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Arzt-Ruhestand Ein Ständchen zum Abschied

Mit einem musikalischen Ständchen verabschiedeten Mitarbeiter und Freunde die Beetzendorfer Ärztin Christel Rosenbaum.

Von Anke Pelczarski 03.03.2019, 03:00

Beetzendorf l „Wahnsinn. Wahnsinn. Ich bin total sprachlos“: Christel Rosenbaum ist sehr berührt, als sie ihre Haustür öffnet. Auf der Straße spielen die Männer und Frauen des Musikzuges der Freiwilligen Feuerwehr Beetzendorf zu Herzen gehende Blasmusik. Das ist ein besonderes Dankeschön für die 61-jährige Allgemeinmedizinerin, die seit gut 30 Jahren für die Patienten im Ort und darüber hinaus im Einsatz ist. Mitarbeiter, die die Überraschung „eingerührt“ haben, Freunde und Wegbegleiter erhellen mit Wunderkerzen den noch dunklen Morgen, freuen sich, dass ihr „Coup“ gelungen ist.

Die Musik geht in die Beine. Christel Rosenbaum greift sich ihren Mann Mario und tanzt mit ihm auf der Einfahrt. „Das ist das schönste Geschenk meines Lebens“, bedankt sie sich gerührt, als die Musik verklungen ist. „Haben wir gern gemacht“, sagt der Kapellen-Chef Dietmar Sommer, wünscht einen schönen Tag und verabschiedet sich mit den Worten: „Wir müssen zur Arbeit.“ Doch zuvor geht es zur Arztpraxis an den Steinweg, zum zweiten Teil der Überraschung...

„Mein Mann ist schon seit einigen Monaten zu Hause. Wir möchten die gemeinsame Zeit noch etwas genießen und unsere fünf Enkelkinder auf ihrem Weg begleiten“, begründet Christel Rosenbaum ihren Abschied aus dem Berufsalltag.

„Glückliche Fügungen“ hätten ihr Leben bestimmt, sagt die aus Jeggeleben Stammende („,Feine Sache‘ war mein zweites Zuhause. Die Blasmusik dort weckte frühzeitig mein Interesse.“). Nach sechs Jahren Medizinstudium in Magdeburg und zwei Jahren Arbeit in der Kommunalhygiene (in dieser Zeit schrieb sie ihre Doktorarbeit) arbeitete sie als Allgemeinmedizinerin in einer Magdeburger Poliklinik. Ihr sehnlichster Wunsch: zurück in die Altmark. Doch auf zwei Stellen kamen 40 Bewerber. Kurz vor Ende eines Urlaubs in Waren/Müritz lernte sie eine Frau kennen, die im Gesundheitswesen der Region tätig war und den Kontakt zu Dr. Ulrich Roth herstellte, der damals in Beetzendorf praktizierte. „An einem Freitag habe ich ihn angerufen. Am Tag darauf haben wir uns getroffen und Erdbeertorte gegessen“, erzählt Christel Rosenbaum. Aus dem geplanten Einsatz in Jübar sei der Arbeitsort Beetzendorf geworden – Dr. Roth war zum Kreisarzt berufen worden.

„Am 1. April 1987 bin ich her gekommen, habe die Urlaubsvertretung übernommen und meine Facharzt-Ausbildung zu Ende gemacht. Am 1. November 1988 habe ich die Leitung des damaligen Ambulatoriums übernommen“, erinnert sich die Ärztin.

Nach der Wende habe sie weitergemacht, „mit allen Wahnsinnsänderungen“: „Das war eine krasse Zeit.“ Täglich habe sie bis zu 14 Stunden gearbeitet. 1993 kam der Schock: Sie erhielt die Diagnose Krebs. „Die eigene Erkrankung hat mich aber auch weiter gebracht. Ich habe viel nachgedacht, viele neue Begegnungen gehabt und begonnen, mich intensiv mit der Ganzheitsmedizin zu beschäftigen“, beschreibt Christel Rosenbaum. In dem Bereich habe sie sich weitergebildet. Denn sie hatte erkannt: Heilung sei möglich, wenn der ganze Mensch, auch seine Seele, mit einbezogen werde. Man müsse die Schwelle erkennen, wann das eigene System überfordert sei. „Das Wichtigste im Leben sind Zufriedenheit und Zuversicht im hohen Maß. Man sollte kritikfähig sein und auch mal ,Nein‘ sagen“, beschreibt sie Eigenschaften, die dazu beitragen, mit offenem Herzen durchs Leben zu gehen und dabei gesund zu bleiben.

Die Beetzendorfer Allgemeinmedizinerin hat ihr eigenes Leben verändert und Dr. med. Karin Haase als Partnerin für die Gemeinschaftspraxis gewinnen können. „Sie hat mich während meiner Krankheit vertreten, ist im Oktober 1993 mit eingestiegen“, sagt Christel Rosenbaum und bezeichnet diese Entscheidung als eine „weitere glückliche Fügung“. Jeder habe „spezielle therapeutische Hobbys. Wir haben uns gut ergänzt.“ Die Praxis sei seither nur an einem einzigen Tag geschlossen gewesen. „Da waren wir zum Ärztestreik in Berlin. Aber das Arbeiten wäre besser gewesen“, urteilt sie heute.

Hausärztin zu sein, das hat Christel Rosenbaum keinen Tag bereut. „Ich bin unseren Schwestern sehr dankbar. Wir haben ein tolles stabiles Team, auf das wir uns immer verlassen konnten“, bedankt sie sich. Und auch den Patienten – derzeit etwa 2400 im Quartal – gelte ein Dankeschön für ihr Vertrauen.

„Als ich kam, habe ich hier die Mütterberatung gemacht. Wenn jetzt die damals angeguckten Babys mit den eigenen Kindern kommen, ist das ein schönes Gefühl“, beschreibt sie. Sie sei verwurzelt in der Region. Da schmerzt es schon, wenn ein Mensch, den sie viele Jahre medizinisch begleitet habe, gehen müsse. Das sei fast wie jemand aus der Familie, vergleicht sie. Manchmal habe ihr der „siebte Sinn“ geholfen, eine Erkrankung zu erkennen, von der der Patient noch nichts geahnt habe. „Das war eine Herausforderung“, gesteht sie und erzählt auch von der Ohnmacht, dass sie in zwei Fällen zuschauen musste, als Einwohner plötzlich verstorben seien. Die Frage, ob sie sie vielleicht noch hätte retten können, wenn etwas mehr Zeit gewesen wäre, bleibt unbeantwortet.

Zu begreifen, wie es ohne Arbeit ist, da wird Christel Rosenbaum sicher ein paar Tage brauchen. Aber eins weiß sie schon genau: Mitte März fliegt sie nach Portugal. Sie will den Jakobsweg gehen. Allein. „Ich mag es auch mal gern einsam“, sagt sie.

Doch ohne ihren Mann Mario, Tochter Steffi, Pflegetochter Gabi und die fünf Enkel würde ihr etwas fehlen. „Mit den Kleinen in die Natur gehen, Fahrrad fahren, unter freiem Himmel picknicken, Schafe füttern, singen und Kinder-Fragen beantworten, darauf freue ich mich sehr“, erzählt Christel Rosenbaum. Und auch ihren Hobbys – Wandern, Musik, Tanzen und Natur – wolle sie intensiver nachgehen. Da ist das Ständchen des Musikzuges genau die richtige Überraschung für die 61-Jährige gewesen. Die Praxis bleibt übrigens weiter geöffnet: Karin Haase führt sie fort.