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Sommerserie Simeon Simeonov: Ich wurde gut aufgenommen

Sie leben hier - doch ihre Wiege steht oft Hunderte Kilometer entfernt. Heute: Simeon Simeonov aus Neukamern kam als Musiker aus Bulgarien.

Von Ingo Freihorst 16.08.2019, 01:01

Neukamern l Simeon hieß im 10. Jahrhundert der Zar, dessen Regierungszeit (893 bis 927) später als das „goldene Zeitalter der bulgarischen Kultur“ bezeichnet werden sollte. Und Simeon II. war der ehemalige und letzte bulgarische Zar der Neuzeit, der erst 2018 wieder seine Besitzungen von dem osteuropäischen Land zurück haben wollte.

Der im Februar 1950 in der Hauptstadt Sofia geborene Simeon Simeonov wohnt hingegen seit einigen Jahrzehnten weit entfernt, in Deutschland. Hier hat er mit seiner Liebe zugleich seine neue Heimat gefunden.

Ganz zufällig entstand die Hinwendung zu Deutschland nicht, schon in der Kindheit wurde er davon geprägt: Sein Vater, Architekt und Diplom-Bauingenieur, hatte in Deutschland studiert und die Mutter war Germanistin. So wurde er denn auch gleich an eine deutsche Vorschule geschickt. In Bulgarien ging damals die Grundschule bis zur 8. Klasse, danach legte Simeon sein Abitur ab. Das hatte er im Alter von 14 Jahren in der Tasche, es war übrigens der letzte Jahrgang mit diesem System.

Vier Jahre besuchte er daraufhin die Spezialschule für Musik mit den Schwerpunkten Posaune und Klavier – letzteres Instrument spielte er ab dem vierten Lebensjahr. Die musische Ader hat er vom Opa geerbt, er war Leiter eines Kirchenchores.

Nach der Spezialschule studierte er Musik – allerdings mit einer zweijährigen Unterbrechung. Denn über die Künstleragentur wurde er in die DDR vermittelt, um in einer Band vor Urlaubern aufzuspielen. Auftrittsorte waren unter anderem die Ostseebäder Kühlungsborn und Prerow.

In Prerow hatte der geschäftstüchtige Leiter der PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) „Foto-Blitz“ aus Havelberg ein saisonales Geschäft, in welches in der Sommerzeit immer die jungen Angestellten delegiert wurden. Im arg heißen Sommer 1974 war hier auch eine junge Frau aus Neukamern tätig, Sabine Ernst. Auf der Straße verabredete sich Simeon mit ihr zum gemeinsamen Strandbesuch – ein Jahr später folgte die Verlobung, im Februar des Jahres 1976 dann die Hochzeit.

Dann jedoch musste der Bulgare erst einmal sein Studium beenden. Im kalten Winter 1978 zog er nach Neukamern. „Und jetzt wohne ich schon 41 Jahre hier!“, blickt er zurück.

Als studierter Musiker wurde er damals in der Kreisstadt Havelberg mit offenen Armen empfangen. Von Januar bis August 1979 war er im Kreiskabinett für Kulturarbeit tätig, musste dabei unter anderem Diskjockeys, Chöre und Bands einstufen. Die Erfüllung war das für ihn als Vollblutmusiker jedoch nicht.

Im September 1979 – also vor fast genau 40 Jahren – gründete er das Musikunterrichts- kabinett und baute es nach und nach auf. Später ging daraus die Kreismusikschule „Ferdinand Vogel“ hervor, der er als Leiter 36 Jahre lang vorstand. Tausende Musikschüler lernten bei ihm im Laufe der Zeit das Spiel vor allem auf Tasteninstrumenten.

Etwas unterscheidet die Bulgaren von den Deutschen: Sie sind sehr gastfreundlich und nehmen unheimlich schnell Kontakt zu Fremden auf. Seine deutsche Frau hatte bei ihren ersten Aufenthalten dort Schwierigkeiten, sich daran zu gewöhnen. „Aber auch ich wurde in Neukamern gleich gut aufgenommen – so wie meine Frau in Bulgarien“, blickte Simeon Simeonov zurück.

Einmal, gleich zu Beginn, gab es aber auch etwas Neid unter den Neukamernschen. Denn schon nach einem Jahr bekam der Bulgare einen Trabi. Also ein Fahrzeug, auf das der DDR-Normalbürger mehr als zehn Jahre warten musste. Doch musste der Musik- pädagoge im ganzen damaligen Kreis Havelberg zu seinen Musikschülern fahren, weshalb er das Auto zwar privat bekam, vor allem aber für seine Arbeit benötigte.

In der Wendezeit holte er sich personelle Verstärkung für die Musikschule aus der alten Heimat nach Havelberg: Seine Nichte Daniela Vogt ist Musiklehrerin. Und auch sein Nachfolger in der Kreismusikschule ist wieder ein Bulgare. Die Musik muss diesem Volk wohl im Blute liegen.

1997 wurde Simeon Simeonov eingebürgert. In der DDR tat man sich immer schwer mit der Schreibweise seines Namens, normalerweise stand bei russischen Namen immer ein „w“ wie bei Gorbatschow am Ende. Auch bei seinen beiden Söhnen musste deshalb so mancher Strauß ausgefochten werden – zum Beispiel schon bei der Entbindung.

In der evangelischen Dorfkirche spielte Simeon Simeonov auch an der Orgel. Seine Eltern waren von ihrer Konfession her griechisch-orthodoxe Christen, also streng religiös. Dennoch besuchte seine Mutter Vera lieber Gottesdienste in evangelischen Kirchen – hier konnte man wenigstens sitzen. Seine Schwester bekam den Namen Blagovesta, was „frohe Botschaft“ bedeutet.

Nun ist Simeon Simeonov Rentner – und hat dennoch wenig Freizeit. Weil ausgebildete Musiker rar sind in der Region, unterrichtet er an der Musikschule dienstags noch immer zwei Schüler. Am Montagabend übt er mit den Bläsern der Jägerschaft Havelberg in Klietz und am Mittwoch fährt er ins Bürgerzentrum nach Schönhausen, wo er seit letztem Jahr den gemischten Chor leitet.

Bis nach der Wende leitete er auch das Jugendblasorchester in Havelberg und schaffte sich extra dazu einen Kleinbus an. Der Musiker ist Heavy-Metal-Fan, sämtliche Konzerte in Wacken verfolgte er kürzlich mit seiner Frau im Livestream.

Simeon Simeonov engagierte sich oft ehrenamtlich in seinem Heimatort. So hat er hier einst ebenfalls Männer- und Frauenchor geleitet. Im Kamernschen Gemeinderat war er von 2005 bis 2010 als CDU-Mitglied vertreten. Und: Er war mit dabei, als vor 33 Jahren der Kamernsche Karnevalklub KKK aus der Taufe gehoben wurde und saß viele Jahre mit im Elferrat. Sogar Büttenreden hat er geschrieben.

Eigentlich sollte er damals gar nicht in der DDR musizieren, sondern in Ägypten. Doch war kurz vor dem Engagement ein bewaffneter Konflikt mit Israel ausgebrochen – weshalb die Gruppe an die Ostsee umgelenkt wurde. In Bulgarien würde man dazu wahrscheinlich dieses Sprichwort bemühen: „Der Mensch vermutet, Gott verfügt...“