vor, der ersten Diagnose des Orthopäden einfach gefolgt zu sein und die MRT-Bilder nicht unvoreingenommen befundet zu haben. Problem sei, "dass man häufig sieht, wonach man schaut", ergänzt er.

Der andere Gutachter richtet sich an den Radiologen: "Sie hatten keine Erklärung für den Erguss dieses Ausmaßes? Das ist doch nicht alltäglich." Der Mediziner dazu: "Ich bin von Verletzungsgeschehen ausgegangen." Von einer Infektion sei nicht die Rede gewesen, von der Injektion habe er nichts gewusst. Die Anklage hakt nach: "Erfolgt eine Befundung ohne Anamnese?" Antwort: "Dafür haben wir überhaupt keine Zeit." Bei ambulanten Patienten werde die Fragestellung beantwortet, die auf dem Überweisungsschein stehe. Ob es danach ein Arzt-Patienten-Gespräch gebe, hänge meist davon ab, ob der Patient es wünsche. Er allein habe an dem Tag 27 MRT- und zahlreiche weitere radiologische Untersuchungen ausgewertet, denn der Oberarzt sei im Urlaub gewesen.

Mit dem Kurzbefund geht der Patient zurück zum Orthopäden. Der lässt über seine Assistentin in der orthopädischen Klinik in Stendal anfragen, ob die Ruptur operiert werden könne. In Gardelegen ist dies zu der Zeit nicht möglich.

Er entlässt seinen Patienten im Glauben, dass der sofort nach Stendal fährt. "Haben Sie ihn auf die Dringlichkeit hingewiesen?", fragt Bormann. Der Orthopäde bejaht. Für den Gutachter ist unverständlich, warum dieser nicht am Tag der MRT-Untersuchung eine Blutanalyse anordnete. Doch der Arzt erklärt, dass er das Ergebnis erst am Folgetag erhalten hätte - dies sei bis heute so. Weil in einer Klinik grundsätzlich Blut untersucht werde, sei er davon ausgegangen, dass das in Stendal passiere. Er ergänzt: "Ich habe keinen Einfluss, was der Patient macht."

Ins Krankenhaus nach Stendal fuhr der Mann jedoch an diesem Tag nicht. Eine Blutuntersuchung am 16. Oktober hätte ihm laut Gutachter vermutlich das Leben gerettet: Der Entzündungswert, der überlicherweise zwischen 0 und 5 liege, habe am 25. Oktober in Magdeburg 356 betragen. Die Infektion hatte sich auf Arm und Brustkorb ausgeweitet.

Bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung könnte das Schöffengericht auch ein Berufsverbot gegen den Orthopäden erlassen. Die Entscheidung fällt am Mittwoch, 27. November. Gegen den Hausarzt, der die Spritze gesetzt hat, wird gesondert ermittelt.