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Menschen im ehemaligen Grenzgebiet über den Tag der Deutschen Einheit Erinnern mit junger Normalität

Mit dem Tag der Deutschen Einheit wird ein einzigartiger Tag in der
deutschen Geschichte gefeiert: Die Menschen in der ehemaligen DDR haben
am 9. November 1989 friedlich Grenzen überwunden, deren Hürden für die
Weltpolitik als unüberwindlich galten. Was ist geblieben?

Von Harald Schulz 02.10.2013, 03:08

Klötze l Dieser Tag ist Kraft des deutschen Volkes der einzige gesetzliche Feiertag, der nicht Ländergesetzen unterworfen ist. Und doch ist der Tag der Deutschen Einheit ein Feiertag, der wie kein anderer weltlicher Gedenktag die Gedanken und Herzen der Menschen in Ost wie West berührt. Doch Ossi und Wessi sind seit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung hüben wie drüben weiterhin Reizwörter, die auch knapp 24 Jahre nach dem Berliner Mauerfall immer noch menschliche Schwächen auslösen, für Aktionismus bis hin zu Gewaltbereitschaft sorgen.

Die Volksstimme war unterwegs und fragte hier und dort bei Menschen aus den ehemaligen Grenzdörfern und in Klötze nach, welche Bedeutung dieser geschichtsträchtige Gedenktag für sie heute hat.

"Der Tag der Deutschen Einheit, der muss sein", ist Inge Franz aus Klötze überzeugt. Was die seit 47 Jahren in Lohn und Brot stehende Frau an der Einheit stört, ist die Bürokratie. Die nur noch in Teilzeit arbeitende Klötzerin renne sich die Hacken ab, um entsprechende Nachweise für ihre Erkrankung und eine mögliche Frührente zu erhalten. "Das war zu DDR-Zeiten anders. Da wurde niemand allein gelassen", trauert Inge Franz den Zeiten nach. Doch ein Zurück, dafür reiche dieser Bürokratismus dann doch nicht aus.

"Die Unterschiede der Lohn- und Rentenzahlung zwischen Ost und West, die müssten endlich ein Ende haben. Das würde das Einheitsgefühl der Menschen stärken", fordert die Pferdeliebhaberin Aggy Wernecke aus Lockstedt.

Der Tag der Deutschen Einheit mache nur Sinn, wenn die Menschen in der gesamten Republik sagen können "Wir sind ein Volk", fordert sie mehr soziale Nähe für Menschen in den neuen wie alten Bundesländern. Noch sieht sie politischen Handlungsbedarf, um diese für sie selbstverständlichen Ziele zu erreichen. Deshalb ist dieser Feiertag morgen für die Lockstedterin eher kein Tag zum Feiern.

Ob der 3. Oktober gefeiert werden muss, darüber hat sich der gelernte Einzelhandelskaufmann Michael Schachel aus Röwitz noch keine wirklichen Gedanken gemacht, wie der 31-Jährige selbst überrascht feststellt. Der Tag der Deutschen Einheit ist für den Röwitzer sicherlich ein historischer Tag, ob der gefeiert werden muss, das lässt Michael Schachel offen.

Hingegen ist die Russin Eugenie Root aus Kusey der Auffassung, dass der Tag gefeiert werden muss. "Die deutsch-deutsche Wiedervereinigung kann nur gut für die Menschen sein. In Ossi und Wessi zu unterscheiden ist dumm und ungehörig", meint die 28-jährige Frau. Ihre Eltern besitzen die deutsche wie russische Staatsangehörigkeit und fühlen sich in Kusey zuhause und sind wie ihre Tochter trotzdem heimatverbunden.

Lebenserfahren ist die 71-jährige Margit Bratke aus Jahrstedt allemal. Auf die Frage, welche Wertschätzung sie dem Tag der Deutschen Einheit entgegenbringe, kommt prompt eine eindeutige Antwort: "Nur wer diese Zeit im Sperrgebiet wie ich und meine Kinder erlebt hat, kann beurteilen, wie wichtig mir dieser Einheitstag ist."

"Deshalb gehört der Tag der Deutschen Einheit fest in den Unterrichtsplan der Schulen"

Ihre 40-jährige Tochter Anja erinnert sich noch ganz genau an den Tag, als Böckwitz und Zicherie nichts mehr trennte und dem Besuch der Verwandten in Bochum nichts mehr im Wege stand. "Solch eine Trennung darf sich nicht wiederholen. Deshalb gehört der Tag der Deutschen Einheit fest in den Unterrichtsplan der Schulen", fordern beide Jahrstedterinnen.

"Der Tag der Deutschen Einheit darf nicht vergessen werden. Es war das besondere Ereignis, wohl nicht nur in meinem Leben", gibt der 60-jährige Hartmut Förster aus Steimke Auskunft. Nach der Wiedervereinigung müssen nun aber auch finanzielle Unterschiede endlich abgebaut werden, fordert der Stadtarbeiter.

Für den 14-jährigen Klötzer Schüler Tim Giesecke aus Oebisfelde "klingt die deutsche Teilung unverständlich. Zuhause erzählen meine Eltern öfter von den Zeiten in der DDR." So wie er die Zeit jetzt erlebt, findet der Jugendliche es korrekt.

"Ich habe das Leben bis zur Grenzöffnung hautnah gespürt. Es ist jetzt aber gut", findet Ute Fehse aus Zicherie. Das Gedenken sei gut, die Euphorie darüber nicht, befindet die 55-Jährige über den morgigen Tag.