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Pogromgedenken Mit Berichten von Zeitzeugen

Das Gedenken zur sogenannten Pogromnacht findet in diesem Jahr in Havelberg virtuell im Internet statt.

Von Andrea Schröder 09.11.2020, 00:01

Havelberg l Weil ein Treffen vieler Menschen coronabedingt nicht möglich ist, verlegt die Hansestadt Havelberg mit der Kirchengemeinde und dem Prignitz-Museum das Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938 ins Internet. Es ist ein Video entstanden, das heute zu der Zeit, wenn sonst seit über 30 Jahren die Kranzniederlegung an der Gedenktafel für die frühere Synagoge am Markt stattfindet, freigeschaltet wird. Bürgermeister Bernd Poloski (parteilos) und Stadtratsvorsitzender Wolfgang Schürmann (CDU) werden um 16.30 Uhr dennoch den Kranz zum Gedenken niederlegen.

Für das Video hat Marina Heinrich, Sachgebietsleiterin Kultur und Tourismus, verschiedene Sequenzen aufgenommen. So die Gedenkrede des Bürgermeisters. In dieser erinnert er an die schrecklichen Geschehnisse vor 82 Jahren, die „unsägliches Leid über viele Menschen brachten und der Anfang waren für eine systematische Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung jüdischer Männer, Frauen und Kinder.“ In sein Gedenken bezieht der Bürgermeister alle Menschen ein, die während der Nazi-Diktatur verfolgt und um ihr Leben gebracht worden sind. „Vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrungen und der offensichtlichen Zunahme von antisemitischen Tendenzen, von rechter Gewalt und religiösem Fanatismus rufen wir erneut nachdrücklich zu Mitmenschlichkeit, Gemeinschaftssinn und Gewaltverzicht auf.“

Für die musikalische Umrahmung der virtuellen Gedenkfeier haben Domkantor Matthias Bensch sowie Judith Tetzlaff und Katrin Rauls gesorgt. Die Gymnasiastinnen Soraya Damer und Antonia Lösch interpretieren die israelische Nationalhymne „Hatikvah“ auf Saxophon. Die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates Sabine Ruß spricht das Friedensgebet von Franz von Assisi. Die Leiterin des Prignitz-Museums Antje Reichel, die sich seit vielen Jahren mit der jüdischen Geschichte in Havelberg befasst, liest aus dem Brief von Benno Stein über den 9. November 1938. Kirchenratsmitglied Ralf Dülfer gibt Erinnerungen des Oberschülers Rudolf Bentz wieder.

Der damals 17-Jährige berichtet, dass sich bereits am Nachmittag des 9. November viele Menschen vor dem Rathaus versammelt hatten, die sich später, aufgehetzt durch Nazi-Führer und ausgestattet mit Plakaten, mit judenfeindlichen Liedern und Sprechchören zu einem Zug durch die Stadt aufmachten. Dabei kam es in der Fischer- und in der Sandauer Straße zu Ausschreitungen. „Der Demonstrationszug zog grölend vom Markt. Bei einem alten Juden, der Glaser war, und bei einem anderen älteren jüdischen Ehepaar in der Fischerstraße wurde Halt kommandiert. Der SA-Führer und seine Kumpane, darunter ein Offizier der Wehrmacht in Zivil, stürzten auf das Haus los, hoben die Fensterläden aus, zertrümmerten die Fensterscheiben, zerbrachen die Fensterkreuze, zerrissen die Gardinen, drangen in das Haus ein und warfen Bücher und Betten auf die Straße.“

In Havelberg lebten 1938 noch zehn jüdische Einwohner in der Stadt und rund 20 Jugendliche im Hachschara-Lager nahe dem Julianenhof. Die jüdische Gemeinde ist seit 1334 nachgewiesen.